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       # taz.de -- Verdrängung im Wedding: Spreewater reitet Verdrängungswelle
       
       > Ein Immobilienunternehmen kauft ein Mietshaus in Wedding. Es folgen
       > Kündigungen und Mietpreiserhöhungen. Die Bewohner befürchten unruhige
       > Zeiten.
       
   IMG Bild: Der Vermieter forderte Mieterin Jacky K. Mitte August auf, ihr WG-Zimmer zu räumen. Sie wehrt sich
       
       Berlin taz | „Alles bleibt besser“, verkündete die Spreewater GmbH, als sie
       sich den Bewohnern der Groninger Straße 3 und 5 im April dieses Jahres als
       neue Eigentümerin des Wohnhauses vorstellte. Doch die Mieterinnen und
       Mieter machen schnell eine ganz andere Erfahrung: Nichts bleibt, wie es
       war, und besser wird schon gar nichts – so lässt sich die vorherrschende
       Stimmung in dem Mietshaus unweit des Leopoldplatzes einfangen.
       
       Einige Bewohner erhielten bereits Kündigungsschreiben, andere wurden mit
       hohen Mietpreissteigerungen konfrontiert. Ein Vertreter der Spreewater GmbH
       informiert die Mieter aktuell in Hausgesprächen über geplante
       Modernisierungsmaßnahmen, deren Kosten auf die Mieten umgelegt werden
       sollen.
       
       In der Groninger Straße 3 und 5 zeigt sich, wie Aufwertung und Verdrängung
       auf dem Berliner Immobilienmarkt Hand in Hand gehen. Besonders
       bemerkenswert ist das hohe Tempo, mit dem die 2020 gegründete Spreewater
       GmbH das Gründerzeithaus in Wedding an die modernen Mietgegebenheiten in
       der Hauptstadt anpasst.
       
       Das bekommt auch Jacky K. zu spüren, die seit zwei Jahren in einer der 22
       Wohnungen des Hauses zur Untermiete wohnt. Wie lange sie noch bleiben kann,
       ist ungewiss. Mitte August sollte sie laut Aufforderung des Vermieters das
       Zimmer in ihrer WG räumen, erzählt sie. Vor ihr mussten bereits andere
       Mieter Kündigungen für Lagerräume und ein Atelier einstecken.
       
       ## Mieter wehren sich
       
       Doch Jacky K. ist in ihrer Wohnung geblieben, nachdem das Ultimatum endete.
       Die 49-Jährige sitzt auf einer Bierbank im Innenhof des Doppelhauses. Leere
       Flaschen zeugen noch von einem gemeinsamen Grillabend der Hausgemeinschaft
       am Vorabend. Es gibt derzeit viel Gesprächsstoff im Haus.
       
       Ende Juli erhielt ihr Mitbewohner ein Schreiben von der neuen Eigentümerin.
       Darin fordert die Spreewater GmbH die Beendigung des
       „Untermietverhältnisses mit Frau K.“, für das es keine Genehmigung gebe.
       Das Unternehmen sei „nicht bereit, dieses vertragswidrige Verhalten zu
       akzeptieren“, heißt es in dem Brief, der der taz vorliegt.
       
       Spreewater stellte dem Mitbewohner eine fristlose Kündigung in Aussicht,
       sollte er „die Nutzung der Mietsache durch Frau K.“ nicht bis zum 15.
       August beenden. Auf eine Anfrage der taz zur Rechtmäßigkeit der Abmahnung
       antwortete das Unternehmen: „Verstöße gegen vertragliche Pflichten werden
       im Rahmen der ordentlichen Verwaltung nicht geduldet“.
       
       Jacky K. ist zuversichtlich, dass die Drohungen der Spreewater GmbH ins
       Leere laufen. Dafür spricht eine Genehmigung des Untermietverhältnisses,
       die noch von der alten Hausverwaltung ausgestellt wurde. Dennoch ist die
       Situation für sie unangenehm, wie sie sagt. Die gebürtige Ost-Berlinerin,
       die aktuell arbeitsunfähig ist, arbeitete eigentlich als Stewardess auf
       Yachten. Bis September 2020 verbrachte sie die meiste Zeit auf dem Meer,
       doch ein Handgelenkbruch zwang sie, ihren Beruf aufzugeben. Seitdem ist sie
       an Berlin gebunden – und an diese Wohnung, wie sie betont.
       
