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       # taz.de -- Architektin über Gartenkultur: „Unfassbar langweilige Parkanlagen“
       
       > Seit vier Jahrzehnten gestaltet Gabriella Pape Gärten. Ein Gespräch über
       > den Gartenproblemfall Deutschland, naturnahe Gestaltung und Gärtnern als
       > Kunst.
       
   IMG Bild: Gabriella Pape (rechts) und Isabelle Van Groeningen (links) in der Königlichen Gartenakademie
       
       Berlin-Dahlem im Sommer, ein Café im Grünen. Überall brummt und summt es.
       Bienen und Schmetterlinge schwirren durch Staudenbeete, während sich die
       Besucher:innen große Tortenstücke schmecken lassen. 
       
       An diesem Ort haben die Gartenarchitektin Gabriella Pape und ihre
       Geschäfts- und Lebenspartnerin Isabelle Van Groeningen 2008 die „Königliche
       Gartenakademie“ eröffnet. Einst befand sich am gleichen Ort die Königliche
       Gärtnerlehranstalt, ein wegweisender Ort für die Gartenkultur, 1823 von
       [1][Peter Joseph Lenné] in Potsdam gegründet. Heute ist die Akademie
       stilvolle Gärtnerei, Gastronomiebetrieb und botanische Volkshochschule in
       einem. 
       
       Es ist die Verbindung zwischen Ästhetik und Ökologie, die diesen Ort
       ausmacht. Gartenarchitektinnen sitzen im Designstudio an der Arbeit und
       gewähren Einblicke in ihre leuchtend bunte Entwürfe, Pflanzpläne und
       Moodboards. Das Glashaus daneben ist für den Empfang von 500.000
       holländischen Frühlingszwiebeln vorbereitet. Nach einem Rundgang über das
       Gelände lädt Gabriella Pape in ihr aufgeräumtes Büro zum Gespräch. 
       
       taz: Frau Pape, wir befinden uns hier auf historischem Gebiet. Einst war an
       diesem Ort die Königliche Gärtnerlehranstalt, eine bis heute in Deutschland
       einzigartige Ausbildungsstätte für Gartenkultur und Gartenkunst. Was hat
       sie so einmalig gemacht? 
       
       Gabriella Pape: Es war die Mischung von Wissenschaft und Schöngeist,
       praktischer und theoretischer Kenntnisse, die hier gelehrt wurden. Dazu gab
       es sieben Hektar Außenfläche, Obstanlagen, Gewächshäuser, die nach den
       Bedürfnissen spezifischer Pflanzen in verschiedenen Winkeln gebaut wurden,
       sowie eine Zusammenarbeit mit dem Botanischen Garten, der auf der
       gegenüberliegenden Straßenseite zur selben Zeit entstand. Eine solch
       vielseitige Ausbildung für Gartenkultur gibt es seit dem Dritten Reich in
       Deutschland nicht mehr. Vergleichbar wäre einzig die KEW School of
       Horticulture in London, wo ich mein Studium absolvieren durfte.
       
       taz: England ist bekannt für seine Gartenkultur und stolz darauf. In
       Deutschland gibt es erst in den vergangenen Jahren wieder mehr Bewusstsein
       für den Wert von gestaltetem Grün. 
       
       Pape: Sie können sich nicht vorstellen, wie es 2005 war, als wir anfangen
       wollten, die Akademie aufzubauen. Bei wie vielen deutschen Banken ich war,
       um einen Kredit zu bekommen! Da saßen schlipsige Männer, nur Männer – es
       sei denn, da war die Sekretärin dabei. Die starrten dann noch eine Weile
       auf die Tür, wenn ich reinkam, als würde der Ehemann oder gar der Vater
       hinterherkommen. Nachdem ich mein Projekt leidenschaftlich vorgestellt
       hatte, kam dann eine Leier, die ungefähr so klang: „Was wollen Sie hier
       machen? Gärtnern? Das braucht doch kein Mensch! Machen Sie lieber etwas mit
       Computern, Sie sehen doch ganz pfiffig aus …“
       
       taz: Denken Sie, dass es bei englischen Bankern einfacher gewesen wäre? 
       
