URI: 
       # taz.de -- Bodo Ramelow nach Thüringen-Wahl: Die Ruhe nach dem Sturz
       
       > Der linke Ministerpräsident ist abgewählt. Doch er hadert kaum damit und
       > will als normaler Abgeordneter weiter Politik machen.
       
   IMG Bild: Bodo Ramelow am Abend seiner Niederlage
       
       Erfurt taz | Bodo Ramelow lächelt. Die Beine von sich gestreckt, ohne
       Krawatte, sitzt der Thüringer Ministerpräsident kurz nach 21:00 Uhr auf
       einem durchgewetzten Sofa hinter der Bühne im Erfurter Zughafen. Hier, in
       einem alternativen Kulturbahnhof, kommt die Linke zu ihrer Wahlparty
       zusammen. „Halt Dich an deiner Liebe fest“, singt Rio Reiser. Ramelow sieht
       so entspannt aus wie einer, der sich auf sein Feierabendbier freut.
       
       Dabei steht seit drei Stunden fest: Er ist als Ministerpräsident abgewählt.
       Die Linke hat zwei Drittel ihrer Mandate verloren, landet bei der Thüringer
       Landtagswahl nur auf Platz 4. Mit Abstand stärkste Kraft ist die AfD. Sie
       wird im Landtag ein Drittel der Sitze haben, ein Szenario, vor dem Ramelow
       die ganze Zeit gewarnt hat. Den Auftrag zur Regierungsbildung wird der
       CDU-Politiker Mario Voigt als Zweitplatzierter erhalten.
       
       Müsste Ramelow nicht toben, wüten, weinen, sich die Haare raufen? Seine
       Wutausbrüche sind so legendär wie gefürchtet. „Diese Niederlage habe ich
       vorausgesehen“, sagt Ramelow stattdessen. Und sich monatelang auf dieses
       Szenario vorbereitet. Nun, da es eingetreten ist, wirkt er, als sei eine
       Last von ihm abgefallen. Die Ruhe nach dem Sturz.
       
       Im Raum sitzen noch ein Unternehmer, Weggefährtinnen, ein Künstler kommt
       dazu. Der Musiker, der auf Partys Schlager nachsingt, beugt sich zu
       Ramelow. „Komm zu mir nach Mallorca und werde mein Begleitsänger.“ Ramelow
       sagt zumindest nicht nein.
       
       ## Manchmal wäre er gern weggelaufen
       
       Zehn Jahre war Ramelow Ministerpräsident von Thüringen. Dass er 2014 im
       zweiten Versuch gewählt wurde, war eine Revolution. Dass die Linke mit ihm
       als Spitzenkandidaten 2019 stärkste Kraft wurde, war ein Wunder. Ein
       vergiftetes Wunder. Die rot-rot-grüne Koalition hatte ihre knappe Mehrheit
       im Landtag verloren, war auf Stimmen der CDU angewiesen. Gegen eine AfD,
       die damals schon zweitstärkste Kraft war. Bei der Wahl des
       Ministerpräsidenten stellte die AfD zum Schein einen eigenen Kandidaten
       auf, stimmte dann aber zusammen mit der CDU für den FDP-Kandidaten. Der
       nahm die Wahl an, [1][nach einer Woche war der Spuk vorbei]. Die Wahl des
       Ministerpräsidenten wurde wiederholt, im dritten Wahlgang erhielt Ramelow
       die nötigen Stimmen. Doch dieses politische Nahtoderlebnis ging nicht
       spurlos an ihm vorüber.
       
       Viereinhalb Jahre lang führte er eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung,
       toleriert von der CDU. „Es gab Tage, da wäre ich lieber weggelaufen, statt
       mich die ganze Zeit mit so einer völlig unzuverlässigen CDU rumärgern zu
       müssen“, sagt Ramelow im Zughafen.
       
       Die Bilanz der Minderheitsregierung ist auf den ersten Blick gar nicht so
       schlecht. 4 Haushalte und 146 Gesetze verabschiedete man gemeinsam mit der
       CDU. Allerdings: Wirkliche Reformen konnte die Regierung nicht mehr
       durchziehen, musste sogar Rückschläge einstecken. Etwa beim Klimaschutz, wo
       die CDU mithilfe der AfD ein Gesetz gegen Windräder im Wald durchdrückte,
       was erst vor Gericht gestoppt wurde.
       
       Einige Probleme der Landesregierung waren freilich hausgemacht. Der von
       einer linken Regierung geführte Freistaat scheiterte grandios an einer
       menschenwürdigen Erstunterbringung von Flüchtlingen.
       
