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       # taz.de -- Rezepte gegen Konjunkturflaute: Mario Draghi will EU-Marshallplan
       
       > Laut Ex-EZB-Chef Draghi steht es schlecht um die EU-Industrie. Doch seine
       > Ideen für mehr Wettbewerbsfähigkeit kommen nicht bei allen gut an.
       
   IMG Bild: Große Freude bei Ursula von der Leyen über Draghis Bericht zu Europas Wettbewerbsfähigkeit
       
       Brüssel taz | [1][Konjunkturflaute in Deutschland], [2][Krise bei VW],
       Existenzangst bei Thyssen-Krupp: Die Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft
       reißen nicht ab. Nun setzt ein prominenter Experte einen drauf: Ohne einen
       neuen Marshallplan könne Europa nicht mehr im Wettbewerb mit den USA und
       China bestehen, sagte der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario
       Draghi, am Montag in Brüssel.
       
       „Dies ist eine existenzielle Herausforderung“, warnte der Euro-Retter aus
       Italien. Europa drohe ohne einen radikalen Kurswechsel eine „langsame
       Agonie“. Nötig seien zusätzliche Investitionen von 750 bis 800 Milliarden
       Euro pro Jahr, rechnete Draghi vor. Das wäre mehr als doppelt so viel Geld,
       wie der US-finanzierte Marshallplan nach dem Ende des 2. Weltkriegs in
       Richtung Europa gepumpt hat.
       
       Um so hohe Summen aufzubringen, könne man sich nicht all-ein auf private
       Investoren verlassen, so Draghi. Die EU müsse über eine gemeinsame
       Finanzierung nachdenken – wenn möglich über neue Schulden nach dem Vorbild
       des [3][Corona-Aufbaufonds]. Außerdem müssten die hohen Energiepreise
       runter. Draghi plädiert auch für weniger EU-Bürokratie und mehr Freiheit
       für Konzerne und Fusionen.
       
       Sein Bericht zur „Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ liest sich
       wie eine Abrechnung mit der bisherigen Politik. Die EU könne sich nicht
       länger auf ihren Binnenmarkt und den Handel verlassen, heißt es. Durch den
       Wegfall der günstigen Energie aus Russland habe Europa einen
       Wettbewerbsnachteil erlitten. Zugleich drohe man den wichtigen Markt in
       China zu verlieren.
       
       ## Günstige Preise kommen nicht an
       
       Das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit selbst stellt Draghi allerdings nicht
       infrage. Und am „Green Deal“, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
       Leyen lanciert hat, äußert er nur leise Kritik: Bisher sei das versprochene
       Wachstum ausgeblieben. Die EU produziere zwar mehr grüne Energie – doch
       günstige Preise kämen nicht beim Verbraucher an.
       
       Von der Leyen vermied es, auf diese Kritik einzugehen. Draghis Empfehlungen
       würden in das Arbeitsprogramm für die neue EU-Kommission eingehen, sagte
       sie. Mit dem „Clean Industrial Deal“, einer industriefreundlichen Variante
       des „Green Deal“, sei man schon auf dem richtigen Weg. Woher die Milliarden
       kommen sollen, die Draghi fordert, blieb jedoch offen. Deutschland hat sich
       bereits gegen neue Schuldenprogramme ausgesprochen. Laut den neuen
       Schuldenregeln, die in diesem Herbst greifen, müssen die meisten
       Mitgliedstaaten sparen.
       
       Bleibt Draghis Weckruf also ungehört? „Draghis Mut darf nicht von
       nationalen Bedenkenträgern ausgebremst werden“, warnt der grüne
       EU-Abgeordnete Rasmus Andresen. „Wir brauchen moderne und klimaresiliente
       Infrastruktur und mehr Innovationen.“ Deshalb begrüße er den starken Fokus
       auf öffentliche und private Investitionen. „Es darf nicht bei Berichten
       bleiben, am Ende zählt die Umsetzung“, kommentiert der
       CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. „Der Patient Europa ist schwer
       angeschlagen.“ Aussicht auf Heilung gebe es nur, wenn die
       Wettbewerbsfähigkeit zur obersten Priorität wird.
       
       Anders klingt es bei Fabio De Masi vom Bündnis Sahra Wagenknecht: Die
       europäische Wettbewerbsfähigkeit sei ein Auslaufmodell. Der Draghi-Plan
       sehe auch die Erhöhung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit vor, was Löhne
       und Renten drücken könne, so De Masi. „Draghi geriert sich als
       vermeintlicher Retter der EU, der Europa wieder wettbewerbsfähig macht“,
       sagt auch Linken-Ko-Fraktionschef Martin Schirdewan. Das bedeute in seiner
       Logik nichts anderes als Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen.
       
       9 Sep 2024
       
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