URI: 
       # taz.de -- Migrationsabkommen mit Usbekistan: Fachkräfte von der Seidenstraße
       
       > Ein neues Migrationsabkommen soll Visa für usbekische Fachkräfte
       > erleichtern. Usbekistan soll dafür Ausreisepflichtige aus Deutschland
       > zurücknehmen.
       
   IMG Bild: Vor den Verhandlungen die Kultur: Kanzler Olaf Scholz auf dem historischen Registan-Platz in Samarkand
       
       So wird man als Bundeskanzler derzeit selten begrüßt: „Wir freuen uns auf
       den Besuch seiner Exzellenz Olaf Scholz“, heißt es auf einer riesigen
       Leinwand, daneben der Kanzler vor wehender deutscher Fahne. In Usbekistan
       ist Olaf Scholz anders als in der Uckermark ein sehr willkommener Gast. Zum
       ersten Mal seit 22 Jahren ist ein deutscher Bundeskanzler auf Staatsbesuch
       in Usbekistan. Und bringt nicht nur seine Innenministerin und den
       Bevollmächtigten für Migration mit, sondern auch eine ganze Delegation
       von Unternehmensvertreter:innen aus dem Bergbau, der Logistik und
       von der Bahn. Am Sonntag landete er in [1][Samarkand, der
       Weltkulturerbestadt] an der historischen Seidenstraße.
       
       Doch im Zentrum des Kanzlerbesuchs steht nicht der Tourismus, sondern
       stehen die Themen Rohstoffgewinnung, Handel und Migration. Die Erwartungen
       auf usbekischer Seite sind hoch. „Vor allem Jobs und Handel“, fasst eine
       Journalistin des unabhängigen Privatsenders UzReport zusammen. Im
       vergangenen Jahr war der [2][usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew] zu
       Gast in Berlin. Laut UzReport soll Deutschland Usbekistan Arbeitsplätze für
       50.000 Usbek:innen versprochen haben.
       
       Eine Zahl, die sich im Migrationsabkommen, das Scholz und Mirsijojew am
       Sonntagabend unterzeichnen wollten, so nicht wiederfindet. Vielmehr heißt
       es aus dem Kanzleramt und dem Innenministerium: Quoten oder Kontingente
       seien nicht vorgesehen. Das Migrationsabkommen ist nach dem gleichen Muster
       gestrickt, wie das bereits am Freitag unterzeichnet Abkommen mit Kenia:
       Visa für Fachkräfte gegen die Rücknahme von Ausreisepflichtigen. Beide
       Seiten sollen profitieren.
       
       Wie Kenia hat auch Usbekistan eine junge Bevölkerung, die zum Teil gut
       ausgebildet ist, der es aber im Land an Perspektiven mangelt. Für
       Usbek:innen mit einem Berufsabschluss, aber auch für Studierende will
       das alternde Deutschland nun die Einreise in den Arbeitsmarkt erleichtern.
       Dabei geht es sowohl um zeitlich befristete Aufenthalte, etwa zum Studium
       oder für Saisonarbeiter:innen, als auch um unbefristete. Sofern sie
       die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, das heißt: in erster Linie
       wirtschaftlich unabhängig sind, sollen sie dann auch Ehepartner:innen
       und ihre minderjährigen Kinder nachholen dürfen. Auch die Partner:innen
       sollen ein Arbeitsvisum erhalten.
       
       [3][Ähnliche Abkommen hat die Ampel-Regierung bereits mit Georgien] und
       Marokko geschlossen, Kirgistan und Ghana sollen ebenfalls Interesse
       angemeldet haben. Oft läuft die Umsetzung aber schleppend. Sei es, weil
       Visa nur schleppend ausgestellt werden, sei es, weil Länder ihre Zusagen
       wieder zurückziehen. Wie im Falle der Republik Moldau, die ihre Menschen
       selbst im Land braucht und einen Braindrain befürchtet.
       
       Solche Bedenken gebe es im Falle Usbekistans aber nicht, heißt es aus dem
       deutschen Innenministerium. Vielmehr freue sich das Land, wenn junge
       Menschen in Deutschland eine Arbeit fänden – und natürlich auf deren
       Rücküberweisungen. Usbekistan sei deshalb sogar daran interessiert, das
       Abkommen auf Deutschlands Bedürfnisse zuzuschneiden, etwa Pflegekräfte
       gezielt zu qualifizieren. Eine usbekisch-deutsche Hochschule für
       Gesundheitswissenschaften wurde in diesem Jahr eingeweiht.
       
