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       # taz.de -- Bezahlkarte für Geflüchtete: Bares ist Rares
       
       > In einigen Bundesländern ist die Bezahlkarte für Asylbewerber bereits im
       > Einsatz. Nun soll sie auch in Berlin eingeführt werden.
       
   IMG Bild: Mit der Bezahlkarte wird das Einkaufen schwierig, da nur Bargeld akzeptiert wird
       
       Berlin taz | Berlin wird die [1][Bezahlkarte für Asylbewerber] einführen.
       Obwohl Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) die Bezahlkarte
       politisch eigentlich ablehnt, sieht sie sich wegen des bundespolitischen
       Rahmens dazu verpflichtet. Ab wann und wie genau die Bezahlkarte kommt, ist
       noch nicht klar. In den Bundesländern, wo die Bezahlkarte bereits gilt,
       bekommen Asylbewerber lediglich 50 Euro Bargeld, Kinder weniger, in vielen
       Bundesländern nur 10 Euro. Geldüberweisungen sind nur möglich, wenn das Amt
       dies vorher genehmigt.
       
       Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat berichtet von
       „flächendeckenden Problemen“, seit es in seinem Bundesland die Bezahlkarte
       gibt. „Wochenmärkte, kleinere Lebensmittelläden nehmen die Bezahlkarte
       nicht an. Kinder können kein Bargeld mehr für Materialien, Ausflüge oder
       Essen mit in die Schule“ oder Kita nehmen.
       
       Gegenüber der taz spricht Schmidtke von einer Schuldenfalle, in die viele
       Flüchtlinge geraten würden. Wenn sie weiterhin ihre Gebühren für das
       Fitnessstudio, den Rechtsanwalt oder das Telefon bezahlen wollen, müsse das
       Sozialamt vorab jede Überweisung mit IBAN extra freischalten. „Bis das
       geschehen ist, ist oft bereits die Mahnung eingegangen und die Mahngebühren
       müssen dann erneut vom Amt freigegeben werden. Das kann eine Spirale ohne
       Ende werden,“ sagt Schmidtke. Für das Berliner Landesamt für
       Flüchtlingsangelegenheiten, das ohnehin wegen Personalnot viele Aufgaben zu
       langsam bewältigt, wird das zu einer besonderen Herausforderung.
       
       Ein weiteres Problem sieht Schmidtke darin, [2][dass Familien lediglich
       eine einzige Bezahlkarte erhalten]. Wenn zum Beispiel die Mutter die Karte
       hat, nicht anwesend ist und ein anderes Familienmitglied dringend ein
       Medikament oder einen Drogerieartikel kaufen muss, ginge das nicht,
       erläutert er.
       
       ## Familien erhalten lediglich nur eine Bezahlkarte
       
       Wie ist Berlin auf die Bezahlkarte vorbereitet? Da Berlin anders als
       Sachsen keine Kitagebühren erhebt, fällt zumindest das Problem weg, dass
       man in eine Schuldenfalle gerät, wenn diese wegen Bearbeitungsstau am Amt
       nicht rechtzeitig bezahlt werden oder man deshalb gar den Kitaplatz
       verliert, wie es in Sachsen häufig passiert. „Selbst die Kostenbeiträge zum
       Essen in der Kita werden für Familien mit Transfermittelbezug in Berlin
       erstattet“, sagt Camilla Schuler (Linke), Jugendstadträtin von Lichtenberg,
       der taz. Auch andere Jugendämter sehen da keine Probleme auf sich zukommen.
       
       Anders ist es bei Berliner Dönerständen. Für viele Flüchtlinge ist ein
       Döner die einzige Außer-Haus-Mahlzeit, die man sich gelegentlich leisten
       kann, wenn man wegen des Deutschkurses oder eines Behördentermins die
       Mahlzeiten nicht im Wohnheim einnehmen kann. Doch kaum ein Dönerstand
       akzeptiert Kartenzahlung und damit die künftige Bezahlkarte. Die Benutzung
       öffentlicher Toiletten ist mit Bezahlkarte unmöglich.
       
