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       # taz.de -- Rita Süssmuth über Courage in der Krise: „Wir haben zu wenig Mitgefühl“
       
       > Die ehemalige CDU-Politikerin Rita Süssmuth hat in Kohls Kanzlerschaft
       > wichtige Ämter bekleidet. Ein Gespräch darüber, wie man handlungsfähig
       > bleibt.
       
   IMG Bild: „Ich habe das Zweifeln gekannt, aber nicht die Verzweiflung“ – Rita Süssmuth über ihre Zeit als Politikerin
       
       Unter den Linden in Berlin, in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor,
       hat Rita Süssmuth ihr Büro. Die ehemalige Gesundheitsministerin und
       langjährige Bundestagspräsidentin veröffentlichte kürzlich ein Buch, „Über
       Mut“ lautet der Titel. In der Ankündigung heißt es, dass die 87-jährige
       CDU-Politikerin, die ihre eigenen fortschrittlichen Vorstellungen
       [1][jenseits der Parteidisziplin] nie aus dem Blick verlor, sich darin
       vermutlich zum letzten Mal zu Wort meldet. 
       
       Süssmuth will mit dem Buch aufrütteln, die Angst nehmen vor den
       Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft steht mit dem Klimawandel,
       den Kriegen und den Propagandisten weltweit. Sie schreibt darüber, dass es
       sich lohnt, mutig zu sein, anzupacken, nicht zu verzagen. 
       
       Darüber will ich mit ihr sprechen. Im Vorfeld sollte ich ihr die Fragen
       schicken. Das Wort „Mut“ schien mir als roter Faden dafür geeignet, weil es
       in so vielen Varianten zum Leben und der politischen Wirkmächtigkeit der
       gläubigen Politikerin passt. Kampfesmut, Lebensmut, Demut, Großmut,
       Übermut, Todesmut, Heldinnenmut. Zu all dem kommt es aber erst mal nicht.
       Frau Süssmuth will nicht, dass Inhalte kunstvoll abgefragt werden, sie will
       ein Gegenüber, mit dem sie in Dialog treten kann. Schon als sie ins
       Konferenzzimmer tritt, sagt sie … 
       
       Rita Süssmuth: Frau Schwab, Sie sehen ja tatsächlich so aus wie auf den
       Fotos.
       
       taz: Sie auch. Und ich sehe, Sie haben meine Fragen dabei. 
       
       Süssmuth: Damit können wir uns später befassen. Aber um es gleich zu sagen:
       Ich habe keinen Todesmut. Und ich muss erst etwas von Ihnen erfahren. Mich
       interessiert, dass Sie so viel über Menschen schreiben.
       
       taz: Weil jeder Mensch etwas Eigenes, etwas Geheimes hat. Dem versuche ich
       mich zu nähern. Nicht dem Geheimnis an sich, sondern der Kraft, die die
       Person antreibt. Wie die Kraft, die Sie antreibt. 
       
       Süssmuth: Spannend. Man soll die Geheimnisse der Menschen doch auch nicht
       lüften wollen. Aber Ihnen geht es wohl um das Geheimnis des Menschseins, um
       der Menschen ganz eigene Wahrheit.
       
       taz: Nur, was ist die Wahrheit eines Menschen? 
       
       Süssmuth: Das ist eine philosophische Frage. Ich dagegen war stets mit der
       Wirklichkeitserfahrung konfrontiert. Da vor allem, wo Lösungen für
       Probleme, für Konflikte gefunden werden müssen. Und meine Frage ist immer,
       ist es wirklich ausgeschlossen, mit einem Konflikt helfender und humaner
       umzugehen? Es muss um Antworten gehen, mit denen Menschen – insbesondere
       Frauen – leben können.
       
       taz: Hat Sie das vorwärts gebracht, dass Sie andere Antworten für möglich
       gehalten haben? 
       
       Süssmuth: Ich muss sagen, was mich wirklich vorwärts gebracht hat, ist,
       dass ich an Menschen glaube. Und dass wir viel mehr Stärken haben, als wir
       uns klarmachen. Vielleicht ist das auch gut, sonst würden wir übermütig.
       Sind wir sowieso. Aber wir machen Grenzerfahrungen, die uns immer wieder
       auch in die Realität zurückholen.
       
       taz: Da ist sie ja wieder die Frage: Welche Realität? 
       
