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       # taz.de -- Hilfsmittel bei Wettkämpfen: Schneller, höher, stärker
       
       > Die Enhanced Games möchten alle Hilfsmittel erlauben, die bei Olympischen
       > Spielen verboten sind. Was ist am Leistungssport überhaupt noch
       > natürlich?
       
   IMG Bild: Mit welchen Mitteln: 10.000 Meter Läuferinnen während der Olympischen spiele in Paris 2024
       
       Endspurt in der zehnten Etappe der Tour de France 1997 nach Andorra,
       [1][Jan Ullrich] beginnt den Anstieg, der sich über Serpentinen hoch in die
       Pyrenäen windet. Immer wieder dreht er den Kopf, schaut über die Schulter.
       Nur wenige Meter trennen ihn von seinem Verfolger, dem Italiener Marco
       Pantani. Ullrich zieht an, legt den Körper in den Lenker. „Jetzt räumt er
       die Gegner richtig ab“, brüllt eine Moderatorenstimme bei Eurosport,
       während „Ulle“ den Abstand vergrößert und schließlich seinen ersten
       Etappensieg einfährt. Später folgt der Sieg der Tour. Jan Ullrich wird zur
       deutschen Radsportlegende – bis 2006 herauskommt, dass er unter anderem mit
       Epo gedopt hat und er für sämtliche Wettkämpfe gesperrt wird.
       
       Epo ist ein Hormon, das die Produktion von roten Blutkörperchen im Blut
       anregt. Künstlich zugeführt, wie bei Ullrich, verbessert es die Ausdauer
       durch eine erhöhte Menge roter Blutkörperchen. Es kann aber auch das Risiko
       für Thrombosen, Schlaganfälle und Herzinfarkte erhöhen. Seit 1990 ist es
       [2][in internationalen Wettkämpfen verboten].
       
       ## Die verbesserten Spiele
       
       Bis jetzt. Eine neue Sportveranstaltung möchte das Medikament zulassen.
       Enhanced Games, auf Deutsch „verbesserte Spiele“, lautet ihr Name. Hier
       hätte man Ullrich für seinen Konsum gefeiert, ja sogar dazu ermutigt,
       weiter zu spritzen. Auch [3][alle anderen Dopingmittel] sollen bei der
       Veranstaltung erlaubt sein. Ab dem kommenden Jahr soll sie stattfinden. Das
       klingt erst mal absurd, aber wie natürlich ist Leistungssport überhaupt?
       
       Überhaupt nicht, würde die Antwort lauten, [4][ginge es nach den Enhanced
       Games]. Drogen, anabole Steroide so wie Hilfsmittel jeglicher Art sollen
       erlaubt sein, um Athlet:innen zu neuen Bestleistungen zu verhelfen.
       Damit möchte man ein Gegenmodell zum herkömmlichen Sport und speziell den
       [5][Olympischen Spielen] etablieren.
       
       Wagniskapitalgeber haben bereits mehrere Millionen Dollar in das Projekt
       investiert. Der größte von ihnen ist Peter Thiel, Paypal-Mitgründer,
       Superliberaler und Großspender für Donald Trump. Athlet:innen werden mit
       hohen Preisgeldern gelockt. Für einen neuen Weltrekord sollen
       Sportler*innen eine Million Euro erhalten.
       
       Ob die verbesserten Spiele Realität werden, ist jedoch fraglich. Irgendwann
       in der zweiten Jahreshälfte von 2025 sollen die Spiele das erste Mal
       stattfinden. Ursprünglich war der Termin mal auf 2024 gesetzt. Bis heute
       ist der Austragungsort unbekannt.
       
       Die internationale Sportgemeinschaft zeigt sich über die Idee empört. „Wenn
       man jegliche Art von Fair Play (…) vernichten möchte, wären die Enhanced
       Games eine gute Möglichkeit, um das zu erreichen“, schreibt das
       Internationale Olympische Komitee (IOC) in einem Statement. Ein schlechter
       Witz sei die Sportveranstaltung in den Augen von Sebastian Coe, dem
       Präsidenten des Welt-Athletikverbands WA.
       
       Was die meisten Sportveranstaltungen von den verbesserten Spielen
       unterscheidet: Sie halten sich an die Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur
       Wada. Diese gibt in einer jährlich aktualisierten Liste vor, welche
       Hilfsmittel, Substanzen oder Trainingstechniken erlaubt sind und welche
       nicht.
       
       Damit möchte die Wada den „Geist des Sports“ wahren. Dieser Geist bestehe
       darin, den Wettkampf zwischen natürlichen Athleten aufrechtzuerhalten und
       „den menschlichen Körper zu zelebrieren“.
       
       ## Unnatürliche Hilfsmittel
       
       Aber wie natürlich ist der Wettkampf bei herkömmlichen Sportveranstaltungen
       wie den [6][Olympischen Spielen] oder der [7][Tour de France]? Schließlich
       machen sich Sportler:innen auch heute schon Technik und Wissenschaft
       zunutze, um den entscheidenden Zentimeter höher zu springen und die
       Millisekunde schneller zu laufen.
       
       Beim simulierten Höhentraining etwa setzen sich Athlet:innen einem
       künstlich erzeugten Sauerstoffmangel aus. Dafür begeben sie sich in
       Kammern, die den Luftdruck verändern, oder trainieren mit Masken, die die
       Sauerstoffzufuhr reduzieren. Als Folge produziert der Körper mehr Epo,
       damit sich mehr rote Blutkörperchen im Blut befinden, um den geringeren
       Sauerstoffgehalt auszugleichen. Wenn man das Training oft genug wiederholt,
       bleibt der erhöhte Gehalt an roten Blutkörperchen auch während des
       Wettkampfs bestehen und sorgt dafür, dass Athlet:innen mehr Ausdauer
       haben.
       
