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       # taz.de -- FPÖ vor den Nationalratswahlen: Kickl, Corona und der Guru
       
       > Corona ist das Thema der rechtsradikalen FPÖ, die in Österreich wohl
       > Wahlsieger wird. Mitten im Wahlkampf lädt sie Maßnahmengegner Bhakdi ein.
       
   IMG Bild: Demonstration gegen Covid-19 Maßnahmen: mit dabei Herbert Kickl (FPÖ), im Januar 2022
       
       Wien taz | „Die haben gewusst, dass so viele durch die Impfung sterben
       werden. Nur deshalb haben sie so viele Ausländer reingeholt“, sagt eine
       Besucherin. Wenn aber Österreichs Bundeskanzler erst einmal Kickl heißt,
       werde sich das ändern, dann komme die Abrechnung mit dem „System“.
       
       Im Wiener Lugner Kino ist das an diesem Dienstagabend keine Position für
       Außenseiter. Sondern das, was die FPÖ in ihrer Blase an Partei- und
       Alternativmedien seit Jahren hinaus posaunt. Die Rechtsaußenpartei steht
       kurz davor, die Nationalratswahl diesen Sonntag zu gewinnen, Umfragen
       zufolge mit knapp 30 Prozent. Der Ibiza-Skandal von 2019, der die Regierung
       Kurz–Strache platzen ließ, ist längst vergessen. Nicht aber die Pandemie.
       
       Auch wenn die FPÖ jene Partei war, die im März 2020 noch vor der
       schwarz-grünen Regierung einen harten Lockdown forderte. Aber auch darüber
       spricht keiner mehr. Bald hatte die FPÖ die Gunst der Stunde erkannt,
       [1][stellte sich gegen fast alle Coronamaßnahmen,] organisierte
       Massenproteste. Auch Kickl selbst demonstrierte mit und inszenierte sich
       als Freiheitskämpfer.
       
       Der Zorn über die damalige Regierung, vor allem über Kanzler Karl Nehammer
       und die drei wechselnden grünen Gesundheitsminister, ist geblieben. Das
       wird an diesem Abend klar. „Corona – Wir haben nicht vergessen“ prangt von
       der Leinwand in großen Lettern, daneben stehen die Fahnen aller
       österreichischen Bundesländer. Die Veranstaltung ist ein inoffizieller
       Höhepunkt des FPÖ-Wahlkampfs. Parteivorsitzender Herbert Kickl ist zwar
       nicht dabei, dafür aber mehrere Parlamentsabgeordnete, FPÖ-Generalsekretär
       Michael Schnedlitz sowie Stargast Sucharit Bhakdi.
       
       ## Standing ovations für Bhakdi
       
       Der deutsche Mediziner und Mikrobiologe mit thailändischen Wurzeln ist seit
       2012 im Ruhestand – und machte sich als Maßnahmengegner einen Namen. Er
       stellte, wider alle Evidenz, die Gefährlichkeit des Virus in Frage und
       behauptete, die Sterberate sei viel niedriger als offiziell angegeben.
       Impfstoffe kritisierte er vehement.
       
       Der Kinosaal ist bis zum letzten Platz gefüllt. „Und die Schwurbler hatten
       doch recht“, steht auf den T-Shirts einiger Besucher:innen. Der Beginn
       verzögert sich, Bhakdis Flug ist verspätet, doch das schadet der Stimmung
       nicht. Popcorn, Nachos und Getränke von der Kinobar gehen auf FPÖ-Rechnung
       – das kommt gut an. Vor dem Saal ist ein Bücherstand, zu erwerben gibt es
       neben Werken wie „Lockdown-Schicksale: Das verschwiegene Leid der
       Corona-Politik“ auch Bücher zu den Themen „Genderismus“ und „Wokeness“.
       
