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       # taz.de -- Hilfsangebote am Hamburger Hauptbahnhof: Konzentriertes Elend befürchtet
       
       > Ín einem Haus im Bahnhofsviertel will Hamburg Angebote für Suchtkranke
       > und Obdachlose unterbringen. Anwohner:innen wollen lieber Housing
       > First.
       
   IMG Bild: Die Stadt will nahe des Hamburger Hauptbahnhofes weitere Hilfsangebote schaffen: Es geht um das helle Haus links neben dem Baum
       
       Hamburg taz | Platz für ein großes Housing-First-Projekt gäbe es in dem
       leer stehenden Gebäude in der Repsoldstraße 27 am Hamburger Hauptbahnhof
       mehr als genug. 100 bis 200 Kleinstwohnungen, je nach Größe der
       Appartements, und begleitende Angebote für wohnungslose Menschen könnten in
       dem 6.500 Quadratmeter großen Gebäude entstehen. Das jedenfalls hat der
       Anwohnerverein St. Georg ausgerechnet.
       
       Dessen Vorsitzender Michael Joho sagt zur taz, dass man diese Chance nutzen
       müsse, um angesichts des eher mäßigen Erfolgs des bestehenden
       Modellprojekts „Housing First Hamburg“ schnell möglichst viele Menschen von
       der Straße zu bringen und ihnen eine dauerhafte Perspektive zu geben.
       
       Doch die Stadt hat andere Pläne für das Gebäude. Bis Ende des Jahres will
       die Sozialbehörde in dem siebenstöckigen Haus [1][eine Reihe von
       Hilfsangeboten] unterbringen. Wohnungen sind bisher keine geplant. Im April
       hatte das städtische Sozialunternehmen Fördern und Wohnen [2][die Immobilie
       im Auftrag der Sozialbehörde gekauft].
       
       Entstehen soll dort ein umfassendes und niedrigschwelliges Hilfsangebot für
       suchtkranke und wohnungslose Menschen, auch für Menschen ohne Papiere oder
       solche, die noch keinen Entzug hinter sich haben. Der Kauf stehe im
       Zusammenhang „mit umfangreichen sozialpolitischen Maßnahmen rund um den
       Hauptbahnhof“, heißt es auf taz-Anfrage aus der Sozialbehörde.
       
       Das Konzept für das Gebäude werde derzeit entwickelt, so die Behörde. In
       einem ersten Schritt sollten möglichst bis Ende des Jahres „Tages- und
       Nachtschlafplätze für drogenkonsumierende Personen“ sowie ein
       „medizinisches und psychiatrisches Beratungsangebot“ entstehen. Weitere
       Funktionalitäten werden demnach zurzeit geprüft. Grob ließen sich die
       geplanten Angebote den vier Rubriken „Beratung, Übernachtung,
       Überlebenshilfe/Versorgung und Heranführung an Beschäftigung“ zuordnen. In
       diesem Zusammenhang werde auch das Thema Housing First geprüft, so die
       Behörde. Diese Ideen sollen aber jetzt mit den räumlichen Gegebenheiten des
       Gebäudes abgeglichen und weiter konkretisiert werden.
       
       ## Massive Konzentration von Hilfsangeboten
       
       Grundsätzlich begrüße der Anwohnerverein St. Georg, dass das Gebäude der
       Stadt die Möglichkeit gibt, „den ordnungspolitischen nun auch sozial- und
       gesundheitspolitische Maßnahmen folgen zu lassen“, schreibt er in einer
       Pressemitteilung. Die Dimension des Hauses aber berge „erhebliche
       Gefahren“. Die Kritik: Eine „massive Konzentration unterschiedlicher
       Hilfsangebote“ bringe negative Konsequenzen für den Stadtteil mit sich und
       sei [3][„sozialpolitisch riskant“]. Durch den Kauf des Hauses habe der
       Senat sich selbst unter Druck gesetzt, es „irgendwie vollzukriegen“.
       