       Was die Rückführungen anbelangt, gibt es bislang kaum Probleme in
       Deutschland, weder mit rückkehrunwilligen Kenianer:innen noch mit
       Usbek:innen. Nur ein Bruchteil, nämlich rund 800 der 15.000 in
       Deutschland lebenden Kenianer:innen sind ausreisepflichtig. Bei
       Usbek:innen ist es ähnlich, rund 200 von rund 13.700 halten sich
       unerlaubt in Deutschland auf.
       
       Bei Rückführungen nach Usbekistan geht es wohl in erster Linie um ein
       anderes Land: Usbekistan grenzt direkt an Afghanistan. Anfang September,
       kurz nachdem [4][das erste Mal seit vier Jahren ein Abschiebeflug in das
       von den radikalislamischen Taliban regierte Land gestartet war], kündigte
       Regierungssprecher Steffen Hebestreit in der Bundespressekonferenz an, man
       werde mit strategisch wichtigen Schlüsselländern Gespräche führen, um
       weitere Abschiebungen vorzubereiten. Mit den Taliban selbst wolle man nicht
       sprechen. Usbekistan, das traditionell gute Kontakte zum Nachbarland
       unterhält, ist so ein Schlüsselland. So könnte Deutschland Afghan:innen
       nach Usbekistan abschieben, von wo sie weiter nach Afghanistan verbracht
       werden.
       
       Offiziell steht dazu nichts im Migrationsabkommen. Aus Kreisen des
       Innenministeriums bestätigte man lediglich, dass weitere Abschiebungen nach
       Afghanistan in Vorbereitung seien. Aus Kanzleramtskreisen heißt es, in
       Usbekistan würde auch über Abschiebungen nach Afghanistan gesprochen. Diese
       Gespräche stünden aber nicht im Zentrum. Wobei: Eine weitere Zusammenarbeit
       in diesem Bereich fördere natürlich Vertrauen und Zusammenarbeit in anderen
       Bereichen.
       
       Scholz und sein usbekischer Kollege unterzeichneten am Sonntag zudem eine
       gemeinsame Erklärung über die politische und wirtschaftliche
       Zusammenarbeit. Man will künftig in Sicherheitsfragen – etwa im Kampf gegen
       das organisierte Verbrechen und Terrorismus – kooperieren. Auf
       wirtschaftlicher Ebene geht es unter anderem um Energie.
       
       15 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Reise-durchs-postsowjetische-Usbekistan/!5921342
   DIR [2] /Wahlen-in-Usbekistan/!5810418
   DIR [3] /Migrationsabkommen-mit-Georgien/!5977838
   DIR [4] /Abschiebung-nach-Kabul/!6033417
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Usbekistan
   DIR Migration
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Olaf Scholz
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Krankenhausreform
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Asylverfahren
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Migrationsabkommen mit der Türkei: Ein „ganz normaler Prozess“?
       
       Sollen abgelehnte Asylbewerber:innen in großem Stil in die Türkei
       abgeschoben werden? Lars Klingbeil versucht vor Ort, die Wogen zu glätten.
       
   DIR Bündnis will Gipfel im Kanzleramt: Zukunft des Gesundheitswesens
       
       Pflegebedürftige werden mehr, Fachkräfte immer weniger. Ein breites Bündnis
       aus Verbänden der Gesundheitsberufe drängt auf ein Treffen im Kanzleramt.
       
   DIR Afghanistan wieder Abschiebeziel: Abflug zu den Taliban
       
       28 Personen wurden am Freitag überraschend nach Afghanistan ausgewiesen.
       Die Frage, was sie verbrochen haben, lässt die Bundesregierung
       unbeantwortet.
       
   DIR Trotz Gerichtsbeschluss ausgeflogen: Abschiebung um jeden Preis
       
       Ein Gericht hat die Abschiebung von Mehdi Nimzilne verboten – doch Sachsens
       Behörden ignorierten den Beschluss offenbar. Jetzt sitzt er in Casablanca
       fest.
       
   DIR Asyldebatte in Deutschland: Absurd teure Scheinlösungen
       
       Die Politik sucht mit den anvisierten Asylverfahren in Drittstaaten eine
       Wunderwaffe gegen die AfD-Erfolge. Sogar mit neokolonialem Verhalten.