       Pape: Meine Partnerin Isabelle erzählt gern eine Geschichte, die ich längst
       vergessen hatte. Offenbar gibt es eine Tradition des sprachlichen
       Nachhilfeunterrichts, den deutsche bei englischen Bankern nehmen. Dabei
       wohnt man in England bei den Gastgebern zu Hause. Einer der Banker, bei dem
       ich mich um einen Kredit bemüht hatte, absolvierte ein solches Programm.
       Als er zurückkam, wollte er mich nochmal sprechen und erzählte mir, dass
       der englische Kollege ständig über das Gärtnern geredet hätte. Irgendwann
       habe er dann auch etwas zur Konversation beigetragen und erzählt, eine
       Verrückte namens Pape hätte ein Projekt bei ihm vorgestellt, das kein
       Mensch versteht. Daraufhin holte sein Gastgeber eine Truhe mit Artikeln
       über mich hervor.
       
       taz: Hat es den deutschen Banker geläutert? 
       
       Pape: Er meinte: „In England stehen die Leute irgendwie auf Ihr Zeug, aber
       hier in Deutschland funktioniert das nicht.“
       
       taz: In dem von Ihnen erwähnten Buch haben Sie geschrieben, der Engländer
       gärtnere im Unterschied zum Deutschen mit dem Herzen. 
       
       Pape: Anders gesagt: Der Engländer kennt den Namen der Pflanze, der
       Deutsche den Preis. Nicht, dass man in England reich wäre, aber der Preis
       einer Pflanze ist gegen ihre Qualität und ihren Schönheitswert absolut
       zweitrangig. Auch kennen die Leute sich dort aus. Sie wissen, was ihnen
       gefällt, sie können Sorten unterscheiden. In den verschiedensten
       Gesellschaftsschichten ist eine Konversation über Gärten ein beliebtes
       Thema. Es wirkt nicht nur sozialisierend, sondern auch solidarisierend. In
       Deutschland wäre es eher ein Konversationskiller, wenn jemand über seine
       „Harlekin“ oder über seine „Girlande d’amour“ redet.
       
       taz: Welche Gründe sehen Sie für diese Unterschiede? 
       
       Pape: Unter anderem historische. Erstens sind die Engländer meist mit
       Gärten aufgewachsen. 80 Prozent der Bürger wohnen in eigenen Immobilien und
       haben, wenn auch nur handtuchgroß, ein Stück Garten. In Deutschland sind es
       etwa die Hälfte. Der eigene Garten ist hier keine gesellschaftliche
       Voraussetzung. Zweitens haben die Engländer nicht zwei Weltkriege
       angezettelt und verloren. Der Garten, der Hang zur Schönheit, musste sich
       nicht hinter einem schlechten Gewissen verstecken. In Deutschland galt
       lange eher das Motto: Nach diesem Krieg können wir doch nicht in Blumen
       schwelgen.
       
       taz: Die [2][englische Psychiaterin und Gartenautorin Sue Stuart Smith
       schreibt], für ihren aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Großvater sei
       das Gärtnern eine Überlebenshilfe gewesen. 
       
       Pape: Das Phänomen, dass Menschen im Gärtnern Halt gesucht haben, hat es
       nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in England als auch in Deutschland
       gegeben. Auch bei meinem Großonkel war das so. Als er zurückkehrte, hatte
       er alles andere als eine positive Aura um sich. Bis zu seinem Tod wollte er
       nichts anderes mehr tun als Gärtnern. Der Garten ist eine Art
       Auffangbecken. Das ging mir auch so. Ich hatte viel an der jüngeren
       deutschen Geschichte zu knabbern, als ich aufwuchs. Der Garten war mein
       Zufluchtsort.
       
       taz: Zu Coronazeiten wurde der Garten [3][aus anderen Gründen ein
       Zufluchtsort], er war eine Verbindung zur Außenwelt. Hat das in Ihren Augen
       zu einer nachhaltigen Veränderung des Bezugs zu Pflanzen geführt? 
       
       Pape: Unsere Gärtnerei konnte sich nicht retten vor Leuten. Wir mussten die
       Öffnungszeiten erweitern und haben uns fast totgearbeitet. Ja, ich denke,
       dass sich in jener Zeit einiges geändert hat, allerdings auf Grundlage
       einer Bewegung, die schon davor einsetzte. Das erhöhte Bewusstsein für die
       Gefährdung der Natur hat einen ganz anderen Zeitgeist, einen, der mit der
       Natur solidarisch sein will, hervorgebracht. Die Natur wird jetzt eher als
       Partner wahrgenommen. Und auch der Garten als Ort der Kultur und Gestaltung
       ist noch mal ganz anders ins Bewusstsein gerückt. Er gehört jetzt auch hier
       viel mehr zum Lifestyle. Auf Instagram sieht man jede Menge junge Leute,
       die tolle Gartenideen teilen – oder einer gärtnernden Madonna folgen.
       
       taz: In deutschen Publikationen wird der Begriff „Gartenkultur“ vor allem
       im höfischen Kontext, für die Grünanlagen von Schlössern verwendet. Die
       Brücke zur Gegenwart fehlt da oft. 
       