       Süssmuth: Die Menschen haben verschiedene Realitäten. Was der einen wichtig
       ist, ist dem anderen unwichtig. Nehmen wir als Beispiel Schmuck. Für mich
       ist das etwas Dekoratives, nichts, was ich mit unverzichtbarem Wert
       verbinde.
       
       taz: Obwohl Sie aus einer Familie kommen, wo es einen Uhrmacher mit
       Schmuckgeschäft gab? 
       
       Süssmuth: Trotzdem mache ich mir wenig daraus. Jetzt könnte ich sagen: Mit
       dieser Haltung erkennst du das Künstlerische am Schmücken nicht. Doch, das
       erkenne ich, aber ich brauche es nicht.
       
       taz: Sollten Sie mal Juwelierin werden wie Ihre Vorfahren? 
       
       Süssmuth: Ach wissen Sie, ich bin zwei Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg
       geboren. Und die Erfahrungen waren ganz anders als die davor und als die
       danach. Das muss ich immer berücksichtigen, diese Unterschiede der Zeit, in
       die man hineingeboren ist. Denn sie machen die Sicht auf die Wirklichkeit
       auch aus.
       
       taz: Haben Sie Kindheitserinnerungen an die Zeit im Krieg? 
       
       Süssmuth: Ich bin in Wuppertal geboren. Und ich erinnere mich, dass wir
       noch mit dem Puppenwagen auf der Straße gespielt haben.
       
       taz: Auch während des Kriegs? 
       
       Süssmuth: Damals war unser Stadtteil Oberbarmen noch nicht zerstört. Das
       benachbarte Barmen schon. Das Elternhaus meiner Mutter ist abgebrannt. Ihre
       Freundin ist verbrannt. Sie ist nie damit fertiggeworden. Hatte
       Depressionen. Ich musste Verständnis für sie haben. Aber was ich sagen
       will: Damals nach den dunklen Kriegsjahren kamen die Aufstiegsjahre. Die
       waren beherrscht von so einem Das-wollen-wir-doch-mal-sehen. Und dieses
       Das-wollen-wir-doch-mal-sehen ist bei mir auch gewachsen.
       
       taz: Das heißt, Sie haben den Umständen getrotzt? 
       
       Süssmuth: Was ich sagen will: Es hat sich bei mir dann die Opposition
       durchgesetzt. Ich war an sich ja ein braves Kind – aber dickköpfig. Wenn
       ich in die Ecke gestellt wurde, dann erwarteten meine Eltern, dass ich
       schon von alleine wieder rauskomme. Aber nein, ich blieb im Dunkeln sitzen,
       bis die kamen. Ich bettelte nicht um Erlösung.
       
       taz: Geben Sie nicht so schnell nach? 
       
       Süssmuth: Kann man sagen. Ich habe aber auch ganz früh Verantwortung
       übernehmen müssen. Der Vater im Krieg, die Mutter krank und es waren drei
       Kinder da. Nach dem Krieg sind noch zwei zur Welt gekommen. Also wenn Sie
       in der Verantwortung stehen, dann reflektieren Sie nicht jeden Augenblick.
       
       taz: Sondern? 
       
       Süssmuth: Dann müssen sie handeln. Das ist so eine Komponente, sag ich
       jetzt mal, so eine Lebenslinie, die mich ausmacht. Nicht nur in der
       Politik, auch schon vorher als Professorin an der Uni oder eben nach dem
       Krieg, als man den Kopf nicht in den Sand stecken durfte.
       
       taz: Dafür plädieren Sie in Ihrem Buch: dass man nicht nur lamentiert,
       sondern den Mut aufbringen muss, etwas gegen das, was man nicht richtig
       findet, oder vor dem man Angst hat, zu tun. Das Buch wirkt wie ein
       Vermächtnis. 
       
       Süssmuth: Ist es aber höchstens in dem Sinne, dass es aufzeigt, was mir
       wichtig ist.
       
       taz: Lässt sich Ihr Leben mit „Sie hatte Mut“ zusammenfassen? 
       
