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       # taz.de -- Nomadenfestspiele in Kasachstan: Professionell traditionell
       
       > Die World Nomad Games verstehen sich als Alternative zu Olympia. Das
       > Event dient in Kasachstan auch der Rückbesinnung auf die nomadische
       > Identität.
       
   IMG Bild: Ein Knäuel aus Mensch und Tier: Audaryspak ist ein Ringwettkampf vom Pferd aus
       
       Wie Boxer in den Ring, so betreten die beiden Reiter die Freiluftmanege am
       staubigen Stadtrand von Astana. Im Hintergrund rahmen auf der einen Seite
       drei lebensgroße Modelle der sowjetischen Trägerraketen Sojus, Zenit und
       Proton den Horizont ein, auf der anderen Seite ragen die vier Minarette der
       riesigen Hauptmoschee hervor.
       
       Mit dröhnender Stimme werden Ermek Kuralbay aus Kasachstan und Jensenbek
       Turdibekov aus Kirgistan angekündigt, beide haben ihre gestählten
       Oberkörper in einen roten und blauen Samtumhang gehüllt. Am Jubel wird
       klar, für wen das Herz des kasachischen Publikums schlägt. Audaryspak heißt
       die Sportart, bei der die Reiter versuchen, den Gegner aus dem Sattel und
       vom Pferd zu hieven. Mit dem Startschuss werfen die Sportler die Umhänge ab
       und es bildet sich direkt ein Knäuel aus Mensch und Tier.
       
       Wie viele Ringsportarten ist auch Audaryspak sehr technisch und für das
       ungeübte Auge nur schwer zu bewerten. Nach eineinhalb Minuten unterbricht
       der ebenfalls berittene Schiedsrichter das Gezerre. Es geht zum
       Videobeweis. Am Ende heißt es Sieg für Kuralbay und Kasachstan geht wie so
       oft am ersten Turniertag der fünften World Nomad Games mit Gold vom Platz.
       
       Im größten Binnenstaat der Erde hätte es sicher malerischere Orte für die
       Nomadenfestspiele gegeben, aber hier, in der futuristischen Hauptstadt
       inmitten der unwirtlichen kasachischen Steppe, gelingt es den Organisatoren
       wohl am besten, das gewünschte Bild zwischen Tradition und Moderne zu
       zeichnen.Die World Nomad Games sind zu einer Marke geworden, die sowohl
       Individualreisende und Travelblogger als auch internationale Medien nach
       Zentralasien lockt.
       
       ## Schmaler Grat zwischen Tradition und Moderne
       
       „Die World Nomad Games wurden 2014 von Kirgisistan ins Leben gerufen, um
       das Land und seine nomadische Kultur auf der Weltbühne zu präsentieren.
       [1][Nach zwei erfolgreichen Austragungen in Kirgistan] und einer
       [2][Episode in der Türkei] übernahm nun Kasachstan die Organisation der
       Spiele. Der Sportminister Yermek Marzhikpayev kündigte gleich an, dass das
       Turnier „auf das Niveau der Olympischen Spiele“ gehoben werden soll.
       
       Mit Sportarten wie Kökpar, einer Art Polo, bei dem zwei berittene Teams
       versuchen, eine Ziegenattrappe in einem Zielkreis zu platzieren,
       verschiedenen Reit- und Ringdisziplinen sowie nomadischen Strategie- und
       Geschicklichkeitsspielen wollen die World Nomad Games eine Alternative zu
       den Olympischen Spielen sein. Im Medaillenspiegel tauchen entsprechend
       nicht die reichen Industrienationen vorne auf, sondern Kasachstan,
       Kirgistan und Usbekistan. Und doch ist es ein schmaler Grat zwischen
       traditionellem Nomadensport und der Professionalisierung der Spiele.
       
       Abgesehen von den Wettkämpfen ist am Stadtrand von Astana nahe einer
       achtspurigen Straße wenig traditionelles Flair zu spüren. Im Ethnodorf, in
       dem ein Kulturprogramm mit nomadischer Folklore, Trachten und Musik geboten
       wird, stehen Jurten und Plastikzelte auf Kunstrasen mitten im Nirgendwo. Es
       gibt zentralasiatisches Essen aus großen Töpfen, aber auch auf ihren Iced
       Latte müssen die Nomaden hier nicht verzichten – große Kaffee-Franchises
       haben ihre Siebträgermaschinen ins Jurtendorf gekarrt.
       
       „Die kasachische Elite hat eigentlich erst in den letzten Jahren eine
       Rückbesinnung auf ihre nomadische Identität entdeckt“, sagt Ulan Bigozhin
       von der Nazarbayev-Universität in Astana. Unter dem vorherigen Präsidenten
       sei der Blick mehr nach Westen gerichtet gewesen und es wurde mehr Wert
       darauf gelegt, möglichst zukunftsorientiert zu erscheinen – wie 2017 mit
       der Weltausstellung Expo in der Hauptstadt. „Jetzt sieht man öfter
       traditionelle Kleidung und auch Pferdesport spielt wieder eine größere
       Rolle“, erklärt Bigozhin weiter. Gerade [3][in der aktuellen politischen
       Situation] – Kasachstan grenzt an China und Russland und hat eine große
       russischsprachige Minderheit – spielt nationalistische Symbolik eine
       größere Rolle.
       
       Dennoch ist die Stimmung bei den einzelnen Wettkämpfen sehr fair.
       Sportler:innen aus „kleineren“ Staaten wie etwa den USA oder der Türkei
       werden bejubelt, auch wenn sie gegen die zentralasiatischen Favoriten keine
       Chance haben. So bricht im Hippodrom Jubel aus, als der Präsident des
       türkischen Pferdesportverbandes verkündet, dass er seinen Spielern für
       jeden erzielten Punkt im Ziegenpolo ein Pferd schenken werde. Die
       Ankündigung zeigt Wirkung – zumindest im Spiel gegen die ebenfalls
       chancenlosen Ungarn. Den Kampf um die Goldmedaille machen allerdings – wie
       in fast allen Disziplinen – Kasachstan und Kirgistan unter sich aus.
       
       11 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dénes Jäger
       
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