       Pape: Gartenkultur war bis Mitte des 19. Jahrhunderts kein
       „Gesellschaftssport“. Es gab zwar die Tradition öffentlich zugänglicher
       Außenanlagen von Schlössern und Landsitzen, aber das waren [4][keine
       Stadtparks]. Man ist auch nicht mal eben einen Tag mit der Pferdekutsche
       gefahren, um irgendwo in einem Park zu flanieren. Diese Möglichkeit kam
       erst dann näher, als die Stadtparks aufkamen – vor allem als Ausgleich für
       die enormen Luftverschmutzung in den Städten. Wobei die so enorm war, dass
       auch viele Bäume daran gestorben sind. Der Privatgarten dagegen war eher
       ein Ort zum Kartoffelanbau. Durch die Schrebergartenbewegung kam dann
       langsam ein Verständnis für den Garten als Ort der Ertüchtigung auf, als
       Freizeitausgleich. Dass er gar zu einem kontemplativen Ort wurde, wo man
       sich auch mal auf einer Gartenliege an seiner Schönheit erfreut, das ist
       eine verhältnismäßig neue Entwicklung – in der Generation meiner Großeltern
       undenkbar.
       
       taz: Wie verwenden Sie den Begriff Gartenkultur? 
       
       Pape: Die deutsche Sprache hat leider nur dieses eine Wort, „Gartenkultur“,
       entwickelt. Es bezeichnet einerseits die kulturhistorisch wichtigen Gärten.
       Andererseits beinhaltet es, zumindest für mich, das Kultivieren der
       Pflanzen selbst. In vielen anderen europäischen Ländern gibt es zwei
       unterschiedliche Wörter dafür. „Horticulture“ von lateinisch „hortus“, der
       Garten: die Kultur des Gärtnerns. Und es gibt „garden culture“: die
       Geschichte der Gärten. Problematisch ist in Deutschland, dass es hier zwar
       ein historisches Bewusstsein für Gartenkultur, aber kein zeitgenössisches
       Verständnis davon gibt. Es gibt zu wenig Wissen darüber, was weltweit
       passiert, was man mitgestalten und woran man sich ästhetisch orientieren
       kann. Ein Beispiel dafür ist der Vorplatz des neu gebauten Humboldtforums
       in Berlin. Es ist unvorstellbar für Isabelle und mich, wie so etwas in
       unserer Zeit passieren konnte, eine Frechheit! Was gebaut wurde, ist ein
       Platz für Aufmärsche und Wasserkanonen.
       
       taz: Ich denke, damit sprechen Sie vielen Berliner:innen aus dem
       Herzen. 
       
       Pape: Meines Erachtens ist die Gesellschaft in dieser Beziehung schon
       weiter als ihre Planer. Das Problem der historischen Gartenkultur ist oft
       der Denkmalschutz. Man möchte etwas bewahren, es so gestalten, wie es einst
       war. Aber Statik ist gegen jegliches Prinzip des Gärtnerns.
       
       taz: Wie beurteilen Sie den zeitgenössischen Umgang mit öffentlichen
       Grünflächen in Deutschland? Wo stehen wir? 
       
       Pape: Wir haben unfassbar langweilige Außenanlagen in Deutschland. Viele
       hiesige Parks sind zwar schön angelegt, aber die Randbepflanzung, das
       Begleitgrün ist unsäglich einfallslos, zum Beispiel die ganzen
       Knallerbsensträucher. Die ziehen darüber hinaus nicht eine einzige Biene
       oder sonst irgendetwas ökologisch Wertvolles an. Wir sind schon immer eine
       Nation der Extreme gewesen. Eine Zeitlang machen wir es so, dass es
       aussieht wie bei Jacques Tati: ein quadratischer Rasen, ein Jägerzaun, ein
       Carport, ein Kriechwacholder. Das kann man gut im Zaum halten. Und wenn man
       dann entdeckt, dass es auch anders geht, dann wird es auch wieder radikal.
       Jetzt haben wir das Verwahrloste entdeckt. So à la Loki Schmidt: Bloß
       nichts anfassen, die Natur macht das allein. Das gilt vielleicht für die
       Alsterauen, wo sie lebte. Ich habe auch keine Bedenken, dass die Natur sich
       super um unsere Städte kümmern wird, wenn wir alle verschwunden sind. Aber
       auf dem Weg dahin wollen wir nicht unbedingt nur zwischen Brombeerdickicht
       und den recht invasiven Götterbäumen leben.
       