       Süssmuth: Das habe ich natürlich als Kind so nicht erlebt, sondern ich
       hatte Ängste wie andere Kinder auch. Aber ich musste gleichzeitig handeln.
       
       taz: Brauchte es dazu Mut? 
       
       Süssmuth: Schon, aber es gibt wichtige Erfahrungen, bei denen ich wirklich
       sehr viel Mut brauchte. Zum Beispiel in der Aidskrise. Damals war ich
       Gesundheitsministerin.
       
       taz: Das war Mitte der 80er Jahre, Helmut Kohl hatte Sie als
       Quereinsteigerin ins Kabinett geholt und dann mussten Sie sich fast sofort
       mit HIV und Aids befassen. Bei dem Thema gaben die Hardliner den Ton an. 
       
       Süssmuth: [2][Ich wollte eine Politik, die auf Aufklärung und Prävention
       setzt.] Andere wollten eine Politik der Ausgrenzung. Es war wichtig, dass
       ich meine Vorstellungen durchgesetzt habe gegen Kollegen der eigenen
       Fraktion. Dass mir das gelungen ist, das war der Durchbruch in meinem
       Leben. Dafür habe ich viel Mut gebraucht, es schien anfangs wirklich
       aussichtslos. Und dann kam diese starke Komponente dazu, die es erst
       möglich gemacht hat.
       
       taz: Welche? 
       
       Süssmuth: Die Unterstützung durch Aidskranke, durch Pfleger und
       Pflegerinnen und durch die Menschen auf der Straße. Es herrschte ja die
       Haltung vieler Konservativer, dass Aidskranke sündig seien und die
       Krankheit nun ihre Strafe war. „Nein, für die gebe ich keinen Pfennig“,
       sagten sie. Aber da gab es auch die anderen; ich erinnere mich an einen
       Jungen etwa, der kramt in seiner Hose, ob er nicht doch noch ein Markstück
       findet und schmeißt es in die Büchse.
       
       taz: Sind Sie selbst auf die Straße gegangen, um Geld für Ihre Aidspolitik
       zu sammeln? 
       
       Süssmuth: Ja. Und da lernt man Menschen kennen. Das waren für mich
       Urerlebnisse. Was mir mit der Aidspolitik gelungen ist, war, Menschen in
       die Eigenverantwortung zu bringen, die Kranken und die Nichtkranken, dass
       sie aufpassen, dass das Virus in Schach gehalten wird, das ist wirklich wie
       ein kleines Wunder.
       
       taz: Mut brauchten Sie vor allem, um sich politisch durchzusetzen. Gegen
       die Widersacher in Ihrer Fraktion. 
       
       Süssmuth: Das fing ganz übel an; ich war Gesundheitsministerin, was mir
       nicht half, denn Gauweiler von der CSU hatte das Sagen. Er wollte die
       Aidskranken isolieren und alle anderen Homosexuellen zwangstesten. Ich habe
       gesagt, wie oft wollen Sie sie in der Woche testen? Und was gewinnen Sie
       dabei? Sie können die Krankheit oder einen Impfstoff testen. Aber die
       Sexualität können Sie nicht testen.
       
       taz: Das klingt sehr klug. 
       
       Süssmuth: Aber der Mensch besteht nicht nur aus Klugheit. Da gibt es noch
       was anderes, nennen Sie es Seele, Gefühl oder Bauchgefühl. Und das ist
       mitunter kein schlechter Indikator. Dem bin ich gefolgt. Es ist uns Frauen
       ja immer vorgeworfen worden, wir könnten keine Politik machen, weil wir zu
       emotional seien. Ich würde heute sagen, weil wir zu wenig Emotionalität, zu
       wenig Mitgefühl in der Welt haben, steht es so schlecht um sie. Dieses
       Mitgefühl wieder zurückzugewinnen wäre jetzt dringend notwendig.
       
       taz: Warum? 
       
       Süssmuth: Weil die Menschen wieder Angst haben. Wir stehen doch vor großen
       Herausforderungen. Ich beginne mal mit unserem Planeten. Den haben wir
       übernutzt. Und jetzt merken wir: Es ist Schluss. Und die einen sagen: Das
       ist Quatsch. Und die anderen sagen: Es ist allerhöchste Zeit. Der Club of
       Rome hatte es schon in den Siebziger Jahren gesagt, dass wir den Planeten
       schonen müssen. Und wir tun es nicht. Wir haben aber keine Zeit mehr zu
       verlieren. Und den Menschen, die die Dringlichkeit sehen, sage ich: Gebt
       nicht auf.
       
       taz: Das spielt auch in Ihrem Buch eine Rolle. Sie verlangen von den
       Politikern und Politikerinnen, dass diese den Menschen die Wahrheit sagen
       über die Klimakrise, und dass radikal gehandelt werden muss. 
       
