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       # taz.de -- Marode Infrastruktur in Dresden: Eingestürzte Brücke als Warnung
       
       > In Dresden ist ein Teil der wichtigsten Elbbrücke in der Stadt
       > zusammengebrochen. In ganz Deutschland müssen tausende Brücken saniert
       > werden.
       
   IMG Bild: Teile der Carolabrücke über der Elbe sind eingestürzt, die wurde von Straßenbahnen, Radfahrern und Fußgängern genutzt
       
       Das neue Symbolbild für den maroden Zustand der [1][Infrastruktur] in
       Deutschland hat eine makabre Ästhetik: Nahezu symmetrisch ist der frei
       gespannte Mittelteil der Carolabrücke in Dresden zwischen den Pfeilern in
       die Elbe gestürzt. Zwei Rampen führen zu einem horizontal im Wasser
       liegenden Abschnitt. Beim Näherkommen ist der Rad- und Gehweg, der über
       diesen parallelen Teil der drei Brückenzüge führte, ebenso gut zu erkennen
       wie die Straßenbahnschwellen. Die Schienen aber hängen unzertrennt ebenso
       wie der Fahrdraht auf halber Höhe in der Luft. Über allem thront im
       Hintergrund der Kronenturm der Sächsischen Staatskanzlei.
       
       Um 2.50 Uhr am Mittwochmorgen fuhr die letzte Straßenbahn über die Brücke,
       18 Minuten später stürzte diese Brückenbahn ein. Am Morgen dominierte
       deshalb bei allen Verantwortlichen die Erleichterung, dass weder Fußgänger
       noch Fahrzeuge die Brücke passierten und niemand zu Schaden kam.
       
       „Das ist ein Morgen, den sie nie erleben wollen“, begann dennoch Holger
       Kalbe, der Abteilungsleiter Brücken und Ingenieurbauwerke der Stadt, sein
       Statement. Als er sich dann zu vermuteten Ursachen des Unglücks äußerte,
       ging aber ein leichtes Raunen durch die am Terrassenufer versammelte
       Pressekonferenz. „Das ist ein Risiko, mit dem wir uns seit Jahren
       auseinandersetzen!“ Man weiß, dass es zu DDR-Zeiten massive Chlorideinträge
       gab, unter anderem durch Winterstreusalz. Lange mangelte es an
       ausreichender Wartung. Kalbe schließt deshalb Korrosion an der
       Spannbetonbrücke nicht aus, begünstigt durch Oberleitungs- und Lichtmasten.
       Seit 2019 wurden mit modernem Carbonbeton die beiden anderen Bahnen
       saniert. Die Arbeiten waren im Juni dieses Jahres beendet, die Sanierung
       des nun eingestürzten Brückenzuges sollte im kommenden Jahr beginnen.
       
       ## Angst vor Niederschlägen am Wochenende
       
       Die 1971 eröffnete Nachfolgerin der ersten Carolabrücke war ursprünglich
       der Stolz sozialistischer Verkehrsplanung und die wichtigste
       Nord-Süd-Verbindung über die Elbe in Dresden. Die drei Brückenzüge waren
       miteinander verbunden. Ein Querriegel ist an der Abbruchstelle gut
       erkennbar.
       
       Abteilungsleiter Kalbe sieht deshalb die Prüfung der verbliebenen
       Brückenzüge A und B als vordringliche Aufgabe an. „Der Gesamtbrückenzug hat
       sich durch den Teileinsturz zusammengezogen“, erläutert er, auf einer Seite
       liege er „nur noch auf den letzten Zentimetern auf“. Ein Abbruch ist
       wahrscheinlich. Zunächst aber muss ein Konzept erarbeitet werden, wie der
       in die Elbe gestürzte Teil entfernt werden kann.
       
       Denn die Sperrung der Carolabrücke, des darunterliegenden Terrassenufers
       und der Elbschifffahrt ist nur der Anfang einer Reihe noch unübersehbarer
       Folgen des Unglücks. Die Sächsische Dampfschifffahrt verzeichnet sonst im
       September den höchsten Zuspruch an Touristen. Jetzt aber ist die Elbe schon
       etwa einen Kilometer stromaufwärts komplett gesperrt. Geschäftsführer
       Stefan Bloch spricht von einem „finanziellen Desaster“, eine Versicherung
       für einen solchen Fall gibt es nicht. Er kann aber auch seine Verärgerung
       über die „Fahrlässigkeit“ der städtischen Bau- und Verkehrsbehörden nicht
       verbergen. Abteilungsleiter Kalbe hatte den offenbar schlimmen
       Brückenzustand als „nicht vorhersehbar“ bezeichnet.
       
       Mit Sorge wird nun auf erwartete Starkniederschläge am bevorstehenden
       Wochenende geblickt. Die Elbe könnte einen Pegel von 5 Metern erreichen.
       Die Fernwärmeversorgung durch anfangs ausgetretenes Heißwasser ist offenbar
       weniger gefährdet.
       
       ## Großer Sanierungsstau
       
       Einen terroristischen, gar islamistischen Anschlag, wie Hetzer im Netz
       schon behaupten, schloss der Sprecher der Polizeidirektion Dresden Thomas
       Geithner aus. Ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Verantwortliche
       einleitet, ist noch offen. Die Ingenieurkammer Sachsen warnt vor
       Mutmaßungen und voreiligen Schuldzuweisungen. AfD-Verkehrspolitiker Thomas
       Ladzinski im Stadtrat hat hingegen „ideologiebehaftete“ grüne
       Verkehrspolitik schon als Schuldigen ausgemacht. Die 200.000 Euro für einen
       Radspur-Verkehrsversuch auf der Carolabrücke hätten besser für
       Sicherungsmaßnahmen ausgegeben werden sollen.
       
       Witzbolde in Dresden erkennen in dem Unglück denn auch einen makabren
       Racheakt von Autofanatikern für die umstrittenen Verkehrsversuche. Oder
       machen einmal mehr die Berliner Ampel für alles verantwortlich. Der
       Sanierungsstau bei Brücken in der Bundesrepublik ist bekannt, allein 4.000
       der 28.000 Autobahnbrücken müssen instand gesetzt werden. Nicht anders in
       Dresden, das legendäre „Blaue Wunder“ von 1893 und die vierspurige Nossener
       Brücke sind gefährdet. Die angebliche Boomtown Dresden aber stolpert von
       Haushaltssperre zu Haushaltssperre und sieht prekären Stadthaushalten
       entgegen. Die Landeshauptstadt werde den Wiederaufbau der Carolabrücke
       nicht aus eigener Kraft stemmen können, warnt der mit einem Direktmandat
       wiedergewählte bündnisgrüne Landtagsabgeordnete und Stadtrat Thomas Löser.
       „Ich sehe eine finanzielle Unterstützung von Bund und Land als unabdinglich
       an“, fordert er.
       
       11 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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