       taz: In den Städten funktioniert eine kenntnisreich gezähmte Natur besser
       als eine sich selbst überlassene? 
       
       Pape: In der Stadt geht es um urbanen Raum, um die Frage, wie wir ihn
       teilen. Das ist komplex. Es besteht ein großer Unterschied zwischen
       „naturnah“ und „verwahrlost“. Letzteres ist am Ende für den Menschen nicht
       mehr zu bewältigen, weder mit dem Geist, noch mit den Händen. Und wenn
       etwas nicht mehr zu bewältigen ist, verliert der Mensch das Interesse und
       damit auch das Gefühl. Ein Beispiel dafür ist der Berliner Tiergarten. Da
       gibt es bestimmte Flächen, von denen man weiß, wie man sie in den Griff
       kriegt – wie den Rosengarten, der fast schon überpflegt ist. Andere Flächen
       lässt man verwildern. Das zeigt auch auf den Menschen Wirkung. Es kommen
       500 Partygänger und pinkeln rein. Zwischen diesen beiden Extremen passiert
       nicht viel.
       
       taz: Ich finde, dass sich schon einiges getan hat und beim Gang durch
       Städte immer mal wieder ansprechende Pflanzenkombinationen auffallen. 
       
       Pape: Das stimmt. Gesellschaftlich hat sich, wie gesagt, vieles verändert.
       Was es an Schönem gibt, entsteht daher fast alles aus Privatinitiative. Wie
       das Berliner Projekt „Kleine Plätze“ zur Pflege verwahrloster, kleiner
       öffentlicher Grünanlagen, deren Gründer leider in diesem Sommer verstorben
       ist, um nur eine der zahlreichen Privatinitiativen und Community Gardens zu
       nennen. Die meisten öffentlich bestellten Grünflächen in der Stadt sind
       dagegen verwahrlost. Was tragisch ist. Es wird viel Geld in die Anlage von
       Parks oder Gärten gesteckt, aber so gut wie kein Geld in die Pflege und den
       Erhalt. Die Folge ist meist Verwahrlosung, und dann geht das Ganze von
       vorne los. Ein unglaublich unnachhaltiger Vorgang.
       
       taz: Wenn ich zum Beispiel Wien mit Berlin vergleiche, fällt mir auf, dass
       die Wiener Anlagen viel gepflegter sind und dass sich das tatsächlich auf
       das Verhalten der Besucher:innen zu übertragen scheint. Müll habe ich
       dort selten gesehen. Andererseits wirkt Berlin viel natürlicher, auch
       dadurch, dass nur noch einmal im Jahr gemäht wird und dadurch viele
       Pflanzen wild aufkommen. 
       
       Pape: Die Spontanvegetation, die aufkommt, wenn man sich nicht kümmert, ist
       spannend. Nur, wie gesagt, irgendwann kann das kippen. Dann wird sich das
       Stärkere durchsetzen. Aber das entspricht nicht dem Ideal einer Stadt, wo
       wir Diversität haben möchten, wo es Menschen gibt, die mehr Schutz brauchen
       und andere, die auch mal ein Kontra brauchen. So in etwa ist es auch mit
       den Pflanzen. Es gibt auch noch eine weitere Krux bei der Sache: Man möchte
       naturnah gestalten, darum denkt man, mehr Natur hieße, dass man weniger
       Menschen braucht. Klar, wenn man nur noch einmal im Jahr mäht statt
       dreimal, spart das Arbeitszeit. Aber dafür gäbe es andere Aufgaben. Der
       gelernte Gärtner möchte auch liebevolle Arbeit leisten, schöne Dinge tun,
       nicht den ganzen Tag Rasenmäher fahren und alles zu Pudding schneiden.
       
       taz: Oder Laub blasen? 
       
