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       # taz.de -- „Joker: Folie à deux“ in Venedig: Große Leere
       
       > Endspurt bei den Filmfestspielen Venedig mit „Joker: Folie à deux“,
       > diesmal als Musical und mit Popstar Lady Gaga in der weiblichen
       > Hauptrolle.
       
   IMG Bild: Lady Gaga und Joaquin Phoenix in „The Joker“
       
       Für dieses Jahr gehörte der Film zu den am meisten erwarteten Kandidaten im
       Wettbewerb von Venedig. Todd Phillips setzt mit „Joker: Folie à deux“
       seinen Schurkenerfolg [1][„Joker“ fort, der ihm dort vor fünf Jahren den
       Goldenen Löwen einbrachte]. Joaquin Phoenix brillierte als gequälter
       Antiheld, der nach sehr schwieriger Kindheit und vielen Demütigungen als
       Erwachsener irgendwann zurückschlägt. Das Ganze schrie nach einem zweiten
       Teil. Jetzt ist er da. Selbstverständlich wieder mit Joaquin Phoenix in der
       Hauptrolle.
       
       Todd Phillips macht in „Joker: Folie à deux“ vieles anders als im ersten
       Film. War Arthur Fleck, wie der Joker bürgerlich heißt, damals wiederholt
       zur blutigen Tat geschritten, wird die Sache mit der Gewalt diesmal anders
       gelöst. Man soll ja nicht zu viel verraten. Die meiste Zeit der Handlung
       über steckt Arthur Fleck ohnehin im Gefängnis oder steht wegen mehrfachen
       Mordes vor Gericht.
       
       Die düstere Lichtgestaltung dominiert auch in diesem Film weiter. Gern wird
       Arthur Fleck in Zellen ohne Licht geworfen oder muss sich durch dunkle
       Gefängnisflure schleusen lassen. Die größte Veränderung ist allerdings die
       hinzugekommene Figur Harleen Quinzel, [2][gegeben von Lady Gaga]. Zunächst
       eine Insassin wie Arthur Fleck, zeigt Quinzel rasch großes Interesse an
       ihrem berüchtigten Mithäftling. Lady Gaga spielt ihre Rolle dabei nicht
       bloß, sie singt auch viel. Phoenix tut es ihr gleich.
       
       ## Im Stile einer Broadway-Show
       
       Man könnte das Ganze als Musical bezeichnen, in dem die Songs die imaginäre
       Ebene der Geschichte erzählen. Die Fantasie sowohl Arthur Flecks als auch
       Harley Quinzels gibt denn auch reichlich Gelegenheit zu Einlagen im Stil
       einer Broadway-Show.
       
       Könnte alles einen unterhaltsamen Film ergeben. Doch das Drehbuch versäumt
       darüber, seine Figuren so zu zeichnen, dass man ernsthaft Interesse an
       ihnen entwickeln könnte. Was Quinzel an Fleck findet, immerhin ein
       mehrfacher Mörder, machen die Gesangseinlagen allenfalls rudimentär
       deutlich.
       
       Und wie Flecks Irrsinn sich mit seiner Leidenschaft für Quinzel abwechselt,
       wird durch ein paar Songs auch nicht plausibler. Übrig bleibt der
       Eindruck einer großen narrativen Leere, die der Film mit dick aufgetragener
       Schminke abzudecken versucht. Preiswürdig erscheint das nicht.
       
       ## Geschichte der italienischen Pornoindustrie
       
       Ohne große Aussicht auf eine Auszeichnung ist auch der Wettbewerbsbeitrag
       „Diva Futura“ von Giulia Louise Steigerwalt, die sich einem Kapitel der
       Geschichte der italienischen Pornoindustrie widmet. Die titelgebende
       Agentur machte Pornodarstellerinnen wie Ilona Staller oder Moana Pozzi über
       die Grenzen Italiens hinaus berühmt.
       
       Steigerwalt erzählt den Aufstieg und Fall des Unternehmens basierend auf
       dem Buch „Non dite alla mamma che faccio la segretaria“ von der ehemaligen
       Agenturmitarbeiterin Debora Attanasio. Der Ton ist ironisch-gemütlich, die
       sepiagetönten Bilder haben etwas Nostalgisches, und der Gründer von Diva
       Futura, Riccardo Schicchi, bekommt in der Verkörperung durch Pietro
       Castellitto etwas von einem grundsympathischen Schlawiner, der skrupellos,
       aber mit Haltung seinem Geschäft nachgeht. „Wir sind amoralisch, aber nicht
       unmoralisch“, lautet eines der Credos, die er seinem Team gern vorbetet.
       
       Die weniger erfreulichen Seiten des Geschäfts spart Steigerwalt in ihrem
       Film nicht aus, doch hat die Leichtigkeit, mit der sie erzählt, etwas allzu
       Verklärendes. Ein nicht unerheblicher Faktor könnte dabei die Quelle sein,
       der man als Innenansicht am Ende eben glauben muss. Als Einblick in die
       Pornoindustrie durchaus ein ehrenwertes Thema, aber warum im Wettbewerb?
       
       5 Sep 2024
       
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