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       # taz.de -- Wahlkampf in USA: Der nationale Typus ist out
       
       > Ex-US-Präsident Trump setzt auf weiße Identitätspolitik, Vizepräsidentin
       > Harris auf einen politischen Nationsbegriff. Das macht die Wahl spannend.
       
   IMG Bild: Der demokratische Running Mate Tim Walz: „ein Ex-Soldat, der linke Politik macht“
       
       Donald Trump gegen Kamala Harris – die Konstellation im US-Wahlkampf
       bedeutet auf ersten Blick: weißer Mann gegen Frau „of colour“. Patrick
       Gaspard, ehemaliger Wahlkampfchef von Barack Obama, [1][bezeichnete das im
       taz-Interview als Auseinandersetzung zwischen einer alten und einer neuen
       Art des Amerikanischseins.] Wie muss man sich das vorstellen: Tritt hier
       eine Identitätspolitik gegen die andere an?
       
       Ist es so, dass Trump die Erzählung vom weißen Stolz nicht nur anbietet,
       sondern auch verkörpert? Wobei man auf der „White Supremacy“ erst dann
       beharren muss, wenn diese weiße Vorherrschaft bröckelt.
       
       Und soll Kamala Harris aufgrund ihrer Herkunft (Vater jamaikanisch, Mutter
       asiatisch) die Rechte der neuen Mischidentitäten nicht nur behaupten –
       sondern diese auch verkörpern? Trump sagt: „Ich weiß nicht, ob sie schwarz
       ist. Sie sagt, sie sei schwarz. Gestern war sie Inderin, und ich weiß
       nicht, was das ist.“ Seine Absicht ist klarerweise abwertend. Aber ist die
       identitätspolitische Vorstellung nicht genau diese: Kamala würde solche
       identitäre Uneindeutigkeit, eine heute verbreitete Realität, widerspiegeln?
       
       Wenn das nur die Konfrontation zweier Identitäten, zweier Verkörperungen
       des Amerikanischen wäre, dann würde Kamala Harris nichts wirklich Neues
       bringen. Dann wäre sie in jener Identitätsfalle gefangen, in der sich Trump
       nur allzu wohl fühlt: festgenagelt auf eine bestimmte, partikulare
       Position.
       
       Wenn das alte Amerikanischsein tatsächlich von einem neuen abgelöst werden
       soll, dann muss die Veränderung weiter reichen. Dann muss das, was den
       nationalen Typus ausmacht, grundlegend erneuert werden. Etwas, das nicht
       nur für die USA gilt.
       
       ## Der typische Amerikaner ist mixed
       
       Der nationale Typus ist die öffentliche Gestalt für Angehörige einer
       Nation. Der Typus ist also das Bild „des“ Amerikaners. So wie es den Typus
       „des“ Deutschen oder „des“ Österreichers gibt. Solch eine Typisierung hatte
       lange Zeit eine wichtige Funktion: eine verbindende ebenso wie eine
       ausschließende. [2][]
       
       [3][Die imagined community, Benedict Andersons Konzept der Nation] als eine
       imaginierte Gemeinschaft verband einander eigentlich fremde Menschen, die
       in einem Territorium lebten genau dadurch: Sie prägte eine Gestalt, ein
       Bild, in dem sich die Menschen wiedererkennen konnten. Ausschließend wirkte
       der Typus für jene, die von diesem vorgegebenen Bild abwichen.
       
       Lange Zeit wurde darum gerungen, den nationalen Typus fest- oder
       umzuschreiben. Je nach politischem Interesse wurden unterschiedliche
       Charakteristika hervorgehoben: Konservative betonten den sittsamen
       Christenmenschen. Nazis das Blond-Blauäugige. Vorkämpferinnen von
       Frauenrechten versuchten, den Typus auf Frauen auszudehnen.
       
       Aber die heutige Realität gemischter Identitäten bedeutet eine völlig neue
       Situation. Mischidentitäten schreiben den nationalen Typus nicht mehr um.
       Sie bedeuten vielmehr dessen Ende. Wie sieht ein typischer Amerikaner heute
       aus? Zu divers, zu verschieden ist das, was ein solcher heute sein kann.
       Das gilt auch für jeden anderen nationalen Typus.
       
       ## Ein politischer Nationenbegriff
       
       [4][Das Amerikanische lässt sich nicht mehr in einem Typus], in einem Bild
       darstellen. Es lässt sich nicht mehr verkörpern. Es bedeutet vielmehr die
       Befreiung von vorgefertigten Vorstellungen, was ein Amerikaner ist. Es
       bedeutet, die nationale Identität politisch zu definieren – nicht qua
       Herkunft.
       
       Genau darum könnte es in der Auseinandersetzung Trump/Harris gehen: Weiße
       Identitätspolitik gegen einen politischen Nationenbegriff. Eine Politik der
       Ähnlichen gegen eine Politik der Einheit der Unterschiede.
       
       Am deutlichsten sichtbar wird dies an Tim Walz, Harris’ „running mate“: Ein
       Jäger, der sich für die Rechte von Transmenschen einsetzt. Ein
       Gewerkschafter, der für das Recht auf Abtreibung kämpft. Ein Ex-Soldat, der
       linke Politik betreibt, stand kürzlich in der Zeit.
       
       Keine Identitätsmischung – sondern eine politische. Walz „repräsentiert“
       einen neuen amerikanischen Typ – nicht, indem er ihn verkörpert, sondern
       indem er den alten konterkariert.
       
       24 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Isolde Charim
       
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