       ## BSW kippte den Bodo-Bonus
       
       Dennoch hätte es nochmal klappen können mit der Strategie, die Ramelows
       Strippenzieher und Staatskanzleichef Benjamin Immanuel Hoff ersonnen hatte.
       Im Wahlkampf sollte es auf das Duell des Demokraten Ramelow gegen den
       Faschisten Höcke hinauslaufen. Doch das Motto „Bodo oder Barbarei“
       funktionierte nur so lange, bis das neugegründete Bündnis Sahra Wagenknecht
       Anfang des Jahres auf der Bildfläche erschien. „89.000 Wählerinnen von uns
       sind zum BSW gegangen. Das sind Stimmen, die uns massiv fehlen“, sagt Hoff
       im Landtag, nachdem die ersten Nachwahlbefragungen öffentlich werden.
       
       Ramelow tingelt da noch von einem Sender zum nächsten. Der Plenarsaal ist
       am Wahlsonntag ein riesiges Fernsehstudio, überall Kamerateams. Ramelow
       wird bei Phoenix abgepudert, links von ihm wird Katja Wolf, die
       Spitzenkandidatin des BSW, beim Stand von RTL verkabelt. Wolf spricht
       davon, dass Thüringen nun endlich mal gut regiert werden müsse. Gerade noch
       hat sie Ramelow nach der gemeinsamen Runde beim ZDF über den Rücken
       gestrichen, eine verstohlene Geste des Trostes. Noch im vergangenen Jahr
       gehörte die einstige Oberbürgermeisterin von Eisenach zur Linken.
       
       Ist er sauer auf Wolf? Ach, nee, sagt der neue, milde gestimmte Ramelow und
       lacht. „Eher erstaunt, haha, dass man sich selber einredet, dass man der
       AfD was wegnimmt und hinterher nicht mal mehr daran erinnert werden
       möchte.“
       
       Der Bodo-Bonus, er trug die Linkspartei nur auf 13 Prozent. Immerhin
       dreimal so viel, wie die Genoss:innen in Sachsen erhielten, aber nie kam
       die Partei in Schlagnähe der CDU. Dabei schmiss sich Ramelow mit Leib und
       Seele in den Wahlkampf. Fastete, verzichtete auf Alkohol, besuchte jedes
       Nest in Thüringen und [2][ging sogar mit Ponys spazieren]. Mantraartig
       wiederholte er, er kämpfe gegen die Normalisierung des Faschismus, sein
       Ziel sei eine stabile demokratische Mehrheitsregierung.
       
       Das konnte man als Aufruf verstehen, ihn wiederzuwählen. Aber 42,6 Prozent
       erreichte er nur als Direktkandidat in seinem Erfurter Wahlkreis. Das
       Linkenlogo zog nicht, im Gegenteil. Dass die Partei es auf Plakaten
       wegließ, half aber auch nicht. Ein Vertrauter berichtet, dass Ramelow schon
       vor Wochen begonnen habe, seinen Nachlass in der Staatskanzlei zu ordnen.
       
       ## CDU ist auf Linke angewiesen
       
       Denn Ramelow ist kein Phantast, er ist Pragmatiker durch und durch. Seine
       Botschaft ließ sich zwischen den Zeilen also auch so interpretieren: Im
       Falle einer Niederlage werde er als Vermittler bereitstehen, um den Weg für
       seine Nachfolger:innen zu ebnen. Er habe Mario Voigt bereits seine
       Unterstützung angeboten, erzählt Ramelow am Sonntag. „Wenn er sie möchte,
       gebe ich sie gern.“
       
       Die CDU wird sie brauchen. Eine Koalition von CDU, BSW und SPD wird keine
       absolute Mehrheit haben, im neuen Landtag kommen AfD und Linke mit 44
       gemeinsam auf genauso viele Mandate. Patt also, und das bei einer AfD, die
       vor Kraft kaum laufen kann und sich in Thüringen selbstbewusst als
       „Volkspartei“ bezeichnet.
       
       Doch die Verhandlungen zwischen dem Anti-Kommunisten Voigt und der Partei
       von Ex-Kommunistin Wagenknecht können knifflig werden. Denn [3][die
       Parteigründerin würde am liebsten mitverhandeln] und hatte vorab schon mal
       Bedingungen gestellt: Der Verzicht auf die Stationierung von amerikanischen
       Mittelstreckenraketen und weitere Ukraine-Hilfen müsse in den
       Koalitionsvertrag. Auch wenn das nicht in Erfurt, sondern in Berlin
       entschieden wird – für die CDU wäre ein solches Diktat nicht akzeptabel.
       
       Es kann also noch eine Weile dauern, bis Ramelow tatsächlich seine Sachen
       aus dem Eckzimmer der Erfurter Staatskanzlei räumen muss, darunter eine
       Grubenlampe der Kali-Kumpel von Bischofferode, die Anfang der 90er
       erfolglos, doch mit tatkräftiger Unterstützung von Ramelow gegen die
       Schließung ihrer Grube streikten.
       
