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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Brand in Tschernobyl-Schutzzone
       
       > Die ukrainische Feuerwehr versucht seit Tagen vergeblich, der Flammen
       > Herr zu werden. Laut Ministerium liegt die radioaktive Belastung im
       > Normbereich.
       
   IMG Bild: Der 1986 explodierte Reaktor im AKW Tschernobyl ist von einer Schutzhülle aus Stahl und Beton bedeckt
       
       Berlin taz | Die ukrainische Feuerwehr kann seit mittlerweile sechs Tagen
       einen Brand in der Tschernobyl-Schutzzone nicht löschen. Am Samstagabend
       hatte das ukrainische Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen auf
       seinem Internetportal berichtet, eine Fläche von 2.600 Hektar stehe in
       Flammen.
       
       Noch zwei Tage zuvor hatte das Ministerium von 550 Hektar gesprochen, die
       von dem Brand betroffen seien. Aktuell, so das Ministerium, seien 561
       Rettungskräfte und 141 Löschmaschinen im Einsatz. Alle seien mit
       Atemschutzgeräten ausgerüstet. [1][Erschwert würden die Löscharbeiten, so
       das Ministerium, durch Minen]. Vier Sprengsätze seien von Pyrotechnikern
       der Streitkräfte entschärft worden.
       
       Gleichzeitig berichtete das Ministerium, dass die radioaktive Belastung im
       Normbereich liege. Wohl nirgendwo sonst in der Ukraine sind potentielle
       nukleare Gefahrenherde so konzentriert wie in der Sicherheitszone um das
       AKW Tschernobyl. Gefahrengut lagert nicht nur in dem havarierten Reaktor.
       
       Dort hatten sich zum Zeitpunkt der Katastrophe im April 1986 190 Tonnen
       atomarer Brennstoff befunden. 2019 wurde der Reaktor mit einer neuen,
       36.000 Tonnen schweren und 2,2 Milliarden Euro teuren Schutzhülle
       abgedeckt. Für die nächsten 100 Jahre gehe von dem Reaktor keine Gefahr
       mehr aus, heißt es.
       
       ## Verstrahlte Fahrzeuge
       
       In dem seit der Katastrophe verlassenen Dorf Burjakowka, zwölf Kilometer
       vom Reaktor entfernt, liegen abgewrackte und verstrahlte Fahrzeuge und
       Geräte, die kurz nach der Havarie 1986 zum Einsatz gekommen waren, unter
       freiem Himmel. Elf Kilometer vom Reaktor entfernt liegt der „Komplex
       Vektor“. Auf diesem befindet sich ein oberirdisches Lager für festen
       niedrig- und mittelaktiven Atommüll aus der gesamten Ukraine. Und keine
       fünf Kilometer vom Reaktor entfernt liegt in den Räumlichkeiten des
       oberirdischen, von der US-amerikanischen Firma Holtec International
       gebauten Lagers Pidlisni abgebrannter Brennstoff aus allen ukrainischen
       AKWs.
       
       Eine Zäsur für die Tschernobyl-Zone war die zeitweise Besetzung durch
       russische Truppen vom 24. Februar bis zum 2. April 2022. In dieser Zeit
       hatten russische Militärs Ausrüstungsgegenstände, Hardware und
       Spezialausrüstung geraubt. Anfang Juni 2022 schätzte die staatliche
       ukrainische Agentur für die Verwaltung der Sperrzone den entstandenen
       Schaden auf 135 Millionen Dollar.
       
       Oleksandr Kharchenko, Direktor des ukrainischen Energieforschungszentrums,
       sieht in den Schaltanlagen der ukrainischen Kernkraftwerke, die weitgehend
       ungeschützt seien, die Achillesferse des ukrainischen Energiesektors. „Wenn
       sie bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt in mindestens einem Kraftwerk
       kaputtgehen, ganz zu schweigen von eisigen Temperaturen, werden wir in eine
       sehr schwierige Lage kommen“, zitiert ihn der ukrainische Fernsehkanal TSN.
       Russische Propagandisten, so TSN, sprächen bereits über Schaltanlagen von
       AKWs als möglichem nächsten Ziel russischer Angriffe.
       
       Doch nicht nur direkte Angriffe auf AKWs können zu einer Nuklearkatastrophe
       führen. In einem Schreiben an die Internationale Atomenergiebehörde IAEA
       warnte die ukrainische Vertretung bei den in Wien ansässigen Organisationen
       Ende August vor weiteren russischen Luftschlägen auf das ukrainische
       Energienetz. Auch diese gefährdeten die Strahlensicherheit.
       
       ## „Signifikantes Risiko“
       
       So habe Ende August ein Reaktor des AKW Rivne wegen „Fluktuationen im
       Stromnetz“, verursacht durch die russischen Angriffe, kurzfristig vom Netz
       genommen werden müssen. Die russischen Angriffe, so der Text weiter, seien
       ein „signifikantes Risiko“ für einen stabilen Betrieb der
       Nukleareinrichtungen in der Ukraine und gefährdeten so die Sicherheit von
       Millionen von Menschen.
       
       Auch in Russland fürchtet man, dass die Ukraine die russische
       Atomwirtschaft angreift. „Tschernobyl wird nur wie ein Aufwärmen erscheinen
       im Vergleich zu dem, was passieren wird, wenn ein Reaktor vom Typ RBMK-1000
       angegriffen werden sollte“, zitieren russische Medien Rosatom-Chef Alexej
       Lichatschow nach dessen Gesprächen mit [2][IAEA-Chef Rafael Grossi] in
       Kaliningrad. Dass Russland das Risiko durch ein Herunterfahren des Reaktors
       im AKW Kursk verringern könnte, scheint man dort wohl nicht zu überlegen.
       
       8 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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