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       # taz.de -- Ankündigung der Regierung: Großbritannien will mehr abschieben
       
       > Die Regierung von Premier Starmer präsentiert ein Maßnahmenpaket gegen
       > illegale Einwanderung. So sollen unter anderem Abschiebezentren
       > reaktiviert werden.
       
   IMG Bild: London am 7. August: Ein einsamer Nationalist findet sich auf einer Demo gegen Fremdenhass wieder
       
       London taz | „Wir ergreifen starke und klare Schritte“ erklärte die
       britische Innenministerin Yvette Cooper am Mittwoch. Die Labour-Politikerin
       hat zahlreiche Maßnahmen angekündigt, die die Grenzsicherheit erhöhen und
       zur Abschiebung von mehr Personen, die sich ohne Erlaubnis im Vereinigten
       Königreich aufhalten, führen sollen.
       
       Zu den Maßnahmen gehören 100 neue Spezialbeamte zur Verfolgung von
       Menschenschleusergangs, welche die Überquerungen von Asylsuchenden in
       kleinen Booten über den Ärmelkanal antreiben. Sie sollen die ersten von bis
       zu 1000 sein.
       
       Außerdem sollen mehr Arbeitgeber aufgespürt werden, die Migrant:innen
       ohne Aufenthaltsgenehmigung beschäftigen. 300 Beamt:innen seien außerdem
       mit der Bearbeitung des Rückstaus von Asylanträgen beauftragt worden sein,
       der durch die starke Zunahme von Bootsflüchtlingen seit dem Brexit
       entstanden ist. Im März 2024 warteten 118.329 Personen in Großbritannien
       auf eine erste Entscheidung zu ihren Asylantrag; sie dürfen in dieser Zeit
       nicht arbeiten und werden auf Staatskosten untergebracht – ein regelmäßiger
       Kritikpunkt von Rechtspopulisten wie Nigel Farage.
       
       Weiter plant die Labour-Regierung, die Wiederöffnung mehrerer geschlossener
       Abschiebezentren mit 290 zusätzlichen Plätzen und eine deutliche Zunahme
       von Abschiebungen von Personen ohne Aufenthaltstitel – 14.500 mehr in den
       nächsten sechs Monaten, hieß es. Die beiden wiederzueröffnenenden
       Abschiebezentren waren einst wegen Mängeln geschlossen worden. Die
       Gefangenenhilfsorganisation Detention Action kritisiert, es handele sich um
       „verborgene Orte“, in denen Menschen unter haftähnlichen Bedingungen
       festgehalten würden und Zugang zu medizinischer und rechtlicher Betreuung
       versagt werde.
       
       ## Menschenrechtsgruppen zweifeln an fairen Verfahren
       
       Abschiebungen aus Großbritannien sollen auf ein Niveau gebracht werden, wie
       es zuletzt 2018 [1][unter der damaligen konservativen Premierministerin
       Theresa May der Fall], so das britische Innenministerium.
       
       Laut Innenministerium laufen derzeit über 70 Ermittlungen zu kriminellen
       Netzwerken im Zusammenhang mit illegaler Einwanderung. Um die 400 Boote und
       Bootsmotoren seien gemeinsam mit internationaler Hilfe sichergestellt
       worden. Seit dem Amtsantritt der Labour-Regierung am 5. Juli habe es
       bereits neun Abschiebeflüge gegeben, darunter der angeblich größte
       überhaupt.
       
       Die Regierung betonte jedoch, dass die verschärften Maßnahmen sowohl robust
       als auch fair und sorgfältig durchgeführt werden sollen. Dies wird von
       Menschenrechtsgruppen jedoch angezweifelt. würden. Der Direktor von
       Detention Action, James Wilson, sagte, die Wiedereröffnung von
       Abschiebungszentren sei alles andere als fair und mehr human: Bei einer
       amtlichen Untersuchung habe die Hälfte aller Personen in Abschiebezentren
       Suizid in Erwägung gezogen.
       
       Premierminister Keir Starmer hatte im Wahlkampf vor seinem Wahlsieg im Juli
       gefordert, Schleuser wie Terroristen zu verfolgen, und schärfere Maßnahmen
       gegen illegale Einwanderung versprochen als die konservative
       Vorgängerregierung. [2][Deren Abschiebeprogramm von Asylsuchenden nach
       Ruanda] konnte wegen rechtlicher Bedenken nie beginnen, aber hat nach
       Angaben der Labour-Regierung bereits umgerechnet 820 Millionen Euro
       gekostet.
       
       Die Problematisierung der illegalen Einwanderung war auch ein Thema
       [3][hinter den rechtsextremen Krawallen in England und Nordirland vor
       wenigen Wochen]. Eine am 16. August nach den rechtsextremistischen
       Aufständen veröffentlichte Ipsos-Umfrage gab an, dass 34 Prozent aller
       britischen Befragten die Einwanderung als politisches Hauptproblem – das
       erste Mal seit 2016, dem Jahr des Brexit-Referendums.
       
       Mehr als 19.000 Asylsuchende sind dieses Jahr bislang auf kleinen Booten
       über den Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen, 10 Prozent mehr als im
       Vorjahreszeitraum. Im gesamten Jahr 2023 waren es rund 29.000 gewesen, nach
       46.000 im Jahr 2022.
       
       21 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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