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       # taz.de -- Putins Propaganda in Europa: Die Klone des Kreml
       
       > Das russische Propagandaprogramm „Doppelgänger“ imitiert bekannte
       > Medienwebsites. Laut Verfassungsschutz setzt es aber auch auf etablierte
       > Medien.
       
   IMG Bild: Was ist hier echt, was nicht?
       
       Das Portal sieht auf den ersten Blick unverfänglich aus: „Der bayerische
       Löwe“ heißt die blau-weiße Nachrichtenseite. Sie veröffentlicht Meldungen
       zur [1][Haushaltsdebatte], zu Waffenverboten oder zur Zukunft von VW. Beim
       Lesen der meinungsstarken Artikel ohne Autorennamen fällt jedoch schnell
       auf, dass hier ein bestimmtes Narrativ vorherrscht, das Russland in die
       Hände spielt.
       
       „Kiews Undankbarkeit: Wie die Ukraine ihre Verbündeten vergrault“, so heißt
       es in einer Überschrift aus dem August. Die Ukraine solle sich um ihre
       eigenen Finanzen kümmern, die wirtschaftlichen und sozialen Belastungen
       seien hierzulande spürbar. Über Annalena Baerbocks Außenpolitik heißt es:
       Ihre „fehlgeschlagenen Ansätze verschärfen Deutschlands geopolitische
       Isolation“.
       
       Wer hinter dem „bayerischen Löwen“ steht, verrät die Webseite nicht, ein
       Impressum ist nicht vorhanden. Doch laut einem technischen Bericht des
       Auswärtigen Amtes wird sie vom „Doppelgänger“ zentral gesteuert – einem
       [2][russischen Desinformationsprogramm], das seit Putins großflächigem
       Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 die öffentliche Meinung in
       westlichen Ländern beeinflussen will.
       
       „Der bayerische Löwe“ ist dabei nur eine von mindestens 16
       deutschsprachigen Webseiten, die seit März 2023 eingerichtet wurden. Sie
       heißen „Arbeitspause“, „Besuchszweck“ oder „Der Rattenfänger“. Einige von
       ihnen sind inzwischen wieder offline. Hinzu kommen etliche
       englischsprachige Seiten wie „Recent Reliable News“. Am vergangenen
       Mittwoch beschlagnahmten das US-Justizministerium 32 Domainnamen, die
       „Doppelgänger“ zugerechnet werden. Was sie gemeinsam haben: Sie verstärken
       russische Narrative im Westen – und [3][sollen so den Krieg in der Ukraine
       beeinflussen] und die liberale Demokratie destabilisieren.
       
       Laut der US-amerikanischen Militärbehörde Cyber Command zielt
       „Doppelgänger“ vor allem darauf ab, die Ukraine negativ darzustellen,
       Kreml-Narrative über den Krieg zu verbreiten, indem zum Beispiel das
       Massaker von Butscha geleugnet wird, und Angst in Europa zu schüren. Die
       Botschaft: Sanktionen gegen Russland würden das Leben dort wirtschaftlich
       ruinieren. Und: Die Ukraine sei korrupt und werde von Nazis regiert.
       
       ## Klon-Seiten bekannter Medien
       
       Zunächst setzte der Kreml auf Klon-Seiten bekannter Medien, um diese
       Narrative zu verbreiten: In Deutschland ahmt er Medien wie Spiegel, Bild
       oder Süddeutsche Zeitung nach, international Fox News, Washington Post oder
       Le Parisien.
       
       Im Januar deckte das Auswärtige Amt auf, dass in den vier Wochen rund um
       den Jahreswechsel 2023/2024 mehr als 50.000 gefälschte
       Social-Media-Accounts eine Million deutschsprachige Tweets
       veröffentlichten, die Stimmung gegen den westlichen Ukrainekurs machen
       sollten. Viele der Posts verlinken mit einer verkürzten URL auf die
       Fake-Seiten. Auch andere Domainendungen werden verwendet, um die
       Verfälschung zu verschleiern. „Die Ampel bringt die deutsche Wirtschaft
       um“, lautet eine Überschrift bei „spiegel.ltd“. Oder bei „welt.pm“:
       „Russland ist nicht zu ignorieren“.
       
