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       # taz.de -- taz Salon über Frauen im Protest: „Rhetorisch krasse Frauen“
       
       > Die Gesichter der Klimabewegung sind weiblich. Denn die Protestierenden
       > wissen, dass das Aufmerksamkeit sichert, sagt Medientrainerin Emily
       > Laquer.
       
   IMG Bild: Kein Zufall: in den meisten Klimabewegungen stehen Frauen an den Mikrofonen
       
       taz: Ist es Zufall, dass vor allem junge Frauen für die Klimaproteste
       sprechen, Frau Laquer?
       
       Emily Laquer: Nein. Das ist bewusste Taktik – und zwar eine kluge. Und es
       entspricht einem feministischen Zeitgeist. 
       
       taz: Angefangen mit der Taktik: Was verspricht man sich davon? 
       
       Laquer: [1][Die Letzte Generation zum Beispiel achtet sehr auf ihr Image]
       und hat sympathische junge Frauen als Sprecher:innen. Angesichts ihres
       Verfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung schadet das sicher
       nicht. Klimaaktivist:innen haben verstanden, wie Medien funktionieren
       – und wissen, wie sie ihre Chancen erhöhen, interviewt zu werden. Ein rein
       männliches Panel oder eine Zeitung, in der nur Männer interviewt werden,
       wird heute nicht mehr akzeptiert. 
       
       taz: Bei der Gruppierung Ende Gelände gab es zu Beginn gemischte Teams –
       dann wurden bei den Sachthemen nur die Männer gefragt. Wie geht man damit
       sinnvoll um? 
       
       Laquer: Ende Gelände rotiert bewusst jedes Jahr ihre Sprecher:innen, um
       auch unerfahrenere oder junge Aktivist:innen zu ermutigen, öffentlich
       zu sprechen. Damit leben sie ihre Vision einer feministischen Welt auch in
       ihren eigenen Strukturen. Aber: Zu viel Rotation geht auf Kosten der
       Medienmacht, die man nur mit viel Übung und Zeit aufbaut.
       
       taz: Ist Gender eine wichtige Kategorie in den gegenwärtigen
       Klimabewegungen? 
       
       Laquer: Ja. [2][Fridays For Future] zum Beispiel ist vor allem durch
       selbstbewusste, rhetorisch krasse Frauen bekannt. Aber dass so viele
       Frauen, nicht binäre und trans* Personen vorne stehen, fällt in erster
       Linie der Generation X und den Baby Boomern auf, die es noch ganz anders
       kennen. Gen Z und Gen Alpha sind heute viel selbstverständlicher
       feministisch.
       
       taz: Ich hänge noch an dem, was Sie eben über das mediale Interesse an
       jungen Frauen gesagt haben. Geht es da denn auch um optische
       Attraktivität? 
       
       Laquer: Nein. Auch wenn wir unterbewusst wahrscheinlich alle gern
       attraktive Menschen in den Nachrichten sehen: In Protestbewegungen ist das
       überhaupt keine Kategorie für die Entscheidung, wer in der ersten Reihe
       spricht. Viel wichtiger ist, welche Stimmen medial mehr gehört werden
       müssen – zum Beispiel Menschen mit Rassismuserfahrung oder
       Fluchtgeschichte.
       
       taz: Einigen der Protestbewegungen wirft man vor, sozial sehr homogen zu
       sein. Ist das eine berechtigte Kritik? 
       
       Laquer: Dieser Vorwurf tut vielen jungen Aktivist:innen unrecht, die
       nicht aus weißen Akademikerhaushalten kommen. Aber natürlich bringen Kinder
       von Ärzt:innen oder Anwält:innen ein großes Selbstbewusstsein und eine
       Selbstverständlichkeit im Auftreten mit, die es ihnen viel leichter macht,
       öffentlich zu sprechen. Dieses soziale Kapital besitzen heute nicht nur die
       Söhne, sondern auch die Töchter. Die soziale Ungleichheit unserer
       Gesellschaft hebelt das aber nicht aus.
       
       taz: Wie vermittelt sich das? 
       
       Laquer: In meine Medientrainings kommen auch Arbeiterkinder,
       Armutsbetroffene, Wohnungslose oder Geflüchtete. Von klein auf bekommen sie
       gesagt, dass ihre Meinung weniger zählt. Sie haben den Habitus und die
       Statussignale eben nicht mit der Muttermilch aufgesogen. Deshalb üben wir,
       selbstbewusst vor Kameras und Mikrofone zu treten. 
       
       taz: Dass Aktivist:innen sich professionell coachen lassen, wäre 68
       wohl undenkbar gewesen. 
       