       Die Fülle an Angeboten, die Staatsrat Tim Angerer (SPD) im Juli im
       Stadtteilbeirat St. Georg vorgestellt hat, erscheine dem Verein „in dieser
       Konzentration und gleich neben dem Drob Inn“ „sozial z. T. nicht
       kompatibel“. Dort Notschlafplätze einzurichten, sei dringend erforderlich,
       betont auch Joho auf Nachfrage der taz. Daneben aber einen Trinkraum für
       Alkoholkonsumierende oder eine Pension für Saisonarbeitskräfte aus der EU
       einzurichten, führe unweigerlich zu Konflikten und widerspreche allen
       fachlichen Erfahrungen, schreibt der Verein.
       
       ## An den Rand gedrängte Gruppen
       
       Die Mitglieder des Anwohnervereins befürchtet außerdem, dass immer mehr an
       den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppen in den Stadtteil am
       Hauptbahnhof gezogen werden könnten. St. Georg und das zum Stadtteil
       Hammerbrook gehörende Münzviertel auf der gegenüberliegenden Seite der
       Fernbahngleise seien deshalb als Wohnstandorte in Gefahr. Die Situation
       dort habe sich in den vergangenen drei Jahren zugespitzt, schreibt der
       Anwohnerverein: „Drogenkonsum und -handel, vermehrter Alkoholkonsum und
       aggressives Verhalten, vor allem eine starke Zunahme der Menschen ohne
       Obdach und ihre Verelendung sorgen in Teilen St. Georgs für immer
       angespanntere Verhältnisse.“
       
       Hintergrund der Entwicklungen sei zum einen die Zunahme von Armut und
       Entwurzelung, Inflation und fehlendem, bezahlbarem Wohnraum. Die Zuspitzung
       sei aber auch Ergebnis der Hauptbahnhof- und City-Politik des rot-grünen
       Senats und des Bezirksamtes Mitte in den vergangenen Jahren. Die
       Einrichtung neuer Überwachungskameras, die Einführung eines Waffen-,
       Bettel- und Alkoholverbots sowie die [4][Einführung der sogenannten
       „Quattrostreifen“], eine Kooperation von Polizei und Bundespolizei sowie
       zwei Sicherheitsdiensten, habe Auswirkungen wie in den 1990ern. Die
       Vertreibung der offenen Drogenszene um den Hauptbahnhof hatte damals dazu
       geführt, dass die Szene sich in andere Stadtteile, vor allem das
       Schanzenviertel, verlagerte.
       
       ## Wechselwirkungen beobachten
       
       Auch die Sozialbehörde will auf Nachfrage der taz nicht ausschließen, „dass
       die erhöhte Aufmerksamkeit an bekannten Aufenthaltsorten obdachloser
       und/oder suchtkranker Menschen auch zu räumlichen Bewegungen führt“. Ziel
       der Hilfsangebote am und um den Hauptbahnhof sei aber nicht, „Menschen von
       dort in andere Sozialräume zu verdrängen“. Die Maßnahmen seien „noch neu
       und ungewohnt“ und noch nicht voll umgesetzt, ihre Wirksamkeit könne erst
       beurteilt werden, wenn sie vollends umgesetzt seien. Sich ergebende
       Wechselwirkungen beobachte die Behörde genau, „um gegebenenfalls
       nachzujustieren“.
       
       16 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hamburg-kauft-Immobilie-fuer-Suchtkranke/!6008296
   DIR [2] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/sozialbehoerde/aktuelles/pressemeldungen/2024-04-30-sozialbehoerde-verbesserte-versorgungsstruktur-fuer-suchtkranke-und-obdachlose-menschen-902356
   DIR [3] https://ev-stgeorg.de/?p=2629
   DIR [4] /Sicherheit-am-Hamburger-Hauptbahnhof/!5945319
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Matthies
       
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