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       # taz.de -- Landtagswahlen in Brandenburg: Tochter Courage
       
       > Die SPD in Brandenburg war mal eine Macht. Das lag auch an Regine
       > Hildebrandt. Nun kämpft ihre jüngste Tochter Elske um ihr Erbe – und die
       > Demokratie.
       
       Strausberg/Gotha taz | Wie muss man sich einen AfD-Wähler in Brandenburg
       vorstellen? Vielleicht so: männlich, Mitte 40, mit Brille und T-Shirt, an
       der Leine einen Yorkshire-Terrier mit Thermodecke. Der Terrier pinkelt an
       einen Stromkasten, als die Frau von der SPD sich nähert. „Kann ich Ihnen
       mal eine Information geben“, sagt sie und hält ihm einen roten Flyer hin.
       Nee, sagt der Mann, er habe schon gewählt. „Ach so. Und gibt es sonst was,
       was Se beschwert?“, fragt die SPD-Frau. Sie sei nämlich die örtliche
       Landtagsabgeordnete. „Elske Hildebrandt mein Name.“
       
       „Ja“, sagt der Mann und wendet sich nun Hildebrandt zu. „Die ganze Politik,
       die nervt mich“ – „Wat meinen Sie denn konkret, was Sie nervt?“, will
       Hildebrandt wissen. „Na die Migration“, sagt der Mann. Er bleibt stehen,
       der Terrier macht Platz. Herrchen will reden. „Wissen Sie, die ganzen
       Ausländer. Die, die sooon Strafregister haben, die dürfen bleiben. Und die,
       die jeden Tag fleißig zur Arbeit gehen, die werden abgeschoben.“ – „Das
       finde ich ja interessant, Sie finden also, die Falschen werden abgeschoben.
       Die sollten eigentlich bleiben?“, hakt Hildebrandt nach. Der Mann nickt.
       „Genau. Aber manche müssen doch nur ’ne Straftat begehen, und wissen, die
       dürfen bleiben. Die lachen uns doch aus.“ Er schüttelt den Kopf.
       
       Und dann entspinnt sich ein längeres Gespräch. Zwischen dem Mann, der als
       Polizist in Berlin arbeitet, wie sich herausstellt, und Elske Hildebrandt,
       der Direktkandidatin im Wahlkreis Märkisch Oderland II. Zwei Gemeinden und
       die Stadt Strausberg, wo sie gerade unterwegs ist, gehören dazu.
       
       Es ist ein Dienstag, Anfang September, bis zu den Landtagswahlen sind es
       noch knapp drei Wochen. Die SPD will erneut stärkste Kraft werden und
       wieder den Ministerpräsidenten stellen, der seit 2013 [1][Dietmar Woidke]
       heißt. Seit 35 Jahren ist Brandenburg fest in sozialdemokratischer Hand.
       Doch die Stimmung hat sich gedreht. Seit Monaten führt [2][die AfD in
       Umfragen]. Und das, obwohl Brandenburg unter den 16 Bundesländern
       inzwischen das zweithöchste Wirtschaftswachstum verzeichnet.
       
       Die goldenen Zeiten für die Brandenburger SPD waren die 90er.
       Wirtschaftlich schwierige Zeiten. Hunderttausende ehemalige DDR-Bürger
       hatten innerhalb weniger Monate ihre Arbeit verloren; versuchten, mit
       Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Umschulungen Fuß zu fassen in der
       Bundesrepublik. Den Sozialdemokraten trauten viele damals zu, sie durch
       diese Zeit zu führen. Und das lag auch an Regine Hildebrandt, die damals
       als Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen für den Erhalt
       von Arbeitsplätzen und Polikliniken kämpfte. „Mutter Courage des Ostens“,
       so der etwas pathetische Spitzname.
       