       Süssmuth: Wer das nicht tut, wiegelt ab. Und wer abwiegelt, nimmt den
       anderen nicht ernst. Aber was ich schon auch betonen muss: Es gibt viele
       Menschen, die sich gegen die Klimakrise, die Demokratiekrise stellen.
       Fridays for Future zum Beispiel. Wer sagt, die gehören nicht auf die
       Straße, dem entgegne ich: Gibt’s nicht auch noch andere Lernorte als die
       Schule?
       
       taz: Sie wollen, dass die Politik viel konsequenter gegen den Klimawandel
       vorgeht. Aber warum gehen Sie dabei so wenig ins Gericht mit Ihrer eigenen
       Partei, die den Menschen genau nicht die Wahrheit sagt. Oder mit Friedrich
       Merz, der den Klimawandel totschweigt? 
       
       Süssmuth: Am Klimawandel kommt niemand vorbei. Wir fürchten um die
       Arbeitsplätze, die davon betroffen sind. Aber dieses Thema muss mutig
       angegangen werden. Auch von unserem Parteivorsitzenden, gleichwohl das
       nicht konfliktfrei verläuft.
       
       taz: Was muss getan werden, damit die Klimakrise nicht komplett außer
       Kontrolle gerät? 
       
       Süssmuth: Es läuft auf Verzicht hinaus. Aber ich sage nicht „Verzicht“. Und
       warum nicht? Weil ich dann einen anderen Gedanken fallen lassen würde. Der,
       dass Verzicht auch ein Gewinn sein kann. Als ich mein Auto aufgegeben habe,
       habe ich das nicht als Verzicht, sondern als Notwendigkeit wahrgenommen.
       
       taz: Sie haben einfach eine andere Perspektive entwickelt. 
       
       Süssmuth: Ja. Aber ich darf an dem Punkt nicht stehenbleiben. Ich brauche
       auch die Erfahrung: Mensch, ich kann doch was verändern.
       
       taz: Haben Sie gegen massive Widerstände in Ihrer eigenen Fraktion etwas
       verändert und erreicht? 
       
       Süssmuth: Ich weiß nicht, wie viel ich erreicht habe, aber eines kann ich
       sagen: Ich habe die Menschen erreicht. Ob ich meine Fraktion erreicht habe?
       Ich glaube nicht. Aber ich habe Verbündete gefunden. Viele, auch in der
       eigenen Partei. In der Aidskrise habe ich viele Menschen gefunden, die auch
       diesen tiefen Schmerz empfunden haben. Wenn Sie den Schmerz in den Augen
       der jungen Männer gesehen haben, dann wussten sie, dass Sie etwas tun
       müssen. Und da kann ich nicht sagen: „Morgen wirst du getestet und dann
       bringen wir dich irgendwohin.“ Wir erinnern uns viel zu selten daran, wie
       schlimm es war. Damals gab es die antivirale Therapie noch nicht. Ich habe
       zu meinem Staatssekretär gesagt: „Wir müssen einen anderen Weg finden und
       wir können das.“ Ich bin stolz darauf, dass wir das geschafft haben.
       
       taz: Ich glaube, dass Sie auch recht zufrieden sind mit dem Kompromiss, den
       Sie [3][in der Frage der Abtreibung] fanden. 
       
       Süssmuth: Ich behaupte nicht, dass ich den Konflikt gelöst habe. Dieser ist
       sehr kompliziert. Aber wir können einen menschlicheren Umgang finden und
       wir können denen, die anders entscheiden, als es der Staat und die
       Gemeinschaft insgesamt wünscht, mit Respekt begegnen, und müssen Frauen,
       die abtreiben, nicht verurteilen. Ich habe die Verzweiflung der Schwangeren
       gesehen und ich habe sehr für die Selbstbestimmung gekämpft. Wir haben das
       doch erlebt, dass jahrzehntelang, jahrhundertelang der Mann über die Frau
       bestimmt hat.
       
       taz: Hatten Sie nie Zweifel, wenn Sie sich etwas in den Kopf gesetzt
       hatten? 
       