       Laquer: Ja, wahrscheinlich. Das wäre eine spannende Frage an die Gäste auf
       Ihrem Podium beim taz Salon zu Frauen im Protest. Was ich beobachte, sind
       deutlich veränderte Geschlechterverhältnisse. Vor einigen Jahren habe ich
       an einem Podium mit Gretchen Dutschke teilgenommen. Der Moderator, selbst
       aus der Studentenbewegung, hat ihr kaum eine Frage gestellt und
       offensichtliches Desinteresse gezeigt – ganz im Gegensatz zum Publikum.
       Heute wissen die meisten Männer hoffentlich, dass man das nicht bringen
       kann. Ich habe an dem Abend viel über den Sexismus der 68er gelernt – und
       wie viel sich doch inzwischen getan hat.
       
       taz: Nehmen Sie einen Genderunterschied in den Trainings wahr? 
       
       Laquer: Kluge und kompetente Frauen gab es in Protestbewegungen schon
       immer. Heute steht ihnen weniger im Weg. Es gibt die Hürden noch, aber sie
       sind deutlich niedriger, weil es eine Quotenkultur gibt, die junge Frauen
       aktiv ermutigt.
       
       taz: Es braucht Ermutigung? 
       
       Laquer: Ja. Das war bei mir als eine der Sprecherinnen für die G20-Proteste
       genauso. Ich habe mich nicht selbst gemeldet, jemand hat mich
       vorgeschlagen. Frauen treten oft zu demütig auf. Sie sagen mir: „Ich will
       mich nicht nach vorne drängen.“ Aber ihre Stimmen sind wichtig. Es darf, es
       soll ihnen sogar Spaß machen. Mit Leidenschaft wird auch das Interview
       stärker.
       
       taz: Wie viel interne Konflikte gibt es in den Bewegungen noch um männliche
       Dominanz? 
       
       Laquer: Klar gibt es die. Als Millennial fällt mir aber auf, wie wenig
       Bereitschaft die jüngeren Aktivistinnen haben, mackerige Männer zu
       ertragen, an denen meine Genoss:innen und ich uns noch abgearbeitet
       haben. Wir dürfen dabei aber nicht den Streit verlernen – und die
       Fähigkeit, Kontroversen auszuhalten. 
       
       taz: Ist nicht einer der großen Fortschritte, dass es heute eine
       Streitkultur statt des Niederredens gibt? 
       
       Laquer: Die Sprache von Protestbewegungen ist zärtlicher geworden. 1968
       waren grobe Umgangsformen noch Ausdruck von Rebellion. Es ist gut, dass wir
       uns heute ausreden lassen, zuhören und auch Zweifel zulassen. Das Pendel
       kann aber auch zu stark ausschlagen. Es wird ein Problem, wenn ich in einer
       Talkshow Justizminister Marco Buschmann gegenüber sitze, der nicht einmal
       Anne Will zu Wort kommen lässt. Die öffentliche Auseinandersetzung ist ein
       Kampf und wir treffen auf echte Gegner. Es gelten andere Regeln. Deshalb
       üben wir in Talkshow-Trainings auch das Unterbrechen, um uns verbal so
       tough zu schlagen, wie es unsere Gegner tun.
       
       taz: Würde man nicht hoffen, dass die Merz-Trump’ sche Art des
       Nicht-Gesprächs eine Öffentlichkeit irgendwann nicht mehr überzeugt? 
       
       Laquer: Hoffen kann man viel. Aber Donald Trump ist damit Präsident
       geworden, Friedrich Merz Parteichef. Wir leben in einer Welt der harten
       Männer. Natürlich wollen wir nicht werden wie sie. Aber wenn wir ihnen kein
       Paroli bieten, können wir mit unseren Positionen, Forderungen und Kritik an
       der Welt einpacken.
       
       taz: Damit verlässt man aber doch auch den Anspruch auf eine andere
       Auseinandersetzung? 
       
       Laquer: Es macht einen Unterschied, ob ich im Plenum oder in einer Talkshow
       sitze. Wir müssen unsere Rhetorik jeweils anpassen. Mein Ziel ist es, dass
       die Aktivist:innen im medialen Boxkampf nicht k. o. gehen.
       
       9 Sep 2024
       
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