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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine und Russland: Verheizt im Kampf für die Heimat
       
       > Die russische Armee schickt bewusst junge, unerfahrene
       > Wehrdienstleistende ins Kampfgebiet bei Kursk. Mütter der Rekruten
       > schlagen Alarm.
       
   IMG Bild: Russische Gefangene werden in einem Militärfahrzeug von Ukrainischen Soldat3en in der Region Sumy transportiert. 13. August
       
       Moskau taz | Im Juli erst seien sie eingezogen worden, Anfang August hätten
       sie den Eid zur Verteidigung der Heimat geleistet. Und jetzt? Jetzt sollen
       sie bereits [1][ins Kampfgebiet? Nach Kursk?] „Rettet unsere Jungen!“,
       schreiben Mütter von Wehrdienstleistenden aus der Region Murmansk, weit im
       Norden Russlands. Sie klingen verzweifelt.
       
       Seit dem überraschenden wie überraschend erfolgreichen Vorstoß der
       ukrainischen Armee auf russisches Territorium bei Kursk verschleiert die
       russische Führung nicht mehr, auch Rekruten im Kampf einzusetzen. Diese
       hätten sich schließlich „verpflichtet, das Vaterland zu verteidigen“, heißt
       es im russischen Verteidigungsministerium.
       
       Das Verheizen von Rekruten im Krieg ist für viele in Russland ein
       traumatisches Thema. Seit den Kriegen in Afghanistan und Tschetschenien,
       die unter hohen Verlusten von kaum ausgebildeten Wehrpflichtigen geführt
       worden waren, wühlt das Verschicken von jungen Männern an die Front viele
       in der Gesellschaft auf.
       
       Allerdings hat sich das Land seit dem Einmarsch der russischen Armee in der
       Ukraine stark verändert. Konnten Mütter damals nach Tschetschenien reisen
       und ihre Söhne buchstäblich vom Kampffeld weg herausholen, gibt es heute,
       in Zeiten von Militärzensur und Versammlungsverboten, kaum mehr
       Möglichkeiten, auf die Staatsführung legal einzuwirken.
       
       ## Viele vermisste Rekruten
       
       Zumal die wenigsten Angehörigen den Sinn von Wladimir Putins „militärischer
       Spezialoperation“ infrage stellen. „Wir sind Patrioten, Wladimir
       Wladimirowitsch!“, schreiben sie. „Wir stehen auf Ihrer Seite! Lassen Sie
       unsere Kinder nicht sterben!“
       
       Die „Kinder“ aber sterben. Oder sie geraten in Gefangenschaft. Mehrere
       Hundert Rekruten gelten derzeit als vermisst. Die ukrainische Armee
       veröffentlicht immer wieder Bilder von russischen Gefangenen. Angehörige
       finden darauf ihre gerade erst eingezogenen Söhne, Brüder, Enkel.
       Hilfsorganisationen melden eine verstärkte Nachfrage von Familien, wie sie
       ihre Söhne von der Verschickung an die Front retten können.
       
       Eltern berichten, dass ihre Söhne – kaum in der Militäreinheit angekommen –
       unter Druck gesetzt würden, Verträge mit dem Verteidigungsministerium
       abzuschließen. Dadurch gelten sie als reguläre Soldaten und nicht mehr als
       Rekruten. Egal, wie viel sie bereits gedient und ob sie überhaupt eine
       militärische Spezialisierung erworben haben.
       
       „Im Kursker Gebiet finden Kampfhandlungen statt. Es besteht Lebensgefahr
       für unsere Söhne“, heißt es im Aufruf der Mütter aus der Region Murmansk.
       In einer weiteren Petition, mit der sich Mütter von Rekruten eines
       Motorschützenregiments im Gebiet Brjansk, einer Nachbarregion von Kursk,
       direkt an den russischen Präsidenten wenden, fordern sie, die Rekruten
       nicht an der Front einzusetzen.
       
       ## Die Schaufel schwingen
       
       Die „gestrigen Schüler“ würden als „Kanonenfutter aufs Schlachtfeld“
       geschickt, schreiben sie. „Schwerbewaffnete Elite-Soldaten stehen unseren
       Kindern gegenüber, die sich in den wenigen Monaten ihrer Ausbildung nur
       eine Fähigkeit erworben haben: die Schaufel zu schwingen.“ Die Mütter
       klagen, nicht über den Standort ihrer Söhne informiert worden zu sein – und
       [2][klingen so überrascht, als wüssten sie nicht, was seit zweieinhalb
       Jahren nur unweit von ihnen geschieht].
       
       Krieg, das lehrt sie der Kreml in all den Monaten der versuchten
       Vernichtung der Ukraine mit allen Mitteln der Propaganda und der Agitation,
       sei Romantik und Heldentum. Viele Russ*innen leben in dem Glauben, als
       würde sie der Krieg in der Ukraine nicht betreffen. Selbst wenn er ihnen
       Hab und Gut und die Angehörigen nimmt, lassen sie kaum etwas auf ihren
       Präsidenten kommen.
       
       Über die Klagen der Mütter macht sich einer der führenden Kommandeure
       schlicht lustig. „Macht aus Männern keine Kinder, die mit einem Schnuller
       ins Bett gebracht werden“, sagt Apti Alaudinow von der tschetschenischen
       Spezialeinheit „Achmat“ in einer Videobotschaft. Alle, ob klein oder groß,
       müssten zusammenstehen. Und: „Es gibt nichts Besseres, als im Kampf für
       seine Heimat zu sterben.“
       
       21 Aug 2024
       
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