       Die Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt und der offenen, direkten,
       zuweilen schroffen Art war über die Grenzen des Bundeslandes bekannt und
       beliebt. 1999 trat sie zurück, aus Protest gegen eine Große Koalition mit
       der CDU. 2001 starb sie an Krebs. Heute sind Schulen und Parks nach ihr
       benannt, die SPD vergibt jährlich den Regine-Hildebrandt-Preis
       
       Elske ist Hildebrandts jüngste Tochter. Dass sie heute Abgeordnete ist,
       verdankt sie ihr – und Donald Trump. Politisch aktiv sei sie schon immer
       gewesen, erzählt Hildebrandt in ihrem Bürgerbüro am Bahnhofsplatz von
       Strausberg. Und SPD-nah ja sowieso. Aber nie Parteimitglied. „Das ist wie
       beim Heiraten. Es gab einfach keinen Grund, in die Partei einzutreten.“
       
       Bis Donald Trump 2016 die [3][Wahl in den USA] gewann. „Ich dachte, ach du
       Scheiße, wie konnte das passieren.“ Also wurde die studierte Archäologin
       und freiberufliche Kita-Sprachberaterin mit 42 Jahren SPD-Mitglied. Um der
       Demokratie willen. Und dann fragte der Ortsverein, ob sie
       Gemeindevertreterin werden wolle. Sie sagte Ja. Und dann fragten die
       Genossen, ob sie für den Landtag kandidieren wolle. „War nie mein Plan.
       Aber ich konnte ja schlecht, in einer Situation, in der die AfD bei uns
       nahe dran war, stärkste Kraft zu werden, Nein sagen.“ Sie habe schließlich
       eine Verantwortung. „Ich weiß, dass ich mit Muttis Namen und dem, wofür
       Mutti stand und was mich geprägt hat, bei den Leuten noch durchdringe.“
       
       Auch der Mann mit dem Terrier erinnert sich an Regine Hildebrandt. „Ihre
       Mutter war echt ’n Unikum. Die hatte so ’ne Kodderschnauze“, sagt er und
       nickt anerkennend.
       
       Wenn Hildebrandt spricht, dann denkt man gleich an ihre Mutter. Wie diese,
       redet sie gerade heraus, im brandenburgischen Berliner Dialekt.
       
       Vor fünf Jahren gewannn Elske Hildebrandt auf Anhieb das Direktmandat vor
       dem AfD-Kandidaten. Sie wurde Mitglied im Sozialausschuss und im
       Bildungsausschuss. Setzte sich für eine auskömmliche Finanzierung von Kitas
       ein und für den Erhalt von Sozialarbeiterstellen an Schulen.
       
       Diesmal könnte es knapp werden. Auch andere, darunter die
       Linken-Politikerin Kerstin Kaiser, werben um Erststimmen. Strausberg war
       früher mal eine Hochburg der PDS. Hinzu kommt: Die 25 Sitze, die die SPD im
       Landtag hat, wurden 2019 alle nach Direktmandaten vergeben. Falls es also
       diesmal nicht fürs Direktmandat reicht, wäre Hildebrandt wohl trotz
       Listenplatz draußen. Sie sei auch bereit abzutreten, sagt sie. „Was mir
       wirklich Kopfschmerzen bereitet: dass die von der Linken und icke uns
       gegenseitig die Stimmen wegnehmen und der Kandidat von der AfD dann deshalb
       gewinnt.“
       
       Dass die AfD selbst in einstigen SPD-Hochburgen gewinnt, hat Matthias Hey
       erfahren. Der Thüringer SPD-Politiker holte dreimal hintereinander das
       Direktmandat in Gotha, der Stadt, in der er aufwuchs, seine Ausbildung zum
       Drucker machte und bis heute lebt. Im September verlor er mit 27 Stimmen
       gegen den AfD-Kandidaten. In Gotha kennt man diesen kaum, im Kreistag, wo
       er Mitglied ist, fehlte er bei 16 von 30 Sitzungen.
       