       Süssmuth: Ich habe das Zweifeln gekannt, aber nicht die Verzweiflung. Ich
       habe aber immer auch wieder das Glück gehabt, mit Menschen zusammen zu
       sein, die in schwierigen Momenten sagten: „Du darfst nicht aufhören, du
       musst durchhalten.“ Also wenn jemand nie zweifelt, dann werde ich kritisch.
       Ja, und dann bin ich auch davon überzeugt, dass wir nicht allein sind.
       
       taz: Sie meinen Gott? 
       
       Süssmuth: Ich kann es nicht definieren. Ich kann es nur spüren.
       
       taz: Ich vermute, Ihr Mann, Ihre Tochter haben Sie auch unterstützt. 
       
       Süssmuth: Ich hatte einen tollen Mann. Ich war leichtfüßiger als er, tanzte
       gerne. Er lebte schwerer. Aber da konnte ich ihm auch immer wieder helfen.
       Er war ein zuverlässiger Mensch. Loyal. Ich weiß nicht, ob und wie ich ihn
       glücklich gemacht habe. Das wird ein Geheimnis bleiben. Man hat von der
       Kraft des anderen gelebt. Aber was mir auch geholfen hat: die Musik. Ich
       liebe Musik, diese Sprache jenseits der Sprache, diese Sprache der Liebe.
       
       taz: Haben Sie auch mal geweint im politischen Umfeld? 
       
       Süssmuth: Natürlich. Das hat was Befreiendes. Und wissen Sie, niemand kann
       seine Tränen durchgehend kontrollieren.
       
       taz: Sie sind krank, haben Krebs, denken Sie, dass Sie bald loslassen
       müssen? 
       
       Süssmuth: Ich muss loslassen von Äußerlichkeiten. Aber deswegen muss ich
       mich nicht selbst loslassen, gehen lassen. Dieses Loslassen begleitet uns
       alle ein Leben lang.
       
       taz: Würden Sie Ihre Enkel gerne groß werden sehen? 
       
       Süssmuth: Bedingt. Ich freue mich, wenn Sie da sind. Ich freue mich auch,
       wenn Sie sich wohlfühlen. Aber ich glaube, da beginnt das Loslassen.
       Manches verstehe ich auch nicht und muss mich hineinfinden und sagen: Ja,
       das ist ihr Leben. Jeder hat nur eine begrenzte Reichweite. Und meine habe
       ich schon ziemlich ausgereizt. Und dann sehe ich all die Probleme, die
       Kriege, die Klimakrise …
       
       taz: Macht Ihnen das Angst?
       
       Süssmuth: Ja, es macht mir Angst. Auch diese Aggressivität. Vielleicht lebe
       ich ja noch ein bisschen. Ich möchte, dass Menschen wieder anders
       miteinander sprechen und sich in andere hineinversetzen. Wenn Sie Armut
       sehen, Menschen, die in Bahnhofsunterführungen in Decken gehüllt sind, das
       ist ein Aufschrei. Ich bin auch überzeugt, dass die Massivität, mit der uns
       gegenwärtig die ungleich behandelte Welt begegnet, ein Aufschrei ist. Wir
       haben sehr an uns gedacht, aber nicht an die anderen.
       
       taz: Sie plädieren für Empathie in der Politik. Ist es das, was man heute
       feministische Politik nennt? 
       
       Süssmuth: Ja.
       
       taz: Haben Sie feministische Politik gemacht? 
       
       Süssmuth: Ja, das habe ich. Und sehen Sie, einige sehen mich nur als
       Rebellin, diese Süssmuth, die bringt uns alles durcheinander.
       
       taz: Wohl eine kluge, eine diplomatische Rebellin? 
       
       Süssmuth: Das stimmt. Die Diplomatie ist nicht einfach nur Staatskunst,
       sondern eine menschliche Kunst.
       
       taz: Und die beherrschen Sie? 
       
       Süssmuth: Ich denke schon.
       
       1 Sep 2024
       
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