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       # taz.de -- Arbeitspflicht für Geflüchtete gefordert: Die Brandmauer brennt ab
       
       > Der Hamburger SPD-Politiker Kazim Abaci will eine Arbeitspflicht für
       > Geflüchtete. Damit übernimmt er eine Forderung der AfD und stützt den
       > Rechtsruck.
       
   IMG Bild: Hat sich bei der AfD beliebt gemacht: SPD-Politiker Kazım Abacı, hier im Januar 2024 im Hamburger Rathaus
       
       Jeden Tag [1][ein Stück weiter nach rechts]: Das jüngste Beispiel für diese
       Diskursverschiebung lieferte am Dienstag der Hamburger SPD-Politiker Kazım
       Abacı, als er [2][im Hamburger Abendblatt eine Arbeitspflicht für
       Geflüchtete] forderte.
       
       Abacı bedient damit das rassistische Stereotyp von faulen Geflüchteten, die
       als [3][„Sozialtouristen“] nach Deutschland kommen und nicht arbeiten
       wollen. „Nach jahrelangem Wegschauen übernimmt er nun originäre
       AfD-Forderungen“, freute sich der Vorsitzende der Hamburger AfD-Fraktion,
       Dirk Nockemann.
       
       Wäre das nicht so bitter, könnte man beinahe lachen. Denn gerade Kazım
       Abacı inszenierte sich noch im Januar als großer Demokratieverteidiger und
       organisierte nach der „Correctiv“-Recherche über ein Treffen von
       Rechtsextremen eine [4][Kundgebung gegen die AfD].
       
       Neben dieser freuten sich auch die CDU und die FDP über die Forderung von
       Abacı. Kritik kam hingegen von den Linken, Grünen und sogar aus der eigenen
       Partei: „Eine mögliche Arbeitspflicht für Geflüchtete ist eine sehr
       zugespitzte Forderung, der sicher nicht alle zustimmen können“,
       distanzierte sich der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Bei der Forderung
       handele es sich um eine Einzelmeinung, die auch nicht Teil der Beratungen
       in der rot-grünen Koalition sei, stellte auch die
       Grünen-Fraktionsvorsitzende Jennifer Jasberg klar.
       
       Ob Einzelmeinung oder nicht: Abacı ist offizieller Sprecher seiner Fraktion
       für Migration und Integration. Seine Äußerungen können nicht getrennt von
       dieser Rolle betrachtet werden. Abacı wollte sich angesichts der Kritik
       damit retten, dass er betonte, nur eine „Verpflichtung zu einer
       gemeinnützigen Arbeit“ zu fordern. Das macht das Ganze allerdings noch
       schlimmer, denn „gemeinnützig“ ist einfach nur ein schönes Wort für
       „unbezahlt“. Die Tätigkeiten, die Abaci vorschlägt – etwa in der
       Seniorenhilfe oder Grünflächenpflege – werden von deutschen Arbeitnehmern
       als reguläre Jobs ausgeübt, für die der Mindestlohn gilt. Abacı will
       dagegen, dass Geflüchtete bis zu vier Stunden täglich zu dieser Arbeit
       verpflichtet und dafür mit nur 80 Cent pro Stunde entlohnt werden.
       
       Die Forderung ist auch deshalb absurd, weil viele Geflüchtete in
       Deutschland gar [5][nicht arbeiten dürfen], obwohl sie gern wollen. Anträge
       auf Arbeitserlaubnisse werden oft monatelang nicht bearbeitet oder
       abgelehnt. Bevor Abacı eine Arbeitspflicht fordert, sollte er sich in
       seiner Partei dafür einsetzen, dass Arbeitsverbote aufgehoben und
       bürokratische Hindernisse abgebaut werden.
       
       Es ist zwar keine große Überraschung, dass es in den Reihen der
       Sozialdemokraten Opportunisten wie Abacı gibt, die ihre Fahne je nach
       Diskursklima in den Wind hängen und auch vor Populismus gegen Geflüchtete
       keinen Halt machen. So eine Forderung direkt nach den [6][Wahlerfolgen der
       AfD in Sachsen und Thüringen] zu äußern, zeugt jedoch von einer neuen
       Qualität des Rechtsrucks.
       
       6 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Analyse-der-Wahlergebnisse-seit-1994/!6033149
   DIR [2] https://www.abendblatt.de/hamburg/politik/article407168527/arbeitspflicht-fuer-fluechtlinge-spd-mann-loest-hitzige-debatte-aus.html
   DIR [3] /Vorwurf-des-Sozialtourismus/!5884530
   DIR [4] /Ueber-80000-Menschen-gegen-Rechts/!5986734
   DIR [5] https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/arbeitskraefte/gefluechtete-beschaeftigen/aufenthaltsstatus
   DIR [6] /AfD-Erfolge-in-Thueringen-und-Sachsen/!6033623
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marta Ahmedov
       
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