       Warum verliert selbst ein Lokalmatador gegen einen No Name von der extremen
       Rechten? Da ist im Fall von Hey wohl seine Krebserkrankung, die er
       öffentlich machte. Sicherheitshalber trifft er kaum Menschen. Doch kurz vor
       der Wahl hieß es in Chatgruppen und auf Social Media: Hey liege schon im
       Hospiz, eine Stimme für ihn sei verschwendet. Die Falschmeldung verbreitete
       sich schnell, seine Mutter und sein Arzt seien darauf angesprochen worden,
       berichtet Hey. So gesehen sei es sensationell, dass er nur so knapp
       verloren habe. Doch die eigentlichen Gründe liegen tiefer.
       
       „Wir haben das flache Land verloren“, sagt Hey. Teilweise gebe es weder
       Jusos noch Ortsvereine, die SPD sei „de facto nicht mehr vorhanden“.
       
       In Brandenburg ist die SPD kaum besser aufgestellt, der Landesverband zählt
       5.800 Mitglieder, immerhin 2.300 mehr als in Thüringen. Doch auf 430
       Einwohner kommt gerade mal eine GenossIn.
       
       Auch Elske Hildebrandt betreut als Abgeordnete zwei Wahlkreise. Hinter dem
       Bürgerbüro parkt ihr Skoda. Die Rückbank ist runtergeklappt, im Kofferraum
       liegen Plakate, Kabelbinder und eine Leiter. Auf einigen Plakaten ist ihr
       Gesicht ausgeschnitten, das sind die Plakate, die sie wieder abgenommen
       hat. „Wer macht so was? Voll psycho.“ Sie wirft noch einen Packen Flyer und
       Aufkleber in den Kofferraum und klappt ihn zu. Setzt sich hinters Steuer.
       Auf geht’s.
       
       In Dresden verprügelten rechtsextreme Jugendliche im Mai den
       [4][SPD-Kandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke], als er Wahlplakate
       aufhängte. Fühlt sich Elske Hildebrandt auf der Straße unsicher? Sie sei
       nie allein unterwegs, sagt Hildebrandt. Manchmal kommen Freunde mit oder
       Mitglieder der Ortsvereine, zuweilen auch ihr über 80-jähriger Vater.
       Bedroht worden sei sie noch nicht, beschimpft schon. Es gebe aber auch
       viele nette Gespräche. „Manche Menschen bedanken sich sogar, wenn ich ein
       Plakat vor ihrem Haus aufhänge und da nicht nur die AfD hängt.“
       
       Gegenüber einer Schule parkt sie. Hier wollte sie schon lange ein Plakat
       aufhängen. „Da unter den AfD-Mann passe ich noch hin.“ Sie klappt die
       Leiter aus und befestigt das Plakat mit Kabelbindern. Manchmal frage sie
       sich, wie sinnvoll das sei, sagt sie, als sie wieder ins Auto steigt. Um
       sich dann selbst Mut zuzusprechen: „Plakate sind wichtig.“ Das sei wie ein
       Kampf der Farben. „Jeder markiert sein Revier.“ In der Schule werde sie am
       Wochenende bei einer Berufsmesse sein, sagt sie.
       
       Linke Politiker:innen haben es allgemein gerade schwer bei
       Jugendlichen. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wurde die AfD
       unter den 18- bis 24-Jährigen mit Abstand stärkste Kraft. In Brandenburg
       droht ein ähnliches Szenario. Warum laufen so viele junge Leute den extrem
       Rechten hinterher?
       
       Eine Frage, die auch den SPD-Co-Vorsitzenden im Bund, Lars Klingbeil,
       umtreibt. Er trifft sich im September mit Brandenburger
       Sozialarbeiter:innen in einem Jugendtreff in Königs-Wusterhausen. Sie
       berichten von ihrer Wahl-O-Mat-Tour im Landkreis, vor Schulen und auf
       öffentlichen Plätzen. Ein Angebot, um mit Jugendlichen unverkrampft über
       Parteiprogramme zu diskutieren.
       
