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       # taz.de -- Neuer Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels: Das neue soziale Gewissen der CDU
       
       > Dennis Radtke ist neuer Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen
       > Arbeitnehmerschaft Deutschlands. Der EU-Abgeordnete gilt als „Anti-Merz“.
       
   IMG Bild: Weimar, 14. September: Dennis Radtke spricht auf der Tagung. Die 40. Bundestagung der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft
       
       Dennis Radtke gibt sich kämpferisch: „Wenn die CDU Volkspartei bleiben
       will, wenn für uns Wahlergebnisse von 35 Prozent und mehr drin sein sollen,
       müssen wir den Arbeitnehmerflügel stärken.“ Am Samstag ist der 45 Jahre
       alte Europaabgeordnete aus Bochum in Weimar ohne Gegenkandidaten zum
       Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft
       Deutschlands (CDA) gewählt worden. Den hatte seit 2005 Karl-Josef Laumann
       geführt. Radtke war seit 2019 dessen Stellvertreter. Um
       Wirtschaftsliberalen wie CDU-Bundeschef Friedrich Merz und seinem
       Generalsekretär Carsten Linnemann etwas entgegenzusetzen, kandidierte
       Laumann im Mai [1][als CDU-Bundesvize – mit Erfolg].
       
       Dass die CDA innerparteilich in der strukturellen Defensive ist, weiß
       Radtke. „Der Mainstream ist ein anderer“, räumt der Parteilinke ein.
       Einflusslos ist seine CDA aber nicht: Als Radtke Mitte August einer
       pauschalen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre eine Absage
       erteilte, dauerte es nur vier Tage, bis CDU-Chef Merz auf diese Linie
       einschwenkte.
       
       Trotzdem nervt Radtke – Vater einer sechsjährigen Tochter und eines drei
       Jahre alten Sohns – in der Union viele: Schließlich macht er sich nicht nur
       für Mindestlohnerhöhungen und armutsfeste Renten stark. [2][Im Kampf um
       Armin Laschets Kanzlerkandidatur] drohte er dessen CSU-Konkurrenten Markus
       Söder 2021 sogar mit einem Einmarsch der CDU nach Bayern.
       
       Ablesbar ist diese Gereiztheit auch an den Überschriften der
       wirtschaftsliberalen Presse. Einen „Anti-Merz“, einen
       „Sozialstaats-Groupie“ nannte ihn die Welt. Die Frankfurter Allgemeine
       Zeitung beschrieb ihn als den „Sozialonkel aus Wattenscheid“ – nach dem
       Bochumer Stadtteil, in dem er 1979 geboren wurde. Hier, neben dem
       ehemaligen Schacht 4 der Zeche Holland, liegt auch sein Abgeordnetenbüro.
       
       Wie sehr ihn das Ruhrgebiet geprägt hat, will der Industriekaufmann, der
       beim Bochumer Kokerei-Ausstatter „Dr. C. Otto Feuerfest“ in die Lehre ging,
       in jedem Gespräch sofort klarmachen: Wie vor Jahrzehnten nutzt Radtke,
       dessen beide Großväter Kohlekumpel waren, den Bergmannsgruß „Glückauf“.
       
       Um den angeschlagenen Revier-Stahlgiganten Thyssenkrupp sorgt sich Radtke,
       der nie studiert und sich stattdessen bei der IGBCE zum
       Gewerkschaftssekretär fortgebildet hat, deshalb genauso wie um VW. Wie
       seine Gewerkschaft, für die er zuletzt als Bezirksleiter im lange vom
       Bergbau geprägten Moers gearbeitet hat, will Radtke die Industrie
       finanziell entlasten. Er fordert: Energiekosten runter, einen
       Industriestrompreis einführen. Und von seiner Parteikollegin,
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, fordert der Abgeordnete,
       der seit 2017 im Europaparlament sitzt, „endlich effektiven
       Bürokratieabbau“ ebenso wie schnellere Förderzusagen.
       
       Die Verunsicherung durch drohende massive Jobverluste zahle im „Endspiel um
       unsere liberale Demokratie“ auf das Konto populistischer Parteien wie der
       AfD und das BSW ein. Kürzlich sprach er sich mit 39 weiteren
       CDU-Mitgliedern [3][für einen Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei mit
       dem BSW aus].
       
       Dass er teils klingt wie viele traditionelle Sozialdemokraten gerade in
       NRW, ist kein Zufall. Bis 2002 war er selbst SPD-Mitglied. Er trat aus
       wegen einer Enttäuschung, die noch heute spürbar ist: „Die SPD verleugnet
       ihre historischen Wurzeln und versteht sich nicht mehr als Vertretung der
       Industriearbeiter.“ In der CDU habe er nach dem Parteiwechsel „lange Zeit
       mit Vorbehalten zu kämpfen gehabt“. „Wer im Ruhrgebiet in die CDU
       eintritt“, sagt er dazu, „macht das nicht aus Karrieregründen.“
       
       15 Sep 2024
       
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