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       # taz.de -- Erinnerungskultur in Hamburg: Weniger Schmidt wagen
       
       > In Hamburg hängt eine weitere Plakette für Helmut Schmidt. Dabei gäbe es
       > genügend Leute, an die dringender erinnert werden sollte. Ein
       > Gegenvorschlag.
       
   IMG Bild: Neue Helmut Schmidt-Ehrerbietungen gibt es fortlaufend in Hamburg. Diese Tafel wurde 2019 vor der Michaeliskirche aufgestellt
       
       Jetzt noch eine Gedenkplakette in Hamburg-Eilbek zur Erinnerung an Helmut
       Schmidt. Bislang gibt es: eine Helmut-Schmidt-Straße, eine
       Helmut-Schmidt-Brücke, ein Helmut-Schmidt-Gymnasium, einen
       Helmut-Schmidt-Flughafen und ein Studierendenhaus. Es ist viel
       Helmut-Schmidt-Erinnerung in Hamburg – und das passt ganz gut, denn Schmidt
       war ja gegen Visionen und wenn etwas nicht visionär ist, dann ist es die
       Schmidt-Verehrung. Das bayerische Pendant ist der
       Franz-Josef-Strauß-Flughafen und das Grundprinzip kommt mit gerade mal zwei
       Merkmalen aus: erstens Hochrangiger Berufspolitiker und zweitens Mann.
       
       Das ist nicht besonders viel. Die Frage ist übrigens nicht, [1][ob Schmidt
       ein schlechter oder guter Kanzler war] oder er die Hochwasserkatastrophe
       gut gemeistert hat. Es war allerdings auch sein Job und daher müsste die
       Latte, ihn dafür auszuzeichnen, eher hoch hängen. Tatsächlich scheint
       zumindest eine Straße für jeden Kanzler, der es nicht völlig verbockt hat,
       vorgesehen zu sein, sowie ein paar Ehrendoktorwürden und vielleicht eine
       Primel, die nach einem benannt wird.
       
       In Hamburg scheint die Auswahl an erinnerungswürdigen Söhnen und Töchtern
       der Stadt gering, zumindes[2][t fiel die Wahl kürzlich auf Karl Lagerfeld]
       und damit auf einen weiteren Mann, dessen Gestus panzerfester
       Selbstherrlichkeit eigentlich aus der Mode gekommen ist. So viele Straßen
       hat nicht mal Hamburg, dass man sie nach Leuten benennen müsste, die eines
       nicht sind: inspirierend für die Zukunft.
       
       Dabei gibt es solche Menschen und dies ist der Aufruf, [3][die Hamburger
       Psychiatrie-Rebellin Dorothea Buck] mit zwei Schulen, vier Tafeln und
       einer Hauptstraße zu ehren, statt sie mit einer Grünfläche und einer Straße
       an der Peripherie abzuspeisen. Buck wurde als junges Mädchen in der
       Psychiatrie von den Nazis zwangssterilisiert. Später wurde sie Bildhauerin
       und begann, eine Psychiatrie zu hinterfragen, die ihre Patient:innen
       noch immer entmündigte.
       
       ## Erinnerung als Promitrophäensammlung
       
       Gemeinsam mit einem Psychologen entwickelte sie ein Psychoseseminar, in dem
       Patient:innen, Angehörige und Mitarbeitende der Psychiatrie sich auf
       Augenhöhe austauschen. Außerdem gründete sie gemeinsam mit anderen
       Betroffenen einen Verband Psychiatrie-Erfahrener. Und nein, es gibt nicht
       nur Dorothea Buck, man kann gleich ein Straßenschild für Rolf Laute in
       Auftrag geben, der mit den Schlumpern einer der ersten war, der einen Raum
       für Künstler mit und ohne Behinderung geschaffen hat.
       
       Natürlich kann man öffentliche Erinnerung als Promitrophäensammlung
       betreiben, die sich selbst genügt – eine Art Wachsfigurenkabinett, wobei
       man damit in Hamburg auch nur mäßig gute Erfahrungen macht. Dann ehrt man
       Leute um ihrer Macht willen, die mit Politik oder Mode ihr Geld verdient
       haben und das System in etwa dem maroden Zustand an ihre Nachfolger
       weitergegeben haben, in dem sie es vorfanden – und deutet ihre unangenehme
       Breitbeinigkeit als Originalität.
       
       Sollte sich Oliver Pocher irgendwann in Hamburg niederlassen, hätte er gute
       Chancen auf eine Nebenstraße in der Hafencity, wahlweise auch Til Schweiger
       für seine Tatort-Verdienste, wenn er aus dem Umfragetief wieder aufsteigen
       sollte.
       
       Hamburg betont gerne, dass es nichts auf (Adels-)Titel gibt, aber bisher
       ist ihm als Alternative nichts als Status und Promibonus eingefallen. Das
       ist schrecklich langweilig. Denk' doch mal nach, Du Stadt, und play it big,
       und dann ist noch mehr drin als ein Straßenschild. Vielleicht schenkst Du
       den Schlumpern dann den Benko-Turm oder der Buck-Stiftung einen Haufen
       Geld. Aber jetzt erst mal eine Straße, mitten im Herzen der Stadt.
       
       6 Sep 2024
       
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