       Da sei zum Teil erschreckend wenig Wissen über Politik vorhanden, erzählen
       die Sozialarbeiter:innen. Viele Schüler:innen könnten mit Abkürzungen
       wie SPD oder CDU nichts anfangen. „Die AfD ist die einzige Partei, die sie
       kennen. Und zwar von Tiktok.“ Auf deren Beiträge, die an Männlichkeit und
       Gemeinschaftsgefühl appellierten, sprängen auch Jugendliche mit
       Migrationsgeschichte an.
       
       Und außerhalb des Internets gebe es dann nicht viel mehr. „Auf den Dörfern
       trifft man noch drei Institutionen an: die Feuerwehr, Fußball und die AfD.“
       Demokratische Parteien seien schon seit Jahren auf dem Rückzug. „Wenn ihr
       denen den Boden überlasst, dann müsst ihr euch nicht wundern“, sagen die
       Sozialarbeiter:innen zum SPD-Chef.
       
       Lennox Doernbrack und Mareike Engel sind beide bei den Jusos – er in
       Brandenburg, sie in Sachsen. Beide sind in ländlichen Gebieten
       aufgewachsen. Doernbrack hat in diesem Jahr Abi gemacht. Viele seiner
       Kumpels ziehe es nach der Schule in westliche Bundesländer, erzählt er. Die
       Unis im Westen seien renommierter, Löhne und Ausbildungsvergütung höher.
       „Vor Ort, da gibt’s nicht viel für junge Leute, außer ’ne Simme vor der
       Tür.“ Die Simson, das DDR-Moped, ist Kult. Auch die AfD nutzt das. Der
       rechtsextreme [5][Thüringer Parteichef Björn Höcke] lud Ende August zum
       Simson-Corso ein. 100 Leute tuckerten ihm hinterher.
       
       „Bei uns in der Lausitz, da gibt’s für junge Leute nichts, keine
       Jugendtreffs und keine guten Ausbildungsplätze“, bestätigt Engel. „Wer
       kann, zieht in die Städte oder geht in den Westen.“ Sie selbst studiert in
       Leipzig.
       
       Und dann sind da die sozialen Medien. Viele Jugendliche würden sich nur
       noch über Tiktok informieren und gerade die AfD liefere dort „richtig
       greifbaren Content“, sagen die beiden. Wenn die SPD ihre Anliegen
       jugendgerechter vermitteln würde und Funktionäre nicht nur peinliche
       Interviews gäben, dann könnten sie besser durchdringen, meinen beide. Wen
       sie da konkret meinen? Schulterzucken. „Alle eigentlich.“
       
       Dort, wo Elske Hildebrandt ihre Plakate aufhängt, ist an diesem Vormittag
       ebenfalls tote Hose. Petershagen ist eine Einfamilienhaussiedlung, die
       Häuschen ducken sich hinter Buchsbaumhecken entlang einer schnurgeraden
       Hauptstraße. Kein Mensch zu sehen. Hildebrandt parkt und steigt aus. Sie
       schnappt sich die Leiter und einen Packen Aufkleber. „Manuela Schwesig
       kommt“ steht drauf. Sie hat die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns
       zum Bürgergespräch zu sich nach Strausberg eingeladen.
       
       Hildebrandt klappt ihre Leiter an einem Laternenmast aus. Dort hängen
       bereits SPD-Plakate mit Dietmar Woidke. Sie pult die Folie von einem der
       „Schwesig kommt“-Aufkleber, reckt sich und klebt ihn vorsichtig auf. Hält
       sich dabei am Plakat fest. „Wie oft ich mich in den letzten Wochen schon an
       Woidkes Brust geschmiegt habe“, murmelt sie. Es sieht tatsächlich so aus,
       als umarme sie den Ministerpräsidenten.
       
