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       # taz.de -- Krisen am Horn von Afrika: Kann Äthiopien überleben?
       
       > Krieg in Sudan, Konflikte in Somalia, Streit um den Nil: Für Äthiopien
       > wird das regionale Umfeld immer schwieriger.
       
   IMG Bild: Auf der Flucht sind die Menschen in Port Sudan in einer Schule gelandet, 29.08.2024
       
       Unter den gut 50 Ländern Afrikas sticht Äthiopien seit jeher selbstbewusst
       hervor. Es widersetzte sich erfolgreich der fremden Eroberung und wurde nie
       kolonisiert, seine Hauptstadt Addis Abeba wurde 1963 Sitz der Organisation
       der Afrikanischen Einheit (OAU), heute die [1][Afrikanische Union (AU)].
       Äthiopien war Gründungsmitglied der Vereinten Nationen nach dem Zweiten
       Weltkrieg und nutzte seine Präsenz in New York zum Aufbau der erfolgreichen
       nationalen Fluglinie „Ethiopian Airlines“.
       
       Das andere beneidenswerte äthiopische Erfolgssymbol ist der
       [2][Riesenstaudamm GERD] (Grand Ethiopian Renaissance Dam) am Blauen Nil,
       der nach dem Baubeginn 2011 jetzt kurz vor der Fertigstellung steht – fast
       ausschließlich eigenfinanziert, auf einem Kontinent, in dem jedes
       Großprojekt ansonsten auf ausländischen Krediten fußt. Als der junge
       äthiopische Premierminister Abiy Ahmed 2019 den Friedensnobelpreis für
       seine Lösung des Konfliktes mit Eritrea erhielt, schien Äthiopiens Platz
       als Afrikas stolze Bastion von Hoffnung, Inspiration und Resilienz
       gesichert.
       
       Aber es kam anders. Während die Welt 2020 bis 2022 die Covid-19-Pandemie
       bekämpfte, kämpfte Äthiopien gegen sich selbst: die Zentralregierung gegen
       das rebellische Volk der Region Tigray, in einem [3][brutalen,
       verlustreichen Bürgerkrieg]. Und seitdem wird es nicht besser.
       
       Sechs Monate, bevor Abiy seinen Nobelpreis zugesprochen bekam, wurde im
       Nachbarland Sudan Militärherrscher Omar Bashir gestürzt – am 11. April
       2019, genau vierzig Jahre nach dem Sturz des Militärdiktators Idi Amin in
       Uganda am 11. April 1979 – und Äthiopien bekam ein neues Sicherheitsproblem
       direkt nebenan. Der Nachbar versinkt heute in Konflikten. Sudans Staat ist
       zerfallen, zwei gleich starke Fraktionen kämpfen um die Macht und die
       Bevölkerung ist auf der Flucht.
       
       ## Islamisten „made in Sudan“
       
       Im abgespaltenen Südsudan ist die Situation ähnlich, wenn nicht schlechter.
       Sudans Kollaps ist ein Problem für Äthiopien, für Afrika, für die ganze
       Welt. Der internationale Islamismus hat nun ein großes, fruchtbares Gebiet,
       in dem er sich frei organisieren und konsolidieren kann – ähnlich wie schon
       seit Langem in Äthiopiens östlichem Nachbarland Somalia, wo die
       islamistischen [4][Shabaab-Rebellen] sich darauf einstellen, ihre Macht
       auszubauen, wenn die Eingreiftruppe der Afrikanischen Union Ende des Jahres
       abzieht, nach fast zwei Jahrzehnten fragiler Friedenssicherung.
       
       In einem Umfeld zerfallender Staaten ist Äthiopiens Suche nach ökonomischer
       Emanzipation – die mit dem GERD-Staudamm generierte Wasserkraft soll auf
       absehbare Zeit Äthiopiens Bedarf übersteigen und daher in die Nachbarländer
       exportiert werden können, was Geld und Einfluss sichert – nicht mehr ganz
       so einfach. Der Staudammbau hat Äthiopien in Konflikt mit dem militärisch
       und ökonomisch stärkeren Ägypten gebracht.
       
       Ägypten sieht in dem Staudamm eine Bedrohung seiner jahrtausendealten
       Vorrechte auf das Wasser des Nils als Quelle seiner Zivilisation. Bisher
       konnte Sudan, das zwischen beiden Ländern liegt, eine friedliche
       Konfliktlösung zwischen diesen Giganten mit 129 Millionen (Äthiopien) und
       110 Millionen (Ägypten) Einwohnern fördern: Es ist ebenso wie Ägypten
       abhängig vom Nilwasser, soll aber auch vom Strom aus Äthiopien profitieren.
       Mit dem Chaos in Khartum fällt Sudan als Partner aus.
       
       [5][Sudan zerfällt], Somalia steht vor einem Rückfall in Anarchie, die
       eigenen inneren Spannungen sind noch nicht überwunden – Äthiopien wird viel
       Glück brauchen, um aus dieser multiplen Krise herauszufinden und auch in
       Zukunft einen Leuchtturm ökonomischer und ideologischer Inspiration für
       Afrika darstellen zu können. Vielleicht sogar ein Wunder.
       
       8 Sep 2024
       
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