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       # taz.de -- Grüne im Sachsen-Wahlkampf: Habeck kann sich auf Merz verlassen
       
       > Über Solingen und die Folgen sprechen die Grünen im Landtagswahlkampf
       > ungern. Habeck wagt es in Leipzig – mit unfreiwilliger Hilfe des
       > CDU-Chefs.
       
   IMG Bild: Fast ein Heimspiel: Robert Habeck am Mittwoch in Leipzig
       
       Leipzig taz | Auf Friedrich Merz kann sich Robert Habeck verlassen. Eben
       sah es kurz so aus, als ob die Stimmung im Saal abkühlt: von beinahe
       frenetisch zu gerade noch freundlich. Der Vizekanzler sprach über den
       Terror von Solingen und die nötigen Konsequenzen, über Abschiebungen von
       Straftätern und Befugnisse von Sicherheitsbehörden – nichts fürs grüne Herz
       also. Jetzt schwenkt Habeck aber um auf [1][den Oppositionsführer und
       dessen Show vom Vortag]. Merz' Ruf nach einer nationalen Notlage? „Das ist
       nicht Problemlösung, das ist unverantwortlich“, sagt Habeck. Und zack:
       Schon bekommt er wieder begeisterten Applaus.
       
       Es ist Mittwochabend, vier Tage vor der sächsischen Landtagswahl, und die
       Leipziger Grünen begehen ihren Wahlkampfhöhepunkt mit Habeck als Stargast.
       Es ist quasi ein Heimspiel: Erstens ist die Großstadt eine grüne Insel im
       schwarz-blauen Freistaat. Zweitens tragen die Grünen solche Veranstaltungen
       nur noch selten auf den Marktplätzen aus, wo sie leicht zu stören und zu
       sprengen wären. Habeck und die drei sächsischen Spitzenkandidat*innen
       sprechen in einem Veranstaltungssaal. Wer dabei sein wollte, musste sich
       vorab anmelden.
       
       Was heißt: Das Publikum besteht aus Grünen und Leuten, die es gut meinen
       mit den Grünen. Habeck erhält schon großen Applaus, als er die Bühne
       betritt. Im Gegenzug spricht er dem Saal in den nächsten 30 Minuten Mut zu
       und liefert Argumentationshilfen für den [2][in diesem Jahr so schwierigen
       Wahlkampf].
       
       Manche seiner Stichpunkte hat er in den vergangenen Monaten schon
       andernorts hoch und runter erzählt. Der Gegenwind und der
       Ideologie-Vorwurf, den die Grünen von allen Seiten erhalten? „Ein
       Ehrenprädikat“ sei das, sagt Habeck. Die Populisten zögen ihre Kraft aus
       Problemen. Wer Probleme angehe und beseitigen wolle, sei also das
       natürliche Feindbild des Populismus.
       
       ## Solingen nicht in Sachsen
       
       Anderes hat er für das sächsische Publikum angepasst. Die Grünen passen mit
       ihrer Ukraine-Solidarität nicht in den russlandfreundlichen Osten? Habeck
       macht das Gegenteil daraus: Die Leipziger Demonstrationen der Wendezeit und
       der Verteidigungskrieg der Ukraine seien doch „der gleiche Kampf“. Die
       Freiheit dürfe nicht Panzern und Gewehren unterliegen – „dieser Auftrag
       kommt aus dieser Stadt heraus“. Mal sehen, wie das Argument in den nächsten
       Tagen an den Wahlkampfständen ankommt. Im Saal funktioniert es erst mal.
       
       Dann aber ist da eben noch das neue Wahlkampfthema: Der Anschlag von
       Solingen und die Migrationsdebatte, die sich daraus entsponnen hat. Die
       sächsischen Grünen halten sich aus der Diskussion bislang weitestgehend
       raus, anders als der Großteil ihrer Mitbewerber. Auf ihren
       Social-Media-Kanälen ist zu Solingen wenig zu finden. In Leipzig am
       Mittwochabend geht vor Habeck nur Justizministerin Katja Meier auf das
       Thema ein – in zweieinhalb Sätzen, von denen sich zwei ebenfalls gegen die
       „populistischen Ratschläge“ von Friedrich Merz richten.
       
       Die Leerstelle ist verständlich. Sollte die Debatte am Ende
       wahlentscheidend sein, wäre es zwar misslich, darin nur am Rande
       vorgekommen zu sein. Aber positionieren sich die Grünen eindeutig, können
       sie auch nur verlieren: Stellen sie sich offensiv gegen jede Verschärfung,
       ecken sie bei Wähler*innen in der politischen Mitte an; machen sie
       Verschärfungen mit, könnten sie am anderen Ende des Spektrums verlieren.
       
       Dazu kommt, dass das Thema über Sachsen hinaus auch innerparteilich nicht
       geklärt ist. Im linken Flügel [3][gingen vielen schon die
       Asylrechtsänderungen der letzten Monate zu weit]. Aufseiten der Realos
       dagegen fordert jetzt zum Beispiel Danyal Bayaz, Finanzminister von
       Baden-Württemberg, weitere „relevante Verschärfungen“.
       
       ## Habeck sorgt für Ruhe
       
       Und Habeck? Offen spricht er in Leipzig den islamistischen Terrorismus als
       „eines der großen Probleme unserer Zeit“ an. Schnell kommt auch er dann zur
       Migrationspolitik: Wer das Asylrecht missbrauche, verliere seinen Anspruch
       auf Asyl, müsste bestraft werden und danach das Land verlassen. Der
       Vizekanzler wird zwar nicht konkreter und erklärt beispielsweise nicht, was
       das für die besonders umstrittenen Abschiebungen nach Syrien oder
       Afghanistan heißt. Aber was er sagt, reicht aus, um im Saal für Ruhe zu
       sorgen. Keine Hand bewegt sich zum Applaus. Den gibt es erst wieder, als
       Habeck im Anschluss mahnt, nicht alle Migrant*innen über einen Kamm zu
       scheren.
       
       Zum Glück gibt es eben Friedrich Merz und seine großen Forderungen dieser
       Woche: unbegrenztes Abschiebegewahrsam, Aufnahmestopp für Syrer*innen, neue
       Hürden für Einbürgerungen. Man könnte sagen, der Oppositionschef treibe
       damit die Regierung vor sich her und bringe auch die Grünen in Zugzwang.
       Man könnte aber auch sagen, dass er die Grünen wieder zusammenbringt. So
       krass wie Merz will es immerhin keiner von ihnen.
       
       Und vielleicht schreckt der CDU-Chef mit solchen Vorstößen sogar
       potenzielle Wähler*innen ab, die Merkel gut fanden, aber nichts mit dem
       Hardliner aus dem Sauerland anfangen können. Möglicherweise könnte das
       sogar zur Chance für die Grünen werden. Habeck zumindest klingt so, als ob
       er darauf hofft, als er gegen Ende des Leipziger Abends schon mal den
       Bundestagswahlkampf fürs nächste Jahr skizziert: Er setze darauf, sagt er,
       dass eine Mehrheit ein Land wolle, „wo das aufeinander Zugehen und die
       Einigungsfähigkeit belohnt wird und nicht das dumpfe Spalten“.
       
       Erst mal stehen am Sonntag aber die Landtagswahlen an. In der letzten
       Umfrage für Sachsen standen die Grünen bei 5 Prozent.
       
       29 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Friedrich-Merz-Notstandsfantasien/!6029885
   DIR [2] /Podcast-Bundestalk/!6032200
   DIR [3] /EU-Asylrecht-wird-verschaerft/!5939138
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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