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       # taz.de -- Sommerserie „Im Schatten“ (6): Kaum Schatten im Krankenbett
       
       > Hitzewellen fordern in Berlin jedes Jahr mehrere Hunderte Tote. Gefährdet
       > sind vor allem Alte und Kranke. Das Hitzeschutzkonzept ist noch am
       > Anfang.
       
   IMG Bild: Gefährdet vor Hitze sind vor allem alte und kranke Menschen
       
       Berlin taz | Die Luft in dem verglasten Treppenhaus des Unfallkrankenhauses
       Berlin in Marzahn (ukb) ist stickig. Das Atmen fällt spürbar schwerer als
       im angenehm klimatisierten Gang. „Bei einer Hitzewelle ist es hier heiß wie
       in einer Sauna“, sagt Andrea Nakoinz. Eigentlich trainieren hier
       Physiotherapeut:innen mit Patient:innen Treppensteigen, doch
       schon bei 24 Grad Außentemperatur wie an diesem Tag ist es unangenehm warm.
       „Ab Hitzewarnstufe 1 ist dieses Treppenhaus tabu“, sagt Nakoinz. Die
       Therapeut:innen würden dann einen anderen Aufgang nutzen, der stärker
       verschattet ist.
       
       [1][Was den Hitzeschutz betrifft], sei man im Unfallkrankenhaus noch ganz
       am Anfang, sagt die Anästhesistin, die im ukb als Klimamanagerin tätig ist.
       Als Mitglied des Hitzeteams des Vereins Deutsche Allianz Klimawandel und
       Gesundheit e. V. (KLUG) will sie den Hitzeschutz nach vorne bringen. Das
       bedeutet, zunächst darüber nachzudenken, welche Bereiche des
       Krankenhauskomplexes besonders hitzegefährdet sind.
       
       Steigen die Temperaturen auf 30, 35, oder sogar über 40 Grad, wie zuletzt
       in großen Teilen Süd- und Westeuropas, ist Hitze nicht nur unangenehm,
       sondern kann lebensbedrohlich sein. 106 Menschen starben laut Amt für
       Statistik Berlin-Brandenburg im vergangen Jahr allein in Berlin an den
       Folgen hoher Temperaturen. Im Jahr 2022, in dem es besonders viele
       Hitzetage gab, waren es sogar 425. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr gab
       es 271 Drogentote, 33 Menschen starben im Straßenverkehr. Jeder ist
       potenziell gefährdet, besonders aber Menschen mit Vorerkrankungen, Kinder
       und Alte. Zwei Drittel der an Hitze verstorbenen Menschen in Berlin sind
       über 80 Jahre alt.
       
       Die Zahlen sind Schätzungen, die mit einer komplexen Formel aus der
       Übersterblichkeit berechnet werden. Genaue Angaben darüber, wie viele
       Menschen durch Hitze sterben, gibt es nicht. Das liegt vor allem daran,
       dass die Todesursache häufig nicht erfasst wird. Die wenigsten Menschen
       sterben „an Hitze“, erklärt Nakoinz. Wie zum Beispiel bei einem
       Hitzeschlag, wenn der Körper nicht genug Wärme abgeben kann und die Organe
       versagen. „Das sieht in der Endform aus wie eine Blutvergiftung oder ein
       septischer Schock.“
       
       ## Viele Tode durch Hitze sind vermeidbar
       
       Viel öfter sterben Menschen „mit Hitze“, haben bereits Herz-
       Kreislauf-Erkrankungen oder chronische Nierenschäden. Durch den
       Wassermangel verdickt sich das Blut, es kommt zu mehr Herzinfarkten und
       Schlaganfällen oder zu einem akuten Nierenversagen – das wird dann auch als
       Todesursache eingetragen.
       
       Viele dieser Tode sind vermeidbar. [2][Kühle Orte aufsuchen, direkte Sonne
       vermeiden, viel trinken – diese lebensrettenden Tipps klingen banal,] sind
       aber schwierig umzusetzen, wenn man frisch operiert in einem Krankenbett
       liegt und die Sonne ungeschützt ins Zimmer knallt. Naheliegend, dass sich
       auch die Berliner Gesundheitseinrichtungen zunehmend Gedanken machen, wie
       sie ihre Patient:innen und Mitarbeitenden angesichts der verschärfenden
       Klimakrise schützen können.
       
       Im Büro von Andrea Nakoinzin ist es dank der runtergefahrenen Rollos
       angenehm kühl. Auf einem großformatigen Poster ist ein Grundriss der
       unfallchirurgischen Station aufgezeichnet, die Räume sind je nach
       Temperaturanfälligkeit eingefärbt. „Im Hitzefall verlegen wir alte oder
       gefährdete Menschen in die kühlen Zimmer“, erklärt Nakoinz.
       
       Einfache Maßnahmen wie diese sind Teil des Hitzeschutzkonzepts, das gerade
       am ukb erarbeitet wird. Dazu gehören auch Warnketten, die sicherstellen,
       dass das Personal die Maßnahmen umsetzt und Patient:innen informiert
       werden. Hitzewellen sind nicht neu, Konzepte, wie man mit ihnen umgehen
       soll, hingegen schon. Erst vor zwei Jahren rief der Senat zusammen mit der
       Ärztekammer Berlin das „Aktionsbündnis Hitzeschutz“ ins Leben. Das soll
       Hitzeschutzpläne im Gesundheitswesen etablieren.
       