       Die Thüringer Landesverfassung sieht anders als die sächsische keine
       Zeitbegrenzung für die Regierungsbildung nach einer Landtagswahl vor. Die
       Sachsen müssen sich sputen, wird der Ministerpräsident nicht innerhalb von
       vier Monaten nach dem Zusammentritt des neugewählten Landtags gewählt, so
       ist der Landtag aufgelöst. Die Thüringer können sich hingegen Zeit lassen.
       Im Artikel 75 heißt es: „Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die
       Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer
       Nachfolger fortzuführen.“
       
       ## Neue Aufgaben
       
       Ramelow hofft, dass es schnell geht. „Geschäftsführender Ministerpräsident
       im Wartestand ist kein schöner Zustand. Ich würde gern Urlaub planen, mich
       ein bisschen um meine Gesundheit kümmern. Drei Wochen am Stück wären nicht
       schlecht.“
       
       Der Musiker verabschiedet sich. Ramelow winkt ihm zu. „Samu, wir sehen uns
       auf Malle.“
       
       Sänger wird Ramelow aber nicht. Er wird auch nicht nach Berlin gehen, um
       seiner Partei zu neuem Glanz zu verhelfen. Er will Abgeordneter im Landtag
       bleiben. 35 Jahre habe er für Thüringen gekämpft, zehn davon als
       Gewerkschaftler, 15 Jahre als Oppositionschef, die letzten zehn als
       Ministerpräsident. „Ich darf mir nicht den Luxus nehmen, einfach
       hinzuschmeißen. Ich habe mein Direktmandat gewonnen, das ist ein Auftrag.“
       Die künftige Rolle Ramelows: Hinterbänkler.
       
       Außerdem wird er bald wieder einen Hund haben. Lilo, die französische
       Bulldogge seiner Tochter, die gerade schwanger ist. „Ich rechne damit, dass
       Lilo spätestens in zwei Monaten wieder bei uns ist“, sagt Ramelow vergnügt.
       Erst der Hund, danach ein Enkelkind. Ramelow sieht aus wie ein glücklicher
       Mensch.
       
       2 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ruecktritt-Ministerpraesident-Kemmerich/!5662522
   DIR [2] /Wahlen-in-Thueringen/!6017702
   DIR [3] /BSW/!6029230
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
   DIR Bodo Ramelow
   DIR Die Linke
   DIR Social-Auswahl
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
   DIR Die Linke
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR wochentaz
   DIR taz Panter Stiftung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ökologische und ökonomische Folgen: Sie wählen ein Desaster
       
       Folgt man den Wahlergebnissen, steht eine Rückkehr zu einer längst
       überholten Umweltpolitik ins Haus. Da waren wir echt schon weiter.
       
   DIR CDU nach der Wahl: Merz und die Scheinriesen
       
       Die CDU steht in Sachsen und Thüringen vor schwierigen
       Koalitionsverhandlungen, die an den Kern ihrer Identität gehen könnten.
       
   DIR Linke nach Landtagswahlen: An Bodo lag es nicht
       
       Die Linke schafft den Einzug in die Landtage in Sachsen und Thüringen.
       Hoffnung machen nur zwei Wahlkreise in Leipzig.
       
   DIR AfD nach den Landtagswahlen im Osten: Höckes Wahlparty zu Gigi D’Agostino
       
       Die AfD feiert ihre Wahlerfolge mit rassistischen Parolen und „L’amour
       toujours“. Und will jetzt Fördermittel für demokratische Vereine streichen.
       
   DIR Wählerwanderung in Thüringen und Sachsen: Wo sie geblieben sind
       
       Die Wähleranalyse zeigt: Das BSW gewinnt vor allem von der Linken, die AfD
       profitiert von hoher Wahlbeteiligung. Sachsen ist bunter als Thüringen.
       
   DIR Wahlen in Thüringen und Sachsen: Schwierige Suche nach Mehrheiten
       
       Nur das BSW und die AfD gewinnen bei der Wahl in Sachsen dazu. Das liegt
       nicht nur an der Ampelregierung. Eine Analyse.
       
   DIR Wahlen in Thüringen: Politik ist kein Ponyhof
       
       Seine Partei ist in Umfragen abgestürzt. Thüringens linker
       Ministerpräsident Bodo Ramelow kämpft dennoch unverdrossen um sein Amt und
       das Land.
       
   DIR taz Panter Forum: Ramelow, im Modus der Melancholie
       
       Die thüringische Spitzenpolitikerinnen*-Runde ist sich beim taz Panter
       Forum einig: Koalitionen mit der AfD soll es nicht geben.