       Schwierig ist die Bezahlung von Rechtsanwaltsgebühren. Viele Flüchtlinge
       lassen sich im Asylverfahren von einem Anwalt vertreten und stottern die
       Gebühren in 50- oder 60-Euro-Monatsraten ab. Das Geld wird entweder per
       Dauerauftrag überwiesen oder aber jeden Monat bar in die Anwaltskanzlei
       gebracht. Das zweite geht in Zukunft gar nicht mehr, das erste nur, wenn
       die Sozialhilfebehörde der Überweisung vorab zustimmt, was
       datenschutzrechtlich allerdings problematisch ist.
       
       Ein großes Problem wird die Bezahlung von Sprachkursen und den damit
       verbundenen Nebengebühren sein. Die meisten Sprach- und Integrationskurse
       in Berlin sind kostenlos. Dies gilt jedoch nicht für Spezialkurse wie
       Frauenkurse mit Kinderbetreuung oder weiterführende Kurse, die spezifische
       Sprachfertigkeiten vertiefen, trainieren oder gezielt auf Prüfungen
       vorbereiten. Aus Sicht der Volkshochschule Pankow spricht nichts dagegen,
       dafür in Zukunft die Bezahlkarte zu akzeptieren, sagt ein Sprecher des
       Bezirkes. Private Kursanbieter müssten überlegen, ob sie ein
       Kartenlesegerät anschaffen. Unmöglich ist es, mit der Bezahlkarte
       Verpflegung für den Sprachkurs zu zahlen. So stehen in den meisten
       Volkshochschulen Kaffeeautomaten, wo man für 70 Cent (manchmal 50 Cent) in
       der Pause einen Kaffee kaufen kann – bei einem drei- bis fünfstündigen
       Deutschkurs mehr als sinnvoll. Hier werden laut Auskunft aus Pankow und
       Tempelhof-Schöneberg jedoch keine Bezahlkarten akzeptiert.
       
       ## Großes Problem wird die Bezahlung von Sprachkursen
       
       Auch die Bücher für den Deutschkurs müssen die Teilnehmer selbst bezahlen.
       Die kosten zwischen 12 und 20 Euro und sind in Alphabetisierungs- und
       Orientierungskursen monatlich, in anderen Kursen etwa alle zwei Monate
       fällig. Gerade in Alphabetisierungskursen haben die Lehrkräfte bisher oft
       die Bücher für ihre Teilnehmer im Buchhandel gekauft und diese bar an die
       Teilnehmer weiterverkauft, weil es Analphabeten schwer fällt, sich im
       Buchhandel verständlich zu machen. Das wird jetzt nicht mehr möglich sein,
       sodass der Buchkauf eine zusätzliche Hürde wird und viele Teilnehmer dann
       vermutlich ohne Buch im Kurs sitzen.
       
       [3][Eine Herausforderung wird die Bezahlkarte auch für S-Bahn und BVG.]
       BVG-Sprecher Nils Kremmin sagt der taz, dass mit der Bezahlkarte an
       Automaten und in Kundenzentren bezahlt werden kann. Dort erhält man sowohl
       Einzelfahrscheine als auch das kostengünstige Sozialticket. Bisher gibt es
       aber keine Lösung für das 49-Euro-Ticket. Das kann man bisher nur im Abo
       erwerben und die Gebühren müssten dann vom Konto abgezogen werden, was die
       Sozialbehörde regelmäßig extra bewilligen muss. Das 49-Euro-Ticket brauchen
       vor allem Flüchtlinge aus Brandenburg, die in Berlin Sprachkurse besuchen.
       Sie machen in den Randbezirken bis zu 50 Prozent der Kursteilnehmer aus.
       Wenn für sie keine Lösung gefunden wird, muss die Integration warten, bis
       der Asylantrag angenommen ist und sie damit nicht mehr unter die
       Restriktionen der Bezahlkarte fallen. Für Berliner Flüchtlinge ist das
       49-Euro-Ticket nötig, wenn man in Brandenburg ein Praktikum absolviert.
       
       29 Aug 2024
       
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