       Pape: Das ist das Schlimmste, ein Laubbläser hat in Parks nichts zu suchen.
       Er bläst den Oberboden, Insekten, Mikroorganismen weg. Diese Arbeit
       erledigen zudem meist ungelernte Billigarbeitskräfte.
       
       taz: Was müsste sich ändern, damit ein kreativerer Umgang mit Grünflächen
       entstehen kann? 
       
       Pape: Wir müssten uns mehr Experimente im Bereich des öffentlichen Grüns
       leisten – anerkennen, dass ästhetisch und ökologisch gestaltete Pflanzungen
       einerseits unseren Schönheitssinn bedienen, andererseits davon auch viel
       Kraft sowie sogar psychische Heilung ausgehen kann. Öffentlichen Anlagen
       könnten viel inspirierender wirken und auch als Vorbilder für private
       Gärten dienen, was zum Beispiel in Bezug auf die noch häufig vorkommenden
       Schottergärten ein großer Gewinn wäre.
       
       taz: Welche Konzepte inspirieren Sie selbst als Gartengestalterin? 
       
       Pape: Im New Yorker Central Park zum Beispiel wird immer mal wieder
       gärtnerisch etwas ausprobiert. Das ist für die Gärtner genauso spannend wie
       für das Publikum. Außerdem gibt es Städte wie Nantes in Frankreich, die
       sehr bewusst und gezielt eine Vergrünung der Stadt angehen. 42 Prozent der
       versiegelten Fußwege und Straßen wurden dort schon herausgerissen und
       begrünt. Nun kommen viele Touristen, die bringen Geld, und davon kann man
       sich wiederum Gärtner leisten. Ein anderes Beispiel ist das schwedische
       Enköping, nordwestlich von Malmö, wo jede freie, öffentliche Stelle zu
       einem Pocket-Park verwandelt wurde und entlang des gesamten Stadtkanals
       durch kilometerlange Staudenpflanzungen ein ökologisches und vor allem
       ansprechendes Landschaftsbild kreiert wurde.
       
       taz: Und in Deutschland? 
       
       Pape: Der von einer Stiftung betriebene Hermannshof im
       Baden-Württembergischen Weinheim ist ein solches Beispiel. Nein, leider
       muss ich sagen: war. Dort hat der geniale Landschaftsarchitekt und
       Gärtnermeister Cassian Schmidt gearbeitet, bis er 2023 vor die Tür gesetzt
       wurde. Er hat viele Menschen dazu inspiriert, einheimische und nicht
       einheimische Pflanzen so zu nutzen, dass Landschaften entstehen, die sich
       auf kreative Weise um sich selbst kümmern können. Von Cassian Schmidt
       ließen sich große internationale Namen inspirieren. Auch für deutsche
       Gestalter war der Ort sehr wichtig. Für uns Profis war das ein Pilgerort.
       Vor allem für Menschen, die gärtnerisch etwas verändern wollten.
       
       taz: Warum wurde er vor die Tür gesetzt? 
       
       Pape: Das weiß kein Mensch. Angeblich sollte Geld gespart werden, wie immer
       in unserer Branche.
       
       taz: Was darf ein Garten noch innerhalb einer bedrohten Natur? Wieviel
       Spielraum bleibt für Ästhetik und Gestaltung? 
       
       Pape: Viel. Sowohl in Gärten wie in Parks können wir Biodiversität lernen
       und mitgestalten. Zum Beispiel legen wir hier in Dahlem nur Rabatten an,
       die ohne Bewässerung auskommen. Das ist möglich, indem man die Qualität
       eines Ortes erkennt und die Pflanzkonzepten dementsprechend anpasst. Was es
       dazu braucht, ist Offenheit für Veränderungen. So sind zum Beispiel Dogmen,
       die besagen, man solle nur einheimische Pflanzen verwenden, aus unserer
       Sicht Quatsch. Was mich nervt, ist die Desinformation. Während Corona kam
       plötzlich „die deutsche Biene“ auf, die nur auf „einheimische“, deutsche
       Blumen fliegt. Eine Art AfD-Biene. Es ist richtig, dass es einige wenige
       Bienen gibt, die tatsächlich nur von einer einzigen, einheimischen
       Pflanzenart abhängig sind. Das gilt aber ganz und gar nicht für die
       Honigbiene, was oft verwechselt wird. Eine der am meisten besuchten
       Pflanzen von Insekten, inklusive vieler Wildbienen, ist zum Beispiel der
       Lavendel, also keine deutsche Pflanze. Wenn wir über Artenvielfalt
       sprechen, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, was lokal gegeben ist,
       sondern was unter den sich verändernden Bedingungen überlebensfähig ist.
       Globaler Austausch ist unschätzbar wichtig.
       
       taz: Gibt es eine Verbindung zwischen dem Wissen, was einst in der
       Gärtnerlehranstalt gelehrt wurde und heute? 
       