       Der will die Berliner Politik am liebsten aus dem Wahlkampf raushalten und
       geht auf maximale Distanz. Woidke setzt ganz auf sich und seine
       Popularität. Kundgebungen mit dem Kanzler, der ja immerhin in Potsdam
       wohnt? Sind nicht gewünscht. Bloß nicht reinziehen lassen in den
       Abwärtsstrudel der SPD-geführten Ampel. Einer Umfrage zufolge sind nur noch
       drei Prozent der Deutschen zufrieden mit der Ampel, die schlechteste
       Bewertung seit Amtsantritt.
       
       Aber sich deshalb im Wahlkampf abwenden? Hildebrandt findet das
       opportunistisch. Gerade weil so viele Leute unzufrieden sind, sei es nötig,
       zu reden. „Also, wenn Olaf Scholz gesagt hätte, er will nach Strausberg
       kommen, hätte ich gesagt: Komm her, lass uns diskutieren.“
       
       Die Bundespolitik überwölbt den Wahlkampf. Neben dem Thema Migration sind
       es der Ukrainekrieg und die deutsche Unterstützung für das Land. „Das
       bewegt die Menschen sehr. Wir werden als Kriegstreiber und Volksverräter
       und was weiß ich beschimpft“, sagt Hildebrandt.
       
       Das hat auch Matthias Hey in Thüringen erfahren. „Was glauben Sie, was ich
       da in den letzten vier Wochen gehört habe?“, fragt er und antwortet in der
       nächsten Sekunde selbst: Man wolle ja eigentlich SPD wählen, aber „diese
       blöde Geschichte mit den Mittelstreckenwaffen“ oder der Koalitionskrach mit
       den Grünen und der FDP, „das holt einen alles ein“.
       
       Als Ministerpräsidentin Schwesig zwei Tage später am Bahnhofsplatz in
       Strausberg tatsächlich mit Hildebrandt und knapp 30 interessierten
       Bürger:innen diskutiert, ist die erste Frage – na klar, eine
       außenpolitische. Ein älterer Mann in Jeansjacke stemmt sich von der Bank
       hoch und gratuliert Schwesig zu ihrer tollen Ausstrahlung. „Sie könnten
       Bundeskanzlerin werden.“ Die lacht, dann setzt sie schnell nach, ihr Platz
       sei in Mecklenburg-Vorpommern. Sind ja schließlich
       Medienvertreter:innen da, nicht dass die denken, die Palastrevolte
       gegen Olaf Scholz habe bereits begonnen. Denn besonders in den hinteren
       Reihen der SPD regen sich zunehmend Zweifel, ob der amtierende Kanzler auch
       der richtige zukünftige Kanzlerkandidat ist.
       
       Der Mann will aber eigentlich wissen, wie Schwesig zu der ganzen Aufrüstung
       stehe, und dazu, dass jetzt amerikanische Raketen in Deutschland
       stationiert werden sollen. Er findet, man müsse auch mal wieder mit
       Russland reden. Schwesig gibt ihm recht, kritischer Diskurs: Ja. Dann
       verteidigt sie aber den Kanzler. Sie wundere sich, dass alle über ihn
       herfielen: „Der haut nicht irgendwas raus“ und habe auch mehrfach mit dem
       russischen Präsidenten Putin telefoniert. Aber es seien nun mal russische
       Raketen auf Deutschland gerichtet. Sie vertraue der Bundesregierung, die
       besonnen reagiere.
       