       ## Problem nicht im Griff
       
       „Aufgrund der Intensität und des Umfangs der Doppelgänger-Kampagne ist
       davon auszugehen, dass es sich um eine der größten bisher entdeckten
       Desinformationskampagnen weltweit handelt, die prorussische Narrative und
       Desinformation streut“, heißt es auf taz-Anfrage vom Auswärtigen Amt.
       
       Das Problem bekommen die Social-Media-Plattformen allerdings nicht in den
       Griff. Ein neuer Bericht [4][der Rechercheorganisationen CeMAS] und
       Alliance4Europe zeigt: Vor allem auf X (ehemals Twitter) grassiert
       weiterhin russische Desinformation, die „Doppelgänger“ zugerechnet wird.
       Die Organisationen werteten im Juni mehr als 1.300 prorussische Beiträge
       auf der Plattform aus. Diese Beiträge hätten bis Monatsende insgesamt über
       4,5 Millionen Menschen erreicht. Nur einer der von den Autor*innen
       gemeldeten Accounts sei suspendiert worden, heißt es.
       
       ## „Besorgniserregend“
       
       „Es ist besorgniserregend, dass es russischen Akteuren nach mehr als zwei
       Jahren weiterhin gelingt, auf Social-Media-Plattformen Propaganda zu
       verbreiten“, sagt Julia Smirnova von CeMAS zur taz. Sie ist
       Desinformationsexpertin und recherchiert zu „Doppelgänger“. „Das läuft im
       Auftrag des Kremls. Aber die Maßnahmen der Plattformen sind nicht
       ausreichend, um diese Kampagne zu stoppen.“
       
       In letzter Zeit verwende Russland allerdings nicht nur Klonseiten und
       eigene Pseudonachrichtenseiten, sondern auch bestehende Medien in
       Deutschland, wie aus einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes vom
       Februar 2024 hervorgeht. In dem Bericht mit dem Untertitel „Interne
       Details“, der aber von der Webseite der Behörde heruntergeladen werden
       kann, werden etwa [5][das rechtsextreme Compact Magazin], das
       Verschwörungsportal Nachdenkseiten oder der AfD-nahe Deutschlandkurier als
       Medien aufgeführt, die „Nachrichten passend zum russischen Narrativ
       verbreiten“. Brisant ist, dass die Behörde in dieser Kategorie auch die
       Berliner Zeitung und den Freitag nennt. Beispiele liefert sie nicht.
       
       ## Keine große Überraschung
       
       Bei der Berliner Zeitung ist das keine große Überraschung. Zum Jahrestag
       des Sieges über die Nazis im Mai 2023 [6][besuchten Verleger und Inhaber
       Holger Friedrich sowie dessen Herausgeber Michael Maier einen Empfang in
       der russischen Botschaft in Berlin]. Die beiden machten kein Geheimnis
       daraus, Maier schrieb sogar einen Blogbeitrag zum Besuch, bei dem der
       russische Botschafter persönliche Briefe von Putin an Veteranen
       überreichte.
       
       Im April dieses Jahres fragte der ukrainische Botschafter in Berlin,
       Oleksii Makeiev, auf X: „Ist @berlinerzeitung das neue Radio Moskau?“ Er
       merkte an, dass die russische Botschaft Berichte der Zeitung gerne teile.
       In den kritisierten Gastbeiträgen kommt etwa der Teaser vor: „Vor genau
       zwei Jahren formulierte Russland unmissverständlich seine
       Sicherheitsinteressen. Die Reaktion des Westens war ein großer Fehler.“
       Oder die Passage: „Im Gegensatz zu westlichen Darstellungen waren sich
       damals Ukraine und Russland darin einig, dass die geplante Nato-Erweiterung
       der Grund des Krieges war.“ Ein russisches Propagandanarrativ: Der Westen
       sei eigentlich schuld am Krieg.
       
       ## Umstrittene Personalentscheidungen
       
       Hinzu kommen einige umstrittene Personalentscheidungen im Haus: Seit
       Oktober 2023 ist Katerina Alexandridi stellvertretende Chefredakteurin der
       Berliner Zeitung, von 2014 bis 2022 war sie bei der russischen
       Propaganda-Videoagentur Ruptly tätig. Seit Juli 2023 ist Lea Fabbrini
       Online-CvD, die ebenfalls bis Februar 2022 bei Ruptly arbeitete. Und seit
       Jahresbeginn leitet Thomas Fasbender das neugegründete Ressort
       „Geopolitik“: Er war bis zum russischen Überfall auf die Ukraine noch
       Kommentator beim russischen Propagandasender RT DE.
       