       Pape: Durchaus. Die Deutschen haben auch in den vergangenen 50 Jahren
       Einfluss auf die Gartenkultur gehabt. Die ganze Idee der Verwendung der
       Pflanzen nach Standorten kam hauptsächlich aus Deutschland. Man kann das
       vergleichen mit dem Designleitsatz „form follows function“. Bereits an der
       Gärtnerlehranstalt gab es Vorträge darüber. Berühmte Gärtner und
       Gärtnerinnen haben weltweit daran angeknüpft. Die Engländer zum Beispiel
       haben zuerst darüber gelacht. Die haben gesagt: Wir machen es eben so, wie
       es hübsch ist – das Beet als Blumenstrauß. Aber es hat sich irgendwann dann
       doch das Wissen durchgesetzt, dass die Pflanze sich wohlfühlen muss und der
       Standort nachhaltig gewählt werden sollte.
       
       taz: In der Lehranstalt wurden bis 1927 nur Männer ausgebildet. Als Sie in
       den 1970er Jahren mit dem Gärtnern anfingen, waren Sie noch immer die erste
       weibliche Auszubildende bei der Baumschule Lorenz in Hamburg. Spielt die
       männliche Prägung im Gartenbereich für Sie persönlich eine Rolle? 
       
       Pape: Über die 150 Männer meiner Ausbildungsstätte habe ich irgendwie
       völlig hinweggesehen. Es war alles sehr freundlich und friedlich dort. Aber
       ich denke, intuitiv wusste ich, dass man als Frau besser sein muss, um
       Anerkennung zu finden. Ein dem Geschlechterdiskurs übergeordnetes Problem
       war jedoch die allgemein geringe gesellschaftliche Anerkennung des
       Berufsstands in Deutschland.
       
       taz: Anders als im Museumsbereich gibt es keine öffentlich bekannten Park-
       oder Botanische-Garten-Direktor:innen in Deutschland. Wäre es nicht auch
       für Ihren Bereich interessant, mehr internationale Größen nach Deutschland
       zu holen?
       
       Pape: Ich erzähle Ihnen einen Witz: Ich habe an das Pflanzenschutzamt
       geschrieben, weil ich einen Pflanzenschutzschein wollte und mein Diplom aus
       der bekannten KEW School for Horticulture mitgeschickt. Aber diese
       Qualifikation genügte dafür in Berlin nicht. Also habe ich meinen deutschen
       Lehrbrief von 1981 geschickt. Das hat geklappt. Da denke ich: Ach je, das
       ist ja alles so kaputt. Ich darf zum Beispiel auch nicht ausbilden. Dazu
       musste ich extra einen Meister einstellen. Ich will mich nicht mit Klagen
       aufhalten, ich komme auch so zurecht, aber ich denke an all die anderen
       Menschen aus anderen Fachbereichen, die überall in der Welt studiert haben
       und das Können und Wissen hierherbringen wollen. Ich glaube, so geht es
       nicht weiter. Wir könnten ein kreativeres Land werden, wenn es mehr
       Anerkennung für Erfahrungen gäbe.
       
       taz: Momentan läuft im und am Potsdam Museum eine Ausstellung zum
       „Gartenkünstler Karl Foerster“, dem wohl berühmtesten deutschen Absolventen
       der einstigen Königlichen Gartenlehranstalt, wo es auch eine Ausbildung zu
       ebenjenem „Gartenkünstler“ gab. Kann Gärtnern auch eine Kunst sein? 
       