       ## Mieter vermuten Verwertungsabsichten
       
       Das Drohschreiben ist aus ihrer Sicht reine Schikane. Spreewater wisse
       genau, dass sie legal in der Groninger Straße wohne. Ihrer Meinung nach
       wird Druck gemacht, weil die aktuellen Bewohner einer Verwertung der
       Immobilie im Weg stehen. Doch die Hausgemeinschaft will die
       Verwertungsabsichten der neuen Eigentümerin nicht einfach so über sich
       ergehen lassen.
       
       Die Renditeerwartungen der Spreewater „Immobilienboutique“ werden auf der
       Webseite offen kommuniziert. In „[1][aufstrebenden Lagen wie dem Wedding]
       bieten sich momentan zahlreiche Opportunitäten“, heißt es im entsprechenden
       Portfolio zur Groninger Straße 3 und 5. Man sei überzeugt, dass die Mieten
       im Leopoldkiez weiter steigen werden. Um das Potenzial des Weddinger
       Gründerzeithauses voll auszuschöpfen, wolle Spreewater umfassende
       energetische Modernisierungen und eine Aufstockung des Dachgeschosses
       realisieren.
       
       Eine Protokollnotiz einer Bewohnerin des Hauses liefert Einblicke, wie
       umfangreich die Erneuerung des Altbauduetts ausfallen könnte: Demnach plant
       der Investor den Austausch der Fenster, den Einbau einer neuen Heizung, die
       Neuverlegung der Heizungsrohre („aka alle Wände öffnen“) sowie die Dämmung
       der Außenfassade. Die Mieter sollen während der umfangreichen
       Sanierungsarbeiten in ihren Wohnungen bleiben können, und auch danach, so
       lautet die Zusicherung der Eigentümerin. Doch für die Mieter stellt sich
       derzeit die Frage, ob sie die erhöhten Mietpreise nach der Sanierung
       überhaupt zahlen können.
       
       Spreewater antwortete auf taz-Anfrage, man sei bestrebt, „auf die
       individuelle wirtschaftliche Situation der Mieter einzugehen und
       sozialverträgliche Konzepte zu erarbeiten“. Diese wolle man in etwaige
       Mietanpassungen einfließen lassen. Daran haben manche Mieter Zweifel. Auch
       Raiko, der seit etwas mehr als zwei Jahren in der Groninger Straße 3 lebt,
       im Kunst- und Kulturbereich arbeitet und ebenfalls nicht mit vollem Namen
       in der Zeitung stehen will. Er und andere im Haus hätten nicht
       grundsätzlich etwas gegen Instandsetzungen und Sanierungen – „allerdings
       nur mit fairen Mitteln und im Rahmen der Notwendigkeit“.
       
       ## Unerwünschte Hausbesuche der Spreewater GmbH
       
       Um die Mieter von der Notwendigkeit zu überzeugen, hat Spreewater einen
       Abgesandten in die Groninger Straße geschickt, der dort seit Wochen
       Hausbesuche durchführt. Der präsentiert sich auf seiner Webseite als
       „Machertyp mit Gewinner-Mindset.“ Sein Instagram-Account ist reich an
       Vorträgen, Selfies und Lebensweisheiten. „Sei beeindruckt von
       Großzügigkeit, Integrität, Bescheidenheit und Freundlichkeit“, lautet eine
       Weisheit, die er auf seinem Account teilt. Zudem verspricht er, „30 bis 40
       Prozent mehr Rendite“ durch „transparente Mietergespräche“ zu erzielen. Der
       Mann führt derartige Mietergespräche im Auftrag von Immobilieneigentümern
       wie der Spreewater GmbH.
       
       Max, der sich bei „Mietenwahnsinn Nord“ der Stadtteilorganisierung „Hände
       weg vom Wedding“ engagiert, nimmt an den Hausgesprächen in der Groninger
       Straße 3 und 5 teil. Die mietenpolitische Gruppe unterstützt
       Hausgemeinschaften in Wedding und Moabit, die von Verdrängung betroffen
       sind.
       
       Von seiner Begegnung mit dem Mittler berichtet Max, dieser wolle demnächst
       Formulare bei den Mietern vorbeibringen, in denen diese sich mit einer
       15-prozentigen Mietpreiserhöhung einverstanden erklären sollen.
       Andernfalls, so habe der Dienstleister von Spreewater klargemacht, gehe es
       vor Gericht. „Wir empfehlen den Mieterinnen und Mietern, die Formulare
       nicht an der Haustür zu unterschreiben“, sagt Max. Stattdessen sollten sie
       das Schreiben sorgfältig prüfen und sich gegebenenfalls dagegen wehren.
       
