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       # taz.de -- Rechte Gewalt in Thüringen: Mehr Angriffe als bislang gedacht
       
       > Die Beratungsstelle Ezra hat ihre Statistik für 2023 korrigiert. Sie
       > registriert nun so viele rassistische und antisemitische Übergriffe wie
       > noch nie.
       
   IMG Bild: Traditionell gewalttätig: Neonazis
       
       Erfurt taz | Rechte Gewalttaten in Thüringen erhielten zunehmend Rückhalt,
       sagt Franz Zobel, Leiter der Opferberatungsstelle Ezra. Das zeigten auch
       die am Donnerstag veröffentlichte Daten. Die Zahl registrierter rechter
       Gewalt in Thüringen war im vergangenen Jahr höher als bisher angenommen und
       bestätigt damit einen steigenden Trend. Die meisten Fälle registrierte Ezra
       in den vergangenen zwei Jahren. 2022 waren es 189, 2023 verzeichnete Ezra
       176 Fälle.
       
       Als die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Thüringen am
       [1][10. April erste Zahlen veröffentlichte], schien es, als seinen die
       Gewalttaten 2023 zurückgegangen. Da ging die Beratungsstelle von 147
       Angriffen aus. Doch durch Nachmeldungen musste Ezra nun die Statistik nach
       oben korrigieren: Es wurden noch 29 weitere Fälle registriert, darunter vor
       allem rassistische und antisemitische Gewalttaten. Die erreichten demnach
       2023 einen Höchststand: 106 rassistische und 13 antisemitische Angriffe
       verzeichnete Ezra.
       
       Der Antisemitismus sei vor allem nach dem [2][Hamas-Angriff am 7. Oktober]
       angestiegen. Insbesondere israelbezogener Antisemitismus sei eine akute
       Bedrohung für jüdisches Leben, sagt Zobel – und der gehe „vielfach von
       bestimmten linken Gruppierungen aus“.
       
       Ein Grund für den Anstieg rassistischer Angriffe sei hingegen die
       [3][Normalisierung rassistischer Positionen], erklärt Zobel. Das zeige sich
       auch „in der aktuellen Debatte nach dem grausamen, mutmaßlich
       islamistischen Anschlag in Solingen“, sagt er. Statt über Maßnahmen zur
       Bekämpfung des Islamismus zu sprechen, gehe es um Abschiebungen und
       Messerverbote. Das verstärke eine „Feindbildmarkierung gegenüber
       Geflüchteten“ und trage nicht zur Sicherheit bei. „Islamismus lässt sich
       nicht abschieben“, sagt Zobel.
       
       ## Zustimmung für Gewalt bei AfD-Wähler:innen
       
       Das liege auch am Erstarken der AfD, die den Umfragen nach bei der
       Thüringer Landtagswahl am Sonntag den höchsten Stimmanteil bekommen könnte.
       Schon im April verwies Ezra auf eine Studie der Universität Princeton zu
       Hasskriminalität. Diese zeigte unter anderem, dass fast die Hälfte der
       AfD-Wähler:innen Fremdenfeindlichkeit gegenüber Geflüchteten befürwortet,
       selbst wenn diese in Gewalt umschlägt.
       
       Mittlerweile weisen auch andere Studien darauf hin, dass viele
       AfD-Wähler:innen kein Problem mit Gewalt haben. Zum Beispiel eine am
       vergangenen Freitag veröffentlichten Studie des
       Meinungsforschungsunternehmens Pollytix, mit 7.600 Befragten. Laut dieser
       gaben 36 Prozent der AfD-Wähler:innen an, Politiker:innen hätten es
       verdient, dass „die Wut gegen [4][sie schon mal in Gewalt umschlägt]“. Im
       Schnitt stimmten 15 Prozent der Wähler:innen aller Parteien dieser
       Aussage zu.
       
       Die Zunahme rechter Gewalt „passiert nicht im luftleeren Raum“, glaubt auch
       Katharina König-Preuss, die für die Linke im Landtag sitzt. Auch sie sieht
       die Verantwortung bei der AfD, die „ununterbrochen Hass schürt und Menschen
       aufwiegelt“.
       
       ## Polizei verzeichnet 335 rechte Straftaten
       
       Nicht nur Ezra, auch die Polizei verzeichne zunehmend rechte und
       rassistische Straftaten, berichtet König-Preuss. Auf eine Kleine Anfrage im
       Landtag von ihr, hieß es aus dem Innenministerium, im 1. Quartal 2024 habe
       die Polizei 335 rechte Straftaten registriert, darunter Körperverletzungen,
       Sachbeschädigungen und Volksverhetzung.
       
       Dass es 2024 mehr Straftaten gab, könnte auch an den zahlreichen Wahlen
       liegen. Neben der Landtagswahl am Sonntag standen im Juni die Europawahl an
       und im Mai gab es thüringenweit Kommunalwahlen. Laut der Studienlage steigt
       dadurch die politisch motivierte Kriminalität. Allerdings: Die Delikte für
       2024 „liegen zahlenmäßig über den Wahljahren 2014 und 2019, wie aus den
       Antworten der Landesregierung hervorgeht“, sagt König-Preuss.
       
       Die grüne Landtagsabgeordnete und Spitzenkandidatin für die Landtagswahl
       Madeleine Henfling gibt zudem zu bedenken, dass nicht alle Straftaten
       erfasst würden: „Wir wissen aus der Dunkelfeldforschung, dass 60 bis 80
       Prozent der Straftaten nicht angezeigt werden.“
       
       Henfling sagt, sie nehme wahr, dass die „Dimensionen rechter und
       rassistischer Gewalt unterschätzt werden.“ Gleichzeitig erlebe sie aber,
       „dass die meisten Thüringer*innen ein Bewusstsein für Rassismus und die
       extreme Rechte haben.“ Sie hätten Verständnis dafür, dass das für People of
       Colour und Migrant:innen eine existenzielle Bedrohung sei.
       
       ## Steigende Gewalt nach AfD-Wahlerfolgen?
       
       Doch was hilft gegen die zunehmende Gewalt und den Rassismus? Katharina
       König-Preuss glaubt, Opferberatungsstellen und andere Projekte bräuchten
       eine [5][zuverlässige Finanzierung] und fordert: „Daher braucht ein in der
       neuen Wahlperiode dringend ein [6][Demokratiefördergesetz.“]
       
       Madeleine Henfling plädiert zudem für eine faktenbasierte Debatte, die ohne
       Pauschalisierungen auskomme. Und: „Ein Meilenstein für den Schutz von
       Menschen vor Rassismus wäre ein Landesantidiskriminierungsgesetz.“
       
       Für das laufende und die kommenden Jahre rechnet Ezra-Leiter Franz Zobel
       jedoch mit einem Anstieg der rechten Gewalttaten, nach den Wahlerfolgen der
       AfD. „Immer mehr Menschen in Thüringen könnten davon betroffen sein, wobei
       es schon ausreicht, dass man einfach nicht rechts ist.“
       
       29 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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