       Pape: Das wird viel diskutiert. Es berührt die Frage über den freien
       Willen. Es ist ja beim Gärtnern so: Man beginnt mit einer Idee, aber die
       tollsten Sachen entstehen meist per Zufall. Das muss ich ehrlicherweise
       sagen. Darum sagen viele, die Willkür würde eine zu große Rolle spielen, um
       es als Kunst zu bezeichnen. Auch die Zeit spielt eine bedeutende Rolle. Ein
       Garten entfaltet sich. Man kann eine Vorstellung davon entwickeln, aber
       kein Endprodukt liefern. Meine Gärten sehen zum Zeitpunkt der
       Fertigstellung immer am Scheußlichsten aus. Dann muss ich die Kunden
       überzeugen, sie zu pflegen und abzuwarten. Wenn das klappt, können sie,
       zusammen mit den Pflanzen und der Zeit, helfen ein Kunstwerk sichtbar zu
       machen, welches mehr oder weniger intendiert war. Also ja, vielleicht ist
       es eine Kunst, einen großen Teil von dem anzulegen und vorauszusehen, was
       dann geschieht. Wenn aber jemand sagt: Das ist keine Kunst, dann ist es mir
       auch recht. Dann ist es, was es ist.
       
       taz: Der Philosoph E. Cooper spricht in diesem Zusammenhang bewusst von
       „Mystik“, von dem, was im für die menschliche Perspektive Verborgenen
       stattfindet. 
       
       Pape: Ja, es geht um die Erfahrung, nicht alles beherrschen zu können.
       Diese menschliche Manie fing bereits im Paradies an. Seit wir in den Apfel
       gebissen haben, denken wir, alles besser zu machen! Aber genau darum geht
       es nicht. Es geht nicht um einen Casino-Baden-Baden-Stil, also unzeitgemäße
       Schmuckbeete, die nur der Farben wegen gepflanzt und dann wieder
       herausgerissen werden. Sondern es geht um Gestaltungsprinzipien, die man
       nicht allein beherrschen kann. Wir wollen mit der Natur schöne Bilder
       kreieren.
       
       18 Sep 2024
       
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       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Architekt über Ideen für die Zukunft: „Was wir als Realität bezeichnen, ist nur ein Vorschlag“
       
       Pierre-Christophe Gam sammelt als Künstler Träume. Warum und wie aus
       Träumen ein anderes Zusammenleben gedacht werden kann, erzählt er im
       Gespräch.
       
   DIR Biologin über invasive Arten: „Nicht jeder Neophyt ist ein Problem“
       
       Neophyten, also nicht heimische Arten, können das Ökosystem
       durcheinanderbringen. Wie das geschieht, erklärt Philine Zieschang vom
       Botanischen Garten Berlin.
       
   DIR Die Frankfurter Crespo Foundation: Punkig Geld ausgeben als Moralphilosophie
       
       Überall wird die öffentliche Kulturförderung gekürzt. Ist die Crespo
       Foundation mit ihrem ungewöhnlichen Stiftungsmodell eine Alternative?
       
   DIR Samischer Künstler Joar Nango: Merzen in der Mitternachtssonne
       
       Bei Joar Nango verändern sich Funktionen von Alltagsdingen. Ein Besuch bei
       dem samischen Künstler in Norwegen und im Sprengelmuseum Hannover.
       
   DIR Neuer Bericht zur Artenvielfalt: Die Mooshummel sucht Futter
       
       60 Prozent der deutschen Naturschutzgebiete sind in schlechtem Zustand, der
       des Waldes verbessert sich. Das zeigt der „Faktencheck Artenvielfalt“.
       
   DIR Erforschung des Biodiversitätswandels: Tierisch kommunikatives Institut
       
       Das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels forscht nicht
       nur. In zwei Museen versucht es auch, das breite Publikum anzusprechen.
       
   DIR Gärtner in Coronazeiten auf hohem Niveau: Eine grüne Revolution
       
       Das Gärtnern hat auch dank Corona einen enormen Schub erfahren.
       Gärtnerisches Knowhow ist gefragt. Ein Besuch in der Königlichen
       Gartenakademie.
       
   DIR Berlin geht gärtnern: Da wächst was auf uns zu
       
       Über den Boom beim Gärtnern freuen sich Berlins und Brandenburgs
       Gärtnereien, die enorme Zuwächse verzeichnen. Sie hoffen auf eine neue
       Gartenkultur.
       
   DIR Dokumentarfilm über Kleingärten: Zwischen den Zäunen
       
       In ihrem Film „Grenzgärtner“ erzählen Julia Mittwoch und Maite Bueno
       Clemente über Konflikte im Berliner Kleingarten an der ehemaligen Grenze.