       Als Bhakdi, der später noch Bücher verkaufen und signieren wird, den Saal
       betritt, springen etliche auf, applaudieren minutenlang. Dann gibt Leo
       Lugner, Schwiegersohn des verstorbenen Baumeisters und FPÖ-Lokalpolitikers
       den Einpeitscher. In der ersten Reihe begrüßt er Martin Rutter und Hannes
       Brechja, zwei der Gallionsfiguren der Wiener Coronaproteste ohne
       Berührungsängste zum Rechtsextremismus. „Es war so wichtig, dass ihr damals
       alle auf die Straße gegangen seid. Dass ihr die Ungerechtigkeit aufgezeigt
       habt, die von der Bundesregierung ausgegangen ist.“
       
       [2][Gemeint sind die vielfachen Lockdowns und vor allem die im Januar 2022]
       eingeführte Impfpflicht – ein Resultat der niedrigen Impfquote Österreichs.
       Mehrfach hat die Regierung, auch aus parteitaktischen Überlegungen heraus,
       zu lange gewartet, anstatt frühzeitig zu reagieren. Dann wurden umso
       härtere Maßnahmen notwendig, um Schlimmeres zu verhindern.
       
       ## Wahlkampf für die FPÖ
       
       Auch die überhastet eingeführte Impfpflicht gehört dazu. In Kraft war sie
       ohnehin nie, bevor sie im Juli 2022 wieder offiziell abgeschafft wurde. Ein
       Erfolg, den sich die Maßnahmengegner auf ihre Fahnen schreiben. Nach knapp
       einer Stunde kommt Bhakdi ans Podium. Wieder tosender Applaus. Dann erzählt
       er, wie er als Kind lernte, was Menschlichkeit bedeutet. Die anfangs
       positive Erzählung schlägt aber schnell um.
       
       „Wo Gewalt angewendet wird, da verschwindet die Menschlichkeit. Wo und wann
       ist in der Geschichte der Menschheit so viel Gewalt – körperlich, mental,
       verbal – angewandt worden?“, fragt Bhakdi. Zwei Sätze weiter leitet er dann
       zu den „RKI-Files“ über, also den Protokollen des Krisenstabs am Robert
       Koch Institut.
       
       Die Entscheidungsträger – er adressiert explizit die deutsche
       Bundesregierung und die Europäische Kommission – hätten das „größte
       Menschenexperiment der Menschheitsgeschichte“ durchgeführt, sagt Bhakdi.
       Und zwar „wider besseres Wissen“. Die „Systemmedien“ hätten bereitwillig
       mitgemacht. Dieser Tonfall zieht sich durch den gesamten Abend. Und eine
       Botschaft wird auch im Vortrag Bhakdis klar: Nur eine Stimme für die FPÖ
       kann dafür sorgen, dass die letzten Jahre aufgearbeitet werden. „Ich
       verspreche euch, wenn es jetzt keinen Systemwechsel gibt, wird es bald
       wieder losgehen: Coronatests, Maskenpflicht, Impfungen“, wird ein späterer
       Redner sagen.
       
       ## Ein Gegenpol für alle
       
       „Amen“, murmelt ein älterer Herr im Kinosaal mehrmals während der Vorträge.
       Er hat seinen Frieden im Glauben und in der Kirche gefunden, „anders hätte
       ich das alles gar nicht überstanden“. Was er damit meint? Die Einsamkeit
       während der Pandemie. Die Probleme im Gesundheitssystem. Die Verzweiflung,
       wenn man nicht mehr weiß, was man glauben soll, wie er sagt.
       
       Er steht vielleicht symptomatisch dafür, wie die FPÖ so beliebt werden
       konnte. Wenn sie am Sonntag triumphiert – und alle Umfragen deuten darauf
       hin – dann nicht vor allem wegen ihres Kernthemas, der Migration. Sondern
       wegen des verschwundenen Vertrauens in Politik, staatliche Institutionen,
       Medien. Die einst monothematische Partei bot all jenen, die sich verraten
       und verlassen