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       # taz.de -- Fußball-Vorbilder im Kampf gegen rechts: Das Verschwinden linker Draufgänger
       
       > Warum es im Kampf gegen rechts keine schillernden Figuren mehr gibt – wie
       > etwa den französischen Unternehmer und Sportfunktionär Bernard Tapie.
       
   IMG Bild: Scheute keine politische Debatte: der Unternehmer und Politiker Bernard Tapie im Jahr 1988
       
       Angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten stellt sich die Frage, auf
       welche Weise sich auch der Fußball dagegen positionieren kann. Eines von
       vielen historischen Vorbildern – ein sehr schillerndes obendrein – [1][ist
       der 2021 verstorbene Bernard Tapie.]
       
       Tapie wird 1943 geboren und wächst in Le Bourget auf, einem Vorort von
       Paris. Er ist der Sohn eines Schlossers und einer Krankenpflegerin. Seine
       berufliche Karriere beginnt er als Sänger und Formel-3-Fahrer, nach einem
       Unfall eröffnet er ein Fernsehgeschäft, um es dann mit Gewinn wieder
       abzustoßen.
       
       Er wird Unternehmer und vertreibt unter anderem Notrufbeeper für
       Herzkranke. Ein Kunde kommt zu Tode, vermutlich auch, weil der
       Bereitschaftsdienst keinen Mediziner schickt, sondern einen ehemaligen
       Lieferwagenfahrer. Die Ärztekammer klagt: Tapie wird zu einem Jahr auf
       Bewährung verurteilt. Ab 1977 spezialisiert er sich auf den Aufkauf
       insolventer Unternehmen, die er saniert. 1984 erwirbt er den
       Batterienhersteller Wonder für einen symbolischen Franc und verkauft ihn
       vier Jahre später für 400 Millionen Francs weiter.
       
       Der größte Coup, aber kein Einzelfall: Bald, sehr bald schon ist Tapie ein
       reicher Mann. Beliebt ist er auch: 1984 wählt ihn das Publikum zu
       Frankreichs „Mann des Jahres“. Zwei Jahre später realisiert er die Dokusoap
       „Ambitions“, in der er einem jungen Kandidaten hilft, ein Unternehmen
       aufzubauen. Das war einer der Vorläufer zu „The Apprentice“.
       
       ## Bekanntschaft mit Mitterand
       
       Seine Leidenschaft gilt dem Sport. 1984 übernimmt er ein Radfahrteam, das
       drei Mal [2][die Tour de France] gewinnt, und kauft für einen symbolischen
       Franc Olympique Marseille, das unter seiner Präsidentschaft von 1989 bis
       1993 durchgängig französischer Meister wird, 1989 den französischen Pokal
       und 1993 – die Krönung – die Champions League gewinnt.
       
       Bereits 1990 hat Tapie Adidas gekauft. Es ist „das Geschäft seines Lebens“,
       wie er sagt. Der Satz wird ihn später noch einholen. Er verordnet ein
       komplettes Redesign (seither trägt Adidas drei Streifen im Logo) und lagert
       einen Großteil der Produktion nach Asien aus. Ab 1993 ist die Firma wieder
       rentabel und Tapie verkauft sie an seine Bank, den staatlichen Crédit
       Lyonnais.
       
       Parallel dazu verfolgt Bernard Tapie seine politische Karriere. Er lernt
       den französischen Präsidenten François Mitterand kennen und kandidiert 1989
       in einem als aussichtslos geltenden Wahlkreis: Den er schlussendlich
       gewinnt.
       
       Tapie macht schon früh den Kampf gegen den Front National zu seinem
       Anliegen. Während die etablierten Politiker den Front National am liebsten
       wegignorieren würden, scheut er die Konfrontation nicht. Le Pen könne man
       verurteilen, so die allgemeine Haltung, aber nicht seine Wähler, die aus
       Protest, Verzweiflung, Angst und mangelnder Aufmerksamkeit von ihren
       Gefühlen fehlgeleitet seien. Tapie hingegen sagt es deutlich: „Wenn Le Pen
       ein Drecksack ist, sind es seine Wähler auch.“ Er begibt sich auf
       FN-Versammlungen. Als man ihn aufs Podium holt, fordert er in seiner Rede
       die Anwesenden auf, sich bei der nächsten Morgentoilette vollzukotzen.
       
       ## Tapie ist pleite
       
       Bei einer Fernsehdebatte droht er Jean Marie Le Pen Dresche an. 1992,
       endlich, wird er ‚Minister für die Belange der Städte‘. Er will sich vor
       allem um die Probleme in den Banlieues kümmern. Knapp einen Monat nach
       seiner Berufung wird ihm Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen.
       Tapie lässt sein Amt ruhen, so lange die Ermittlungen andauern. Im Januar
       1993 kehrt er zurück, im März wird die Regierung abgewählt.
       
       Bereits ein Jahr zuvor hat Tapie Adidas abgestoßen, um dem Vorwurf eines
       Interessenkonflikts vorzubeugen. Eine Tochterfirma des staatlichen Crédit
       Lyonnais erwirbt das Unternehmen für 2 Milliarden Francs. Tapie hat noch
       einige Schulden bei seiner Bank und zählt darauf, sie durch den sukzessiven
       Verkauf weiterer Unternehmen tilgen zu können. Aber der Crédit Lyonnais
       lässt Tapie auflaufen und erklärt ihn für zahlungsunfähig. Tapie ist
       pleite, der Front National setzt unter Marine Le Pen zu einem Höhenflug an.
       
       Tapie ist die französische, spiegelverkehrte Version von Trump: mit dem
       Unterschied, dass seine Geschichte mit seiner Pleite abbricht. Diese Sorte
       Hasardeur engagiert sich inzwischen lieber in der extremen Rechten, wo sie
       mehr Schutz für sich und die eigenen Interessen zu erwarten hat. Trump
       gegen rechts, das könnte die Moral der Geschichte sein, funktioniert nicht.
       Als sich in den 80ern und teils in den 90ern im Westen in einigen Kurven
       Nazis breitgemacht hatten, brauchte es vor allem Widerstand auf den Rängen,
       auch und vor allem handfesten.
       
       Politisch stabile Kurven – gegen die deutsche Fußballunternehmer wie
       Dietmar Hopp oder Martin Kind [3][oder Uli Hoeneß regelmäßig ankämpfen] –
       sind alternativlos. Sie sinnlos zu bekämpfen, ist selbst schon Teil der
       Barbarei.
       
       18 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Frédéric Valin
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Helden der Bewegung
   DIR Bernard Tapie
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