       ## Bezirk schützte Mieter nicht vor der Investorenübernahme
       
       Raiko schätzt die Unterstützung, die die Hausgemeinschaft von
       Mietenwahnsinn Nord erhalte. Es gebe ihm das Gefühl, in seinem Abwehrkampf
       nicht allein dazustehen, erklärt der 35-Jährige. Der Bezirk Mitte habe die
       Mieter*innen hingegen im Stich gelassen, als es darauf ankam, sie vor
       der Investorenübernahme zu schützen. [2][Bezirke können in
       Milieuschutzgebieten unter bestimmten Bedingungen anstelle eines privaten
       Investors in den Kauf eines Mietshauses eintreten]. Doch im Fall der
       Weddinger Altbauimmobilie sah das Bezirksamt die Grundlage dafür nicht
       gegeben und verzichtete auf die Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts.
       
       Die Rolle des Bezirksamtes beim Verkauf der Groninger Straße 3 und 5 wirft
       auch bei der Bezirksverordneten der Linken, Martha Kleedörfer, Fragen auf.
       Zwar sei das Vorkaufsrecht durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
       von 2021 eingeschränkt worden. Dennoch gebe es Möglichkeiten, es anzuwenden
       – etwa wenn ein Gebäude erhebliche Mängel aufweist. „Im Fall der Groninger
       Straße wurde das Haus jedoch nicht ordnungsgemäß auf Mängel geprüft, die
       Wohnungen wurden gar nicht besichtigt“, bemängelt Kleedörfer. Der gesamte
       Verkauf erscheine ihr fragwürdig.
       
       Ein Sprecher des Bezirksamtes Mitte erklärte auf taz-Anfrage, das Gebäude
       sei „sowohl von außen, als auch von innen (Treppenhaus) bewertet worden“.
       Das Recht zum Betreten der Wohnungen obliege jedoch der Ordnungsbehörde,
       der keine Mängelmeldungen vorgelegen hätten.
       
       Wie die Bewohner findet auch Kleedörfer, dass das Bezirksamt seinen
       behördlichen Auftrag im Fall der Groninger Straße 3 und 5 nicht erfüllt
       hat: „In einem Mietenwahnsinn, wie er seit Jahren in Berlin herrscht, ist
       es die Aufgabe von Senat und Bezirk, die Mieter*innen zu schützen.“
       Ihrer Meinung nach hätte das Bezirksamt durch eine intensivere Prüfung und
       rechtzeitige Intervention einen entscheidenden Beitrag leisten können, um
       die aktuelle Situation zu verhindern oder zumindest abzumildern.
       
       ## Mieter sind auf sich gestellt
       
       Künftig wird der Bezirk nur noch begrenzt Einfluss auf die Mietverhältnisse
       haben – hauptsächlich, um Luxus-Aufwertungen wie bodentiefe Fenster,
       Fußbodenheizungen oder Marmor im Treppenhaus zu verhindern. Das [3][soziale
       Erhaltungsrecht], das in Milieuschutzgebieten gilt, regelt es so. Der
       Einbau eines Aufzugs, einer Zentralheizung oder von Fassadendämmung liegt
       hingegen nicht im Ermessen der Behörden. Die Kosten für solche Neuerungen
       können Eigentümer scheibchenweise auf die Mieter umlegen.
       
       Die müssen – mit Unterstützung einer engagierten Nachbarschaft – selbst
       Verantwortung übernehmen. Jacky K. glaubt, dass die kritische Haltung der
       Hausgemeinschaft bei Spreewater bereits Wirkung hinterlassen hat: „Die
       haben sich bei uns im Haus vertan. Das merken sie gerade.“
       
       Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags wurde über
       unangemessenes Verhalten des Vermittlers gegenüber den Bewohnern berichtet.
       Hierfür lagen uns zum Zeitpunkt der Aktualisierung keine ausreichenden
       Beweise vor.
       
       17 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mietenwatch-Gentrifizierungskiez/!5628436
   DIR [2] /Milieuschutz-in-Berlin-Neukoelln/!6015658
   DIR [3] https://www.berlin.de/sen/stadtentwicklung/quartiersentwicklung/stadterneuerung/soziales-erhaltungsrecht/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Mayer
       
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