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       # taz.de -- Töten von Straßenhunden in der Türkei: Exzesse von Hundehassern
       
       > Seit Kurzem ist in der Türkei das Töten von Straßenhunden erlaubt.
       > Tierschützer versuchen, so viele Vierbeiner zu retten wie möglich.
       
   IMG Bild: Protest gegen das Gesetz, das die Tötung von Straßenhunden erlaubt: Tierschützer im Juli in Ankara
       
       Istanbul taz | Die Fotos und Videos in den sozialen Medien sind grausam. Zu
       Tode geprügelte Hunde, Hundekadaver, die in einen Graben geworfen wurden,
       schwer verletzte Hunde, die verzweifelte Tierschützer noch zu retten
       versuchen.
       
       Vor gut [1][zwei Wochen wurde in der Türkei ein neues Gesetz
       verabschiedet], das die massenhafte Tötung von Hunden erlaubt, wenn diese
       krank oder aggressiv sind, aber auch, wenn in einer Gemeinde angeblich
       durch streunende Hunde die allgemeine Sicherheit bedroht ist. Jetzt sind
       die Ergebnisse des [2][höchst umstrittenen Gesetzes] zu besichtigen. Viele
       Hundehasser betrachten das Gesetz offenbar „als Lizenz zum Töten“, wie der
       prominente Schriftsteller Ahmet Ümit feststellte.
       
       So wurden im westtürkischen Uzunköprü, einer Kleinstadt in der Nähe der
       bulgarischen Grenze, 15 tote Hunde in Müllsäcken auf einer illegalen
       Müllhalde gefunden. In Nigde, einer Kreisstadt in Kappadokien, sollen
       Mitarbeiter eines Tierschutzheims massenhaft Hunde getötet, in ein
       Massengrab geworfen und mit Kalk abgedeckt haben.
       
       Tierschützer sprechen von bis zu 100 Tieren. Auch in einem Tierheim in
       einem Vorort von Ankara soll es zu einer Massentötung von Hunden gekommen
       sein. Von Tierschützern engagierte Anwälte versuchten in Ankara den
       Vorkommnissen in dem Tierheim nachzugehen. Sie forderten die zuständige
       Gendarmerie auf, das Tierheim zu kontrollierten. Dort konnte angeblich
       nichts mehr festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft in Ankara weigerte
       sich, weiter zu ermitteln.
       
       Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Tierheime sind bereits
       hoffnungslos überfüllt. Entgegen einem Tierschutzgesetz, das im Zuge der
       Reformen zur EU-Kompatibilität bereits 2004 verabschiedet wurde, sind viele
       Gemeinden ihrer Pflicht nicht nachgekommen, ein Tierheim aufzubauen.
       
       Auch per Gesetz geforderte Sterilisierungskampagnen wurden nur sehr
       schleppend umgesetzt. Das hat die [3][regierende AKP von Präsident Recep
       Tayyip Erdoğan] nun zum Anlass genommen, um mit den „streunenden Hunden“
       Tabula rasa zu machen.
       
       In seiner islamischen Anhängerschaft kommt das gut an. Hunde gelten als
       „unrein“, sie sollen aus den Städten verschwinden. Beispielhaft für die
       Haltung vieler Gläubiger ist die des Islamdozenten Ahmet Emin Seyhan.
       
       Er schrieb auf Facebook: „Wachhunde und Hirtenhunde auf dem Dorf gehören
       dazu, aber streunende Straßenhunde in den Städten, die eine Gefahr für
       unsere Kinder sind, lieben wir nicht und können wir nicht mehr dulden.“
       Gegen die KritikerInnen des „Massenmord“-Gesetzes sagte Erdoğan im
       Parlament: „Diesen Leuten, die nun wegen der Hunde weinen, sind die toten
       Kinder in Gaza gleichgültig“. Solidarisch mit Hunden seien die Ungläubigen,
       aber für die islamischen Brüder und Schwestern in Gaza hätten sie kein
       Herz.
       
       ## Tierschützer retten Hunde
       
       Doch selbst Mitgliedern der eigenen Regierung und Abgeordneten seiner
       Fraktion ist es mittlerweile unheimlich, was durch das Gesetz ausgelöst
       wurde. So sagte der zuständige Forst – und Agrarminister İbrahim Yumaklı,
       das Gesetz zur Tötung von Straßenhunden rechtfertige nicht solche Vorfälle
       wie in Ankara, Nigde und Uzunköprü. Der AKP-Abgeordnete Vahit Kirişci
       sagte, das Gesetz sei nicht verabschiedet worden, „um unschuldige Tiere zu
       töten. Es soll das Leben von Tieren retten. Es ist kein Gesetz für
       Massenmord“.
       
       Die größte Oppositionspartei CHP hat bereits angekündigt, das Gesetz vor
       dem Verfassungsgericht anzufechten. „Die fürchterlichen Fotos von
       erschossenen, vergifteten und totgeprügelten Hunden, die in Massengräbern
       verscharrt werden, hat unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt“, sagte
       der Vizepräsident der CHP, Burhanettin Bulut. „Wir hoffen, dass sich das
       Verfassungsgericht des Problems nun schnell annimmt.“
       
       Bis die Gerichte reagieren, versuchen TierschützerInnen in der Türkei und
       aus dem Ausland, so viele Straßenhunde zu retten wie möglich. Sie werben
       für Patenschaften für Straßenhunde, damit die Tiere registriert werden
       können und nicht mehr als „herrenlos“ gelten.
       
       Tierschutzvereine sammeln Geld, damit ärmere Leute unterstützt werden
       können, die gerne einen Hund aufnehmen würden, aber kein Geld für Futter
       haben. In einigen Städten werden sogenannte „Schutzhöfe“ eingerichtet, auf
       denen Hunde auf einem gesicherten Gelände untergebracht und versorgt werden
       können.
       
       ## Die meisten Tierheime sind überfüllt
       
       Der Bund der türkischen Veterinäre hat sich von Anfang an gegen das Gesetz
       zur Massentötung von Straßenhunden ausgesprochen. Er wirbt nun dafür, dass
       zügig eine Kampagne zur Sterilisation von Straßenhunden durchgeführt und
       die illegale Hundezucht unterbunden wird. Tatsächlich werden nach wie vor
       massenhaft Hundewelpen über das Internet verkauft, die häufig nach wenigen
       Wochen auf der Straße landen.
       
       Die meisten Tierheime, in denen eingefangene Hunde abgeliefert werden, sind
       bereits überfüllt. Der englische Tierschutzverein „Happy Paws Puppy Rescue“
       berichtet, er habe massenhaft Anfragen von türkischen Tierschutzheimen, die
       gerne besonders pflegebedürftige Hunde ins Ausland abgeben würden.
       
       Auch der deutsche [4][Tierschutzverein „Care-4–live“] setzt sich für die
       Rettung von Straßenhunden ein. Er unterstützt die Einrichtung von
       „Schutzhöfen“ und sammelt Spenden für den Einkauf von Hundefutter, sagte
       die Vereinsvorsitzende Silvia Greene der taz.
       
       Über befreundete TierschützerInnen soll Leuten geholfen werden, die einen
       Hund aufnehmen wollen, aber kein Geld für Futter haben oder notwendige
       Behandlungen durch Tierärzte nicht bezahlen können. „Es gibt so viele
       engagierte TierschützerInnen in der Türkei“, sagte Greene, „aber die
       meisten brauchen etwas Unterstützung, weil viele Leute in der Türkei ja
       kaum genug Geld für das eigene Essen haben“.
       
       21 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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