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       # taz.de -- Nachruf auf Zehnkämpfer Kurt Bendlin: König der Athleten
       
       > Kurt Bendlin, der einstige Weltrekordler im Zehnkampf, verlangte sich
       > schier Unmögliches ab. Er war ein Charakterkopf.
       
   IMG Bild: Mit sich im Reinen: Bendlin beim Kugelstoßtraining
       
       Wäre Kurt Bendlin Schauspieler geworden, er hätte vermutlich die großen
       Charakterrollen gespielt. Aber er ist Zehnkämpfer geworden; statt King Lear
       ein König der Athleten. Nun ist Kurt Bendlin im Alter von 81 Jahren
       verstorben, wie seine Frau am Samstag mitteilte. Friedlich auf seinem
       Bauernhof vor den Toren Paderborns.
       
       Noch zu Kriegszeiten in Danzig-Westpreußen (Maßort) geboren, ging er später
       mit den Eltern nach einer Zwischenstation in Hamburg in den Westen, wo der
       Bursche mit dem Bewegungsdrang und der leichtathletischen Vielseitigkeit
       bei Bayer Leverkusen seine sportliche Heimat fand und in Bert Sumser einen
       fast schon legendären Trainer, man könnte auch sagen, einen kongenialen.
       Denn Sumser lenkte den unerschöpflichen Bewegungsdrang seines Athleten in
       zielgerichtete Bahnen.
       
       Es konnte nur der Zehnkampf sein, den Bendlin aktiv betrieb, nicht allein,
       weil der sein Hauptattribut schon im Namen trägt: Kampf. Bendlin kämpfte
       mit der Begrenztheit körperlicher Leistungsfähigkeit, indem er sich alles
       abverlangte, was sein ausgeprägter Ehrgeiz ihm auftrug. „Manchmal habe ich
       es ein bisschen übertrieben“, gestand er später einmal ein. Nicht nur vier
       deutsche Zehnkampfmeisterschaften, die erste 1965, die letzte 1974, stehen
       in seiner Bilanz, auch vierzehn Operationen, davon eine nach einem
       Achillessehnenriss.
       
       Vorher war da dieses Wochenende in Heidelberg. Der 13. und der 14. Mai
       1967. Es war heiß, ein Tag, um an den Baggersee zu fahren und sich den
       ersten Sonnenbrand des Jahres zu holen. Oder den Weltrekord im Zehnkampf.
       Wir wissen, wofür Kurt Bendlin sich entschied. Mit 8.319 Punkten krönte er
       seine bisherige Karriere. „Eine Mischung aus überschäumender Freude und
       tiefer Einsamkeit“, habe er danach empfunden. „Ich war an einem Punkt
       angelangt, an dem vorher noch kein Mensch war.“
       
       ## Medaille trotz Muskelriss
       
       Schon damals galt er auch als der große [1][Schmerzensmann] der
       Leichtathletik. Er war ein [2][Sinnbild dieser Disziplin], der einfach
       nicht aufhören konnte, wenn es wehtat, dessen Ziel fast etwas
       Masochistisches hatte: die vollkommene Erschöpfung. Die Verwirklichung in
       der völligen Selbstüberwindung.
       
       Im Jahr darauf holte er sich sechs Wochen [3][vor den Olympischen Spielen
       in Mexiko-City] einen schweren Muskelriss. Als einer der Favoriten auf die
       Goldmedaille. Das war es! War es das wirklich? Nicht für Kurt Bendlin. All
       die Trainingseinheiten, die er in den drei Wochen der Rekonvaleszenz
       versäumte, flossen gedanklich und emotional ein in ein Ziel: das Unmögliche
       schaffen.
       
       Er holte die Bronzemedaille, weil er alles gegeben hatte. „Mexiko-City, das
       war der größte Sieg über mich selbst“, sollte er später sagen. „Wenn es mir
       in meinem Leben einmal schlecht ging, hat der Gedanke an diesen Erfolg mich
       immer wieder aufgerichtet.“
       
       Nach der sportlichen Karriere war Bendlin lange Leiter der Ausbildungs- und
       Sportförderung der Firma Nixdorf. Nebenher schrieb er Bücher und führte
       später Überlebenstrainings für Manager durch. Er hatte ein Hobby:
       Holzhacken. Es gibt diese Bilder des Adonis mit dem Beil in der Hand.
       
       Auch in der Anstrengung hatte dieses Gesicht etwas freundlich
       Spitzbübisches. Auch jenseits der achtzig Jahren hatte Kurt Bendlin noch
       einen Charakterkopf. Seine äußere Erscheinung und die innere Struktur
       dieses Menschen waren immer kongruent. Anders gesagt: Kurt Bendlin war
       jemand, der mit sich im Reinen war. Er war ein Philanthrop, ein
       Menschenfreund, der sich etwa ehrenamtlich um drogenabhängige Jugendliche
       gekümmert hat. Nun hat er die Welt verlassen, sein Gehöft mit vielen Tieren
       und zweihundert Bäumen. Zurück bleibt die Erinnerung an einen besonderen
       Athleten und Menschen.
       
       2 Sep 2024
       
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