       So hat Höhentraining denselben Effekt wie die künstliche Epo-Zufuhr: ein
       erhöhter Gehalt roter Blutkörperchen im Blut. Warum ist das eine erlaubt,
       aber das andere nicht?
       
       „Natürlichkeit im Sport meint, dass die Kraft bei einem Wettkampf im
       Wesentlichen vom Körper erbracht werden muss“, sagt Gunter Gebauer,
       Sportphilosoph an der Freien Universität Berlin. Dass man künstliche Mittel
       einsetzt, um die Kraft des Körpers zu stimulieren, sei mit diesem Ideal zu
       vereinbaren, solange sichergestellt wird, „dass der Körper die Instanz ist,
       die die Leistungssteigerung bewirkt“.
       
       ## Keine klare Grenze
       
       Doping beginnt also dort, wo die Kraft des Körpers auf eine Art und Weise
       erweitert wird, die über die körperlichen Grenzen hinausgeht. „Substanzen
       werden verboten und gelten als Dopingmittel, wenn sie eine unphysiologische
       Reaktion hervorrufen“, sagt Gebauer.
       
       Beim Höhentraining schüttet der Körper das Epo dabei selbst aus. Um es mit
       den Worten der Wada auszudrücken: Höhentraining steigert das „natürliche
       Talent des Körpers“, Epo-Doping nicht.
       
       ## Prothesen als Streitpunkt
       
       Ein weiterer Schauplatz, auf dem über die Frage der Natürlichkeit
       gestritten wird, sind Prothesen im Leistungssport. Der WA verbot sie als
       technische Hilfsmittel in verschiedenen Fällen bei den Olympischen Spielen.
       „Die Prothese, die Athlet:innen beim Sport benutzen, ist nicht die
       Prothese, die sie auch im Alltag benutzen. Sie wird nur für den Sport
       gebraucht. Das unterscheidet sie vom körpereigenen Bein“, sagt der
       Sportphilosoph. Auch aus der Biomechanik gibt es Stimmen, die die
       Vergleichbarkeit von Prothesen und Körperteilen anzweifeln.
       
       Mit der Idee des natürlichen Wettkampfs lässt sich ein Verbot von Prothesen
       also erklären. Wie sinnvoll das ist und inwiefern es mit dem Ziel der
       Gleichstellung kollidiert, ist eine andere Frage.
       
       ## Ein Katz-und-Maus-Spiel
       
       Während die Doping-Kontrolleur:innen immer neue Nachweismethoden
       entwickeln, sind die Dopenden immer auf der Suche nach neuen Mitteln. „Man
       kann immer nur die Hilfsmittel aus dem Sport verbannen, deren unnatürliche
       Wirkung nachgewiesen wurde“, sagt Gebauer. Weil Sportartikelhersteller und
       Pharmakonzerne regelmäßig neue Produkte auf den Markt bringen, öffnen sich
       immer wieder Zeitfenster, in denen eine Technologie oder ein Medikament
       erlaubt ist, weil man den Doping-Effekt einfach noch nicht nachweisen kann.
       
       Neuartige Sprintschuhe, wie sie Athlet:innen bei den Olympischen Spielen
       2024 trugen, könnten so ein Mittel sein. „Super Spikes“ nennt sich die neue
       Schuhart. Eine [8][Carbon-Platte in der Mittelsohle] und einen speziellen
       Schaumstoff sollen den Schuh leichter und dynamischer machen.
       
       Eine kürzlich erschienene Studie der Universität Michigan fand heraus, dass
       die Schuhe die Leistung der Athlet:innen um bis zu zwei Prozent steigern
       können. „Wenn die Schuhe die Leistung um zwei Prozent steigern, verfälschen
       sie den Wettkampf völlig“, sagt Gebauer. „Ich gehe stark davon aus, dass
       sie verboten werden.“ Noch aber sind sie erlaubt.
       
       Die britische Zeitschrift The Telegraph hat die Leichtathletikrennen ab 800
       Meter aufwärts untersucht und festgestellt: Alle Goldmedaillen wurden von
       Athlet:innen mit Super Spikes gewonnen.
       
       ## Streben nach einem Ideal
       
       Was unterscheidet herkömmliche Sportarten also von den Enhanced Games?
       Schließlich gibt es auch hier Hilfsmittel wie die Super Spikes. Das
       Epo-Höhentraining zeigt aber: ob natürlich oder unnatürlich kann im
       Endeffekt aufs Gleiche hinauslaufen. „Eine ganz klare Grenze zu den
       Enhanced Games wird man nie ziehen können“, sagt Gebauer.
       
       Als Ideal wird im herkömmlichen Sport Natürlichkeit angestrebt. Das
       unterscheidet ihn von den Enhanced Games – einer Veranstaltung, bei der die
       beste Substanz das Rennen gewinnt, die beste Prothese das schwerste Gewicht
       stemmt. „Wenn man das Ideal der Natürlichkeit aufgibt, geht im Sport eine
       große Qualität verloren“, sagt Gebauer. „Die Faszination bei einem Sprint
       besteht eben darin, dass man nicht auf einem Moped sitzt oder angeschoben
       wird, sondern die Kraft mit dem Körper verrichtet.“
       
       10 Sep 2024
       
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