URI: 
       # taz.de -- Cinecittà-Göttin Sophia Loren wird 90: Mit Klischees, gegen Klischees
       
       > Die Schauspielerin Sophia Loren schaffte es meist, ihren Rollen als
       > weiblich-schwaches Objekt Stärke und Weisheit mitzugeben. Am Freitag wird
       > sie 90.
       
   IMG Bild: Sophia Loren auf dem Roten Teppich des Governors Award in Hollywood, Kalifornien, 27. Oktober 2019
       
       Es gibt eine Szene im Film „Hausboot“, die demonstriert es ganz gut. Sophia
       Loren spielt Cinzia, die Tochter eines italienischen Dirigenten, die bei
       einem Konzert ihres Vaters in Washington ausbüxt und zufällig über die
       Kinder des Beamten Tom (Cary Grant) stolpert. Tom, dessen Ex-Frau gestorben
       ist, kann mit seiner neuen Vaterrolle nichts anfangen und bittet Cinzia,
       ihm als „Hausmädchen“ zur Seite zu stehen. Sie ist ja immerhin eine Frau,
       Italienerin gar. Die Kinderpflege müsste ihr demnach im Blut liegen.
       
       Es sind alte Klischees, die die Prämisse zu dem von Melville Shavelson 1958
       inszenierten Film bilden. Doch was „die Loren“, wie bei allen
       Hollywoodgöttinnen reicht der Nachname, aus dieser Prämisse macht, ist
       unnachahmlich: Als der unsensible Tom seinem ältesten Sohn beim
       Hausbootrenovieren mal wieder nichts zutraut und kräftig am angeschlagenen
       Selbstbewusstsein des traumatisierten Teenagers rüttelt, sprüht Cinzia Tom
       wie aus Versehen eine Portion Wandfarbe mitten ins Gesicht. Ohne die Miene
       zu verziehen, sagt sie „Verzeihung“ – und stolziert von dannen. Und Tom hat
       seine Lektion gelernt.
       
       Sophia Loren, die am Freitag 90 Jahre alt wird, musste während ihrer
       gesamten Karriere gegen Klischees anspielen – und schaffte es fast immer,
       sie zu drehen, ihren Rollen als weiblich-schwaches, wankelmütiges Objekt
       der Begierde Stärke und Weisheit mitzugeben, sie facettenreich und
       empathisch zu gestalten.
       
       In [1][italienischen Filmen] der 50er Jahre wurde die 1934 in Rom in
       prekäre, uneheliche Verhältnisse geborene Sophia Loren zunächst aufgrund
       ihres Aussehens besetzt – ihre Mutter schickte sie bereits als Teenager auf
       Laufstege, Bilder zeigen die 15-Jährige bei einem Schönheitswettbewerb in
       Brust-raus-Pose und mit jenem etwas kühlen Ausdruck im feinen Gesicht, der
       bis heute ihr Markenzeichen ist. Ihren Körper zur Schau zu stellen, um
       männliches Begehren anzuheizen, das war für Loren und die misogyne
       italienische Filmindustrie selbstverständlich.
       
       Auf ihren häufigen Spielpartner [2][Marcello Mastroianni], den Prototypen
       des von seiner durch sexistische Moral und Katholizismus unterdrückten Lust
       gequälten „italian stallion“, traf sie erstmals 1954 in „Schade, dass du
       eine Kanaille bist“. Da hatte sie bereits die Filmschule, einige
       Nebenrollen (16-jährig als Komparsin in „Quo Vadis“) und zwei Hauptrollen
       hinter sich.
       
       Egal ob in Cinecittà oder Hollywood, wo sie ab 1958 zunächst für
       [3][Paramount Pictures] arbeitete: Loren stand für Verführung und einen
       gewissen Exotismus, war das Sinnbild der fatalen, von ängstlichen Männern
       definierten Heilige-oder-Hure-Dualität, der sich Frauenfiguren im Film
       unterordnen mussten.
       
       In den 50ern und 60ern behauptete sie sich weiter in der Filmbranche, und
       wenn auch Fans und Kollegen sich Beziehungen erträumten (und es eine Affäre
       mit Cary Grant gab, die das Hausboot-Shooting erschwerte), blieb Loren
       stoisch und römisch-katholisch, ganz anders als ihre flatterhaft-flirtenden
       Filmcharaktere: Sie heiratete 1957 den 22 Jahre älteren Produzenten Carlo
       Ponti, bekam zwei Söhne und blieb bis zu seinem Tod mit ihm zusammen. In
       den 70ern und 80ern reduzierten sich, wie zu erwarten war, die
       Rollenangebote, die Filme wurden jedoch interessanter.
       
       In den 90ern zeigte Loren dann Geschick als Geschäftsfrau, verkaufte mit
       ihrem Namen Kochbücher, Parfüm und Brillen und schrieb ihre Autobiografie.
       An ihrem 90. Geburtstag kann sie nicht nur stolz sein, die Strukturen
       Hollywoods überlebt zu haben. Sie hat sie sich zu eigen gemacht. Wer hier
       wen um den Finger wickelt, das bestimmt immer noch sie.
       
       20 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bremer-Buch-zum-italienischen-Film/!5758690
   DIR [2] /Anora-und-Marcello-mio-in-Cannes/!6009164
   DIR [3] /Streamingdienst-Paramount/!5898967
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
       ## TAGS
       
   DIR Hollywood
   DIR italienisches Kino
   DIR Filmbranche
   DIR Sexismus
   DIR Rollenklischees
   DIR Social-Auswahl
   DIR taz Plan
   DIR Alfred Bauer
   DIR Film
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kinotipp der Woche: Unbeugsame Kämpferin
       
       Claudia Cardinale zählt zu den großen Diven des italienischen Kinos der
       Sechziger. Das Arsenal würdigt die Schauspielerin mit einer Hommage.
       
   DIR Erster Leiter der Filmfestspiele: Keine braune Berlinale
       
       Eine Studie nimmt die Anfangstage der Berlinale unter dem NS-belasteten
       Alfred Bauer in den Blick. Ein bislang unerforschter Nachlass ist
       aufgetaucht.
       
   DIR Bremer Buch zum italienischen Film: Pointiert, anschaulich, intelligent
       
       Mit seiner „Geschichte des italienischen Films“ hat der Bremer Irmbert
       Schenk eine so umfassende wie gut zu lesende Gesamtdarstellung geschrieben.