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       # taz.de -- Halbherziges Erinnern: Bloß ein Stück Symbolpolitik
       
       > Eine Hamburger Straße soll an Süleyman Taşköprü erinnern, der vom NSU in
       > seinem Laden erschossen wurde. Aber wer das nicht weiß, erfährt es nicht.
       
   IMG Bild: Ein Stern für Süleyman Taşköprü
       
       Hamburg taz | Die kleine Gruppe steht auf dem schmalen Bürgersteig unter
       einem Straßenschild, weiße Schrift auf blauem Grund. Das Gras ist nicht
       gemäht, strubbelig, ein paar Müllfetzen liegen herum, Ahornbäume spenden
       ein wenig Schatten. Hinter einem hohen Drahtzaun liegt die ehemalige
       Leergutannahme eines mittlerweile geschlossenen Großmarkts. Das Brummen der
       Autos und Lkws, die sich auf der nahen Stresemannstraße gen Hamburger
       Elbtunnel schieben, reißt nicht ab. Auf der anderen Straßenseite:
       kastenförmige Neubauten. Ein belangloses Stück Straße im Stadtteil
       Bahrenfeld also. Nur der Name ist nicht belanglos: Es ist die
       Taşköprüstraße.
       
       Süleyman Taşköprü wurde am 27. Juni 2001 von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt
       in seinem Lebensmittelladen erschossen. Er war das dritte Opfer der
       [1][rechtsterroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund
       (NSU)], die von 2000 bis 2007 bundesweit zehn Menschen ermordete. Und
       Hamburg war vor elf Jahren die erste Stadt, die eine Straße nach einem
       Opfer der Mordserie des NSU benannt hat.
       
       Im Juni 2013 beschloss die Bezirksversammlung Altona, einen Teil der Straße
       Kohlentwiete umzubenennen. Aber nur ein etwa 600 Meter langes Stückchen
       ohne nennenswerte Anzahl von Anwohnern. Es gab nur ein großes Bürohaus an
       der Ecke, dortige Mieter versuchten sogar noch, den neuen Straßennamen zu
       verhindern. Ohne Erfolg. Und den Großmarkt. Die Neubauten, die sogenannten
       Kühnehöfe, standen damals noch nicht, es war bloß eine Brachfläche.
       
       An vielen Orten der NSU-Morde waren damals schon Mahnmale aufgestellt
       worden. „Wir glauben allerdings, dass eine Straßenbenennung eine stärkere
       öffentliche Wirkung entfaltet“, sagte Yusuf Undag von den Grünen damals in
       der Bezirksversammlung. Noch heute kommt hier zufällig eher keiner vorbei,
       denn hier ist nichts, kein Café, kein Geschäft, bloß eine Tankstelle mit
       Autowaschanlage.
       
       ## Stadtrundgang „Rechte Gewalt“
       
       Die Gruppe, die an diesem Donnerstagabend vor dem Straßenschild steht, das
       die Kohlentwiete von der Taşköprüstraße trennt, ist auf einem Stadtrundgang
       zum Thema „Rechte Gewalt und der NSU-Komplex„unterwegs. Wer aber nicht
       weiß, wer Süleyman Taşköprü war und wer ihn umgebracht hat, erfährt es hier
       in der Taşköprüstraße auch nicht. Bei der Einweihung der Straße – während
       der der Betrieb in der Leergutannahme des Großmarkts nicht mal unterbrochen
       wurde, Glasflaschen klirrten in den Kisten, Gabelstapler fuhren herum –
       wurde eine Hinweistafel am Straßenschild angebracht, die erklärte, woher
       der Straßenname rührt. Die fehlt heute.
       
       Immerhin wurde das Straßenschild selbst noch ausgetauscht, denn in der
       ersten Fassung fehlte die Cedille, also das links gekrümmte Häkchen unter
       dem s in Taşköprü. Am anderen Ende der kurzen Straße, vorn an der Ecke, wo
       dauerhaft der Verkehr rauscht, fehlt der Hinweis nicht: Taşköprüstraße:
       nach Süleyman T. (1970–2001). Kaufmann, Opfer der rechtsextremen
       Terrorgruppe NSU in Hamburg-Bahrenfeld.
       
       Bleibt die Frage, wieso es diese belanglose Straße sein musste. Der Mord an
       Süleyman Taşköprü wurde nicht hier verübt, sondern in einer belebten
       Parallelstraße. Einmal quer zwischen den Neubauten durch, gelangt man zur
       Schützenstraße. In der Hausnummer 39 hatten die Taşköprüs ihr
       Lebensmittelgeschäft, hier schossen Mundlos und Böhnhardt Süleyman
       Taşköprü mehrfach in den Kopf. Sein Vater fand seinen sterbenden Sohn im
       Laden, als er vom Olivenkaufen zurückkam. Die Polizei stürzte sich damals
       auf den Familienkreis, Ermittler vernahmen nach dem Mord mehr als 30
       Verwandte und Freunde der Familie. Rassistische Mordmotive fanden keinen
       Eingang in die Ermittlungen.
       
       ## Zimmerpflanzen hinter der Scheibe
       
       Heute ist in dem ehemaligen Laden der Taşköprüs eine Agentur,
       Zimmerpflanzen stehen hinter der großen Scheibe, ein Tisch im früheren
       Verkaufsraum. Draußen, links an der Mauer zum Nachbargrundstück, steht ein
       Mahnmal, bestehend aus zwei schwarzen Steinen mit je einer Hinweistafel
       drauf. Auf der einen stehen weiß auf schwarz die Namen der Ermordeten, der
       Todestag und die Stadt, in der sie starben. Auf der anderen eine Erklärung,
       in der weder „Nationalsozialistischer Untergrund“ noch das Wort „Rassismus“
       auftauchen und die mit der Formulierung endet: „Wir sagen: nie wieder“. Bis
       heute ist Hamburg das einzige Bundesland, in dem der NSU mordete, das
       [2][keinen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss] ins Leben gerufen hat.
       
       Vor den beiden Mahnmalsteinen ist ein Stern in den Boden eingelassen, auf
       den die Teilnehmer der kleinen Stadtrundgang-Gruppe schweigend je zwei rote
       Rosen ablegen. Einige Passanten werden langsamer und schauen zu. In der
       Mitte des Sterns ist ein Foto von Süleyman Taşköprü. Man sieht es sofort,
       er sah dem Schauspieler Sylvester Stallone ähnlich, und er war ein Fan von
       ihm und hatte mit seiner Schwester Ayşen gewitzelt, sollte er vor ihr
       sterben, dann wolle er einen Stern wie auf dem Hollywood-Boulevard. Den hat
       er nun.
       
       14 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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