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       # taz.de -- Drone-Musik aus der Ukraine: Experimente und Gräueltaten
       
       > Drones für Drohnen: Ein Avantgarde- und Noise-Musik-Fundraisingprojekt
       > vom Label Kyivpastrans aus der Ukraine.
       
   IMG Bild: Das Cover des Tapes „Drones for Drones“
       
       „I will be fine“, singt eine hohe Stimme, klingt dabei nervös und alles
       andere als „fine“, während im Hintergrund das Drone-Musik-typische monotone
       Dröhnen erklingt. Darüber legen sich langsam anschwellende
       Synthesizerspuren, deren Sounds an Laserstrahlen erinnern. „I will be fine“
       heißt auch der Track, den die ukrainische Musikerin Vii_xiii gestaltet hat,
       er steht am Beginn des Albums „Drones for Drones, Volume 3“ vom Label
       Kyivpastrans.
       
       Sein Albumtitel ist Programm: Mit Drone-Musik ukrainischer und
       internationaler Bauart wird Geld gesammelt, um Drohnen für die ukrainische
       Armee zu kaufen. Die Ukrainer benötigen die unbemannten Flugobjekte
       dringend, um sich gegen den russischen Angriffskrieg zur Wehr setzen zu
       können.
       
       Und eines haben militärische Drohnen und Drone-Musik auch in klanglicher
       Hinsicht gemein – das gleichbleibend niedrigschwellige, aber bedrohlich
       anmutende Geräusch. Generell wird der russische Angriffskrieg gegen die
       Ukraine immer mehr zum Krieg der Drohnen. Die Flugobjekte werden an der
       Front von beiden Seiten zum gegenseitigen Auskundschaften eingesetzt,
       können aber auch mit Sprengsätzen bestückt werden und feindliche Positionen
       bombardieren.
       
       In der Kyjiwer Kulturszene ist es selbstverständlich, dass man dem eigenen
       Militär auch bei der Drohnenbeschaffung hilft, unter der Knute des Kreml
       will dort niemand leben. Viele Künstler*innen sind sogar Soldat*innen
       geworden, andere helfen als Freiwillige. Egal, wo man in der Ukraine ist:
       Die russischen Attacken spüren alle, sie sind oft gegen zivile Ziele
       gerichtet. Immer wieder sterben bei Angriffen Zivilisten, Künstler*innen
       inbegriffen.
       
       ## Große Solidarität in der Kulturszene
       
       Entsprechend groß ist die Solidarität in der ukrainischen Kulturszene, die
       Kyivpastrans-Gründer Clemens Poole durch sein Drone-Projekt international
       ausweiten will. Der US-Künstler lebt in Kyjiw und ist Teil der
       Subkulturszene. „Ich hatte beobachtet, wie erfinderisch [1][die Kunst des
       Spendensammelns ist, die in der Ukraine seit der russischen Invasion
       entstanden ist]“, erklärt Poole der taz.
       
       Vor einem Jahr kam ihm die Idee für dieses Projekt. Mit dem Verkauf des
       mittlerweile dritten 90-minütigen Tapealbums und zugehöriger digitaler
       Files möchte er seine Wahlheimat Ukraine mit experimenteller Musik
       unterstützen.
       
       „Ich achte darauf, dass jeweils die Hälfte des Line-ups ukrainische, die
       andere internationale Künstler*innen sind“, sagt Poole. Neben dem
       ukrainischen DJ (und Soldaten) John Object sind etwa die New Yorker
       Experimentalmusiker*innen Bentley Anderson und Sadie Powers im
       Boot. Auch der deutsch-chilenische Komponist Sagardía wirkt mit. Poole
       bemühe sich zudem darum, gezielt Künstler*innen zum Projekt einzuladen.
       
       „Ich sehe es auch als Form von Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt zudem die
       Möglichkeit, mit Künstler*innen im Ausland ernsthafte Gespräche über die
       ukrainische Sache zu führen. Mehr als einmal hat mir ein Künstler
       gestanden, dass er unsere Idee schätze, aber zu keinem Projekt beitragen
       könne, das den Tod russischer Soldaten zur Folge hätte“, erklärt Poole.
       „Ich dränge niemanden zum Mitwirken, sondern versuche lediglich, die
       ukrainische Perspektive darzustellen. [2][Pazifismus ist ein Privileg, und
       die Ukrainer*innen zahlen den Preis dafür, dass westliche
       Künstler*innen dieses Privileg genießen können.“]
       
       ## Entstehung einer dynamischen Noiseszene
       
       Wie hat der russische Angriff die Musikszene verändert? In Kyjiw habe sich
       seit Februar 2022 eine faszinierende dynamische Noise- und
       Experimentalmusikszene entwickelt, die sich auch mit seinen eigenen
       kreativen Impulsen decke, sagt Poole. Angesichts der existenziellen
       Bedrohung durch Russland habe er überlegt, ob solche Musik angebracht sei,
       schließlich würden kommerzielle Kunstformen mehr Geld einbringen.
       
       Mit seiner Rolle im Underground scheint sich Poole nun abgefunden zu haben:
       „Letztlich ist es nicht meine Aufgabe, ein Diktum wie ‚Noise nach Butscha
       ist Barbarei‘ aufzustellen. Die Ukrainer*innen machen Kunst im Angesicht
       von Gräueltaten, und die Welt sollte Kunst und Gräueltaten mehr
       Aufmerksamkeit schenken.“ Poole erhofft sich mit seiner Musik mehr
       Solidarität für die Ukraine. Teil 4 ist bereits in der Mache, zur Not will
       er die Serie fortsetzen, bis die Ukraine gewinnt.
       
       12 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Yelizaveta Landenberger
       
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