       Nun grätscht Hildebrandt dazwischen. „Ich finde, dass mit der Stationierung
       ganz, ganz schwierig.“ Sie sei, wie viele Menschen, völlig überrascht
       worden von Scholz’ Ankündigung. „Wie kann das sein, dass in Deutschland
       ohne Diskussion Langstreckenraketen stationiert werden?“
       
       Elske Hildebrandt ist überzeugt, dass Deutschland die Ukraine unterstützen
       muss. Sie selbst hat gleich zu Beginn des Krieges zwei ukrainische Frauen
       und ihre Kinder bei sich zu Hause aufgenommen. Aber dass jetzt Drohnen in
       Moskau einschlagen würden: „Nee, das kann’s doch auch nicht sein.“
       
       Damit spricht sie vielen Menschen im Osten aus dem Herzen. Anders als in
       den westlichen Bundesländern sieht die Mehrheit der Menschen hier
       Waffenlieferungen kritisch und wünscht sich Gespräche auch mit Putin. Das
       Bündnis Sahra Wagenknecht, das die Frage schnöde runterbricht auf „Krieg
       oder Frieden“, profitiert von der Lücke, die die SPD lässt. Bei der
       Europawahl verlor die SPD eine halbe Million Wählerinnen an das BSW.
       
       Dass Scholz nun angekündigt hat, man brauche bald eine Friedenskonferenz,
       bei der Russland mit am Tisch sitzt, mag vor allem wahltaktischen
       Überlegungen geschuldet sein. Vielleicht lässt sich das Thema vor der Wahl
       in Brandenburg abräumen.
       
       Über die Unterschiede zwischen Ost und West haben lange Zeit nur
       Ostbeauftragte und die PDS gesprochen. Seit einiger Zeit ist der Osten
       wieder bundesweit ein Thema. Seitdem die AfD hier einen Wahlerfolg nach dem
       anderen erzielt, fragen sich viele: Weshalb? Ist es die
       Diktatursozialisierung? Oder der Freiheitsschock?
       
       ## Das Thema Ungleichheit nicht der AfD überlassen
       
       Hildebrandt hat eine andere Erklärung. „Ob Vermögen, Immobilien, Tariflöhne
       – da ist immer die Karte der DDR. Und dann muss man sich nicht wundern,
       wenn die blaue Karte eben auch die DDR ist.“ Erstaunlich sei eher, dass es
       30 Jahre gedauert habe, bis die Auswirkungen der ungleichen Vereinigung so
       sichtbar würden. Auch die SPD habe das Thema lange liegen gelassen, findet
       sie. Niemand habe das mit ihr „groß beackern“ wollen: „Elske, 30 Jahre nach
       der Einheit, das spaltet doch nur“, habe man ihr gesagt. Aber die Spaltung
       sei ja da. Man dürfe das Thema nicht nur denen überlassen. Der AfD.
       
       Was gegen die Blauen hilft? „Miteinander reden, diskutieren“, ist Elske
       Hildebrandt überzeugt. „Vor Ort zu sein. Ins Gespräch zu gehen.“ Deshalb
       holt sie an dem Septembertag, nachdem sie die Plakate aufgehängt hat, noch
       eine Kiste mit Flyern raus und steckt sie in die Briefkästen. Auch dort, wo
       „Keine Werbung“ steht. Wer meckert, dem antwortet sie: „Dit ist politische
       Information.“
       
       Und so trifft sie eben den Mann mit dem Hund. Der irgendwann gesteht, auch
       er habe AfD gewählt. „Warum wählt jemand, der so differenziert denkt wie
       Sie, ’ne Partei, die spaltet, die faschistisch ist, die verfassungswidrig
       ist“, will sie von ihm wissen. Eine Partei, die im Landtag beantragt hat,
       Geflüchtete und Ukrainer:innen von öffentlichen Veranstaltungen
       auszuschließen. Der Mann lächelt entschuldigend. Na, irgendeine Partei
       müsse ja mal anfangen, das Problem mit der Migration zu lösen. Hildebrandt
       bedankt sich bei ihm, für das gute Gespräch. Dann geht sie, der Mann bleibt
       unschlüssig stehen. Es wirkt, als würde er gerne noch länger reden.
       
       20 Sep 2024
       
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