       Auf eine Anfrage der taz verweist Tomasz Kurianowicz, Chefredakteur der
       Berliner Zeitung, auf eine Stellungnahme vom 9. September, die auf ihrer
       Webseite veröffentlicht wurde. Er behauptet darin fälschlicherweise, dass
       seine Zeitung im Jahresbericht 2023 des Landesverfassungsschutzes genannt
       werde. Kurianowicz weist die Einstufung als „unwahr“, „rufschädigend“ und
       „verleumderisch“ zurück. „Nicht jeder Meinungsbeitrag, der sich für
       Verhandlungen starkmacht, muss gleich Kremlsprech sein“, schreibt er.
       
       Die Justiziarin der Berliner Zeitung schreibt auf taz-Anfrage: „Nach
       unserem Verständnis stellt der Bericht lediglich fest, dass irgendein
       Inhalt unserer redaktionellen Beiträge von unbekannten Dritten missbraucht
       wird, um das russische Narrativ zu bedienen.“
       
       ## „Dem freien Diskurs verpflichtet“
       
       Beim Freitag ist eine unkritische Blattlinie zu Russland weniger erkennbar.
       Zwar fallen Artikel bestimmter Autoren immer wieder auf, mit Überschriften
       wie „Wolodymyr Selenskyj: Der Held des Krieges wird zum Hindernis für
       Frieden“. Doch die Zeitung bietet ebenfalls immer wieder Ukrainer*innen
       eine Bühne, die Russlands Angriffskrieg scharf kritisieren. Philip
       Grassmann, Chefredakteur des Freitag, könne die Erwähnung seiner Zeitung im
       internen Verfassungsschutzbericht nicht nachvollziehen, antwortet er der
       taz.
       
       „Die Analyse unserer Online-Daten lässt nicht den Schluss zu, dass
       Online-Artikel von Bots gepusht worden sind“, sagt er. „Wir fühlen uns dem
       freien politischen Diskurs verpflichtet, nicht irgendwelchen Narrativen.“
       Die Zeitung behalte sich vor, rechtliche Schritte gegen die Behörde zu
       unternehmen.
       
       ## „Inhaltliche Missverständnisse“
       
       Auf taz-Anfrage sagt der bayerische Verfassungsschutz, es sei in der
       öffentlichen Rezeption zu seinem Bericht teilweise zu „inhaltlichen
       Missverständnissen“ gekommen. Dieser werde nun überarbeitet. Der Freitag
       und die Berliner Zeitung würden zu über 350 Webseiten zählen, deren Inhalte
       durch Doppelgänger verbreitet werden. „Es ist naheliegend, dass die
       betreffenden Inhalte aus Sicht des Akteurs das russische Narrativ
       unterstützen.“ Auch wenn diese aus dem Kontext gerissen würden. Die Behörde
       insinuiere aber nicht, dass solche Medien das gutheißen.
       
       Wie effektiv das russische Desinformationsprogramm tatsächlich ist, bleibt
       unklar. „Den Akteuren hinter Doppelgänger geht es darum, unterschiedliche
       Strategien auszuprobieren. Und sie haben diese seit 2022 auch geändert“,
       sagt die Desinformationsexpertin Julia Smirnova. „Sie konnten damit
       Millionen von Menschen in Europa erreichen. Aber Reichweite ist nicht das
       Gleiche wie Wirkung oder Effizienz.“
       
       Anmerkung der Redaktion: Der Bericht des bayerischen
       Landesverfassungsschutzes wurde nach einer Presseanfrage der taz
       überarbeitet, die neue Version wurde am 11. September veröffentlicht. Die
       Kategorie „Webseiten, die Nachrichten passend zum russischen Narrativ
       verbreiten“ heißt inzwischen „Webseiten, deren Inhalte der Akteur in Teilen
       weiterverbreitet hat“. Ganze Medien-Webseiten werden in dieser Kategorie
       nicht mehr aufgeführt, sondern nur konkrete Beispiele der jeweiligen
       Webseiten – auch weiterhin von den Medien, die die taz in diesem Artikel
       erwähnte.
       
       12 Sep 2024
       
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