       ## Hitzewellen sind nicht neu, die Konzepte jedoch schon
       
       Konzepte, Meldeketten und andere kluge Überlegungen kosten wenig und sind
       schnell umgesetzt. Allerdings bringt auch die ausgeklügeltste Hitzekarte
       wenig, wenn es keine kühlen Orte gibt. Echte Abhilfe schaffen vor allem
       bauliche Maßnahmen.
       
       Das bedeutet nicht, dass das gesamte Krankenhaus klimatisiert werden muss.
       Derzeit werden im ukb nur einzelne Stationen, der OP und die
       Intensivstationen, gekühlt. Klimaanlagen sind zum einen teuer – sowohl in
       der Anschaffung als auch im Betrieb – und zum anderen klimaschädlich.
       „Gerade der hohe CO2 Ausstoß führt ja dazu, dass es so viele Hitzewellen
       gibt“, sagt Nakoinz.
       
       Bei einem Krankenhausrundgang zeigt die Ärztin klimafreundlichere
       Alternativen. Das ukb, Ende der 90er Jahre auf offenerer Fläche in Biesdorf
       errichtet, ist im Vergleich mit anderen Berliner Krankenhäusern schon
       vorbildlich. Vor dem Haupteingang plätschert ein Brunnen, die begrünten
       Stationsdächer kühlen durch Verdunstung die Umgebungstemperatur. Auf dem
       Krankenhausgelände wachsen viele schattenspendende Bäume, die Rollos senken
       sich bei Hitze automatisch. Andere Häuser wie etwa die Charité haben
       deutlich schlechtere Ausgangsbedingungen. So sieht der markante, in den
       80er Jahren errichtete Bettenturm auf dem Campus in Mitte zwar schön aus,
       ist aber der Sonne schutzlos ausgeliefert. Statt Grünflächen dominiert eine
       Betonwüste.
       
       In vielen Fällen helfen nur aufwendige bauliche Maßnahmen, um die
       Temperaturen zu senken. Doch Geld dafür ist nur selten vorhanden.
       Krankenhäuser müssen Hitzeschutzmaßnahmen aus ihren eigenen, ohnehin schon
       knappen Investitionsmitteln bestreiten.
       
       ## Das Problem betrifft nicht nur Krankenhäuser
       
       Andrea Nakoinz deutet auf die Glasdächer des Krankenhausflurs. Dort sind
       bereits Rollos verbaut, aber auch die könnten durch effektivere Modelle mit
       UV-Schutz verbessert werden. Doch selbst eine so einfache Maßnahme könne
       sich das Krankenhaus nicht leisten, obwohl sie dringend notwendig wären.
       „Für die richtigen Hitzeschutzmaßnahmen braucht man Geld. Da muss der Bund
       zuschießen“, sagt die Fachärztin.
       
       [3][Doch als das Bundesgesundheitsministerium im Mai seinen
       Musterhitzeschutzplan vorstellte, warnte Karl Lauterbach (SPD) zwar vor
       bundesweit jährlich tausenden Toten], von zusätzlichen Geldern sagte der
       Gesundheitsminister allerdings nichts.
       
       Das Problem betrifft nicht nur Krankenhäuser, sondern auch andere
       Gesundheitseinrichtungen wie Pflegeheime. „Wir sind baulich auf heiße Tage
       überhaupt nicht eingestellt“, sagt Andreas Grenz von der Volkssolidarität.
       Viele der Pflegeheime, die der freie Träger in Berlin betreibt, seien alte
       Plattenbauten, in denen sich die Hitze schnell staut. Noch könnten die
       Pfleger:innen die Temperaturen etwa mit klugen Lüftungsmaßnahmen
       erträglich halten. Doch in Zukunft müsse investiert werden: hitzeresistente
       Fassaden, automatisierte Rollos und Lüftungssysteme, Klimaanlagen. „Das
       sind gewaltige Kosten“, sagt Grenz.
       
       Noch komplizierter wird es bei der ambulanten Pflege. Viele
       Patient:innen versterben in den eigenen vier Wänden. „Gerade alte
       Menschen haben kein Durstgefühl mehr“, erklärt Grenz. Kommt noch Demenz
       dazu, würden viele Patient:innen das Trinken einfach vergessen. Bei
       einer Hitzewelle beraten die Mitarbeiter:innen, wie man sich vor Hitze
       schützen kann: richtiges Lüften, ausreichend trinken, direkte Sonne meiden.
       Dazu bieten die Pflegekräfte auch mal an, den Einkauf zu übernehmen, oder
       führen als Akutmaßnahme kühlende Fußbäder durch.
       
       Doch besonders bei dementen Menschen gestaltet sich effektiver Hitzeschutz
       schwierig. Denn die Pflegekräfte haben oft nur wenige Minuten pro Patient.
       Da kommt es auf die Angehörigen an. Regelmäßige Anrufe, bei denen man ans
       Trinken erinnert, können da schon reichen, sagt Grenz.
       
       Ein gesellschaftliches Problembewusstsein für die Gefahr hoher Temperaturen
       zu entwickeln sei ein wichtiger Baustein für effektiven Hitzeschutz, sagt
       Andrea Nakoinz. Damit könne man dann auch die Mitmenschen schützen.
       Gefährdet seien ja nicht nur alte Menschen – immerhin ist ein Drittel der
       Hitzetoten unter 80. Trotzdem würden viele noch bei 35 Grad im Schatten
       joggen, sich auf Festivals betrinken oder Sportfeste mitten im Sommer
       abhalten. „Die Aufklärung der Bevölkerung ist eine Riesenaufgabe.“
       
       26 Aug 2024
       
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