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       # taz.de -- Landtagswahlen in Ostdeuschland: Dragana, Ivo, Markus und die Silke
       
       > Auf Gruppenreise durch Dalmatien und Bosnien fragt sich unsere Autorin:
       > Könnte Deutschland eine nachholende Balkanisierung erleben?
       
   IMG Bild: „Bissi krass hier“ in Bosnien. Traditioneller Tauchwettbewerb in Mostar im Juli 2024
       
       Gruppenreise mit Deutschen durch Dalmatien und Bosnien. Dazwischen Wahlen
       in Thüringen und Sachsen. Fragen die deutschen Reisenden, wie es zum
       blutigen Ende Jugoslawiens kommen konnte, sind die Locals dran mit
       Antworten. Der eine sagt Ökonomie, die andere Identität, dann gibt es noch
       nachholende Nationalisierung, Sprache, Türkenkriege, historische Rache,
       unaufgearbeitete Vergangenheit, die Dragana und den Ivo.
       
       Fragen die Locals, [1][wie es zu Thüringen kommen konnte], sind die
       deutschen Reisenden dran. Der eine sagt Ökonomie, die andere Identität,
       dann gibt es noch Verlustängste, Russland, Wessis, allgemeine Weltlage, den
       Markus und die Silke.
       
       Es geht viel um die immer tiefer werdenden Gräben im ehemaligen Jugoslawien
       und darum, dass trotz gleicher Sprache, gleicher Menüs, gleicher
       Nachrichten immer weniger Menschen dazu bereit sind, sich offen den eigenen
       Fehlern, Verbrechen und Irrwegen zu stellen. Ein Local sagt zu den
       deutschen Reisenden: „Tja, das steht euch nun auch noch bevor.“
       
       Eher ein Satz zur Überleitung ins Gesprächsende, aber er geht mir nicht
       aus dem Kopf. Gibt es da wirklich irgendeine Parallele? Ist die deutsche
       Einheit ähnlich gescheitert wie die unter dem Slogan „Brüderlichkeit und
       Einheit“ zerfallende Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien?
       Bereitet Thüringen die Unabhängigkeitserklärung vor? Wird Russland diese
       Sezession mit Fake News und Waffen unterstützen? Oder tut es das sogar
       bereits? Findet in Ostdeutschland derzeit eine nachholende Nationalisierung
       statt, die in den 1990ern trotz aller Pogromstimmung ausblieb, weil man
       sich letztlich vom Westen schlucken ließ?
       
       Station in Mostar. Wie kann die EU so irre sein und die Bosnier nicht
       aufnehmen? Die EU hat sich um dieses waghalsige Staatengebilde nie
       geschert. Alle Jubeljahre kommt mal eine europäische Regierungspolitikerin
       hier vorbei, wirft Blumen vor einem Denkmal ab und lässt ein paar
       Notgroschen für ein bisschen Brot und Käse da.
       
       ## Frei drehende Gedanken
       
       Mitten in diese zerklüfteten Gedanken trifft die Nachricht, dass ein Junge
       in München [2][mit einer Waffe vor dem israelischen Konsulat]
       herumgelaufen, geschossen haben und erschossen worden sein soll.
       
       Es ist ein Junge aus Österreich, dessen Familie aus dem Nordosten Bosniens
       stammt. Einer Gegend, die bekannt ist für ihre nach den 1990er-Kriegen hier
       etablierten islamistischen Ausbildungs- und Feriencamps.Selten aber hörte
       man beim Besuch europäischer Politiker in Bosnien: „Bissi krass hier. Wäre
       Ihnen mit einem EU-Beitritt geholfen? Wir meinen jedenfalls, mit vereinten
       Kräften wäre es möglicherweise einfacher, Terrorzellen zu überwachen, zu
       identifizieren und für Menschen in Bosnien eine andere Vision zu finden als
       die Erfüllung in der Scharia.“
       
       Zurück zu Thüringen. Nicht ausgeschlossen, dass es in Westdeutschland
       ebenfalls zu einer sezessionistischen Bestrebung kommt. Nicht etwa, weil
       man AfD-Wähler und rechtsradikale Terrorzellen im Osten so ganz und gar
       unappetitlich fände, sondern, weil – nicht zu Unrecht – behauptet werden
       könnte: „Jahrzehntelang haben wir den Osten saniert, während bei uns
       Brücken, Straßen und Häuser wegbröckeln – es reicht!“
       
       Sicher sind das frei drehende Gedanken unter dem Eindruck einer Reise.
       Nüchtern betrachtet glaube ich auch nicht, dass Deutschland unmittelbar vor
       einem Sezessionskrieg steht.
       
       Aber der Gedanke, Deutschland könnte eine nachholende Balkanisierung
       erleben, hört sich nur für Westeuropäer absurd an. Für Menschen aus dem
       ehemaligen Jugoslawien nicht. Die meisten von ihnen hätten noch am Tag vor
       dem ersten Schusswechsel 1991 nicht geglaubt, dass dieser Staat wirklich
       auseinanderfliegt.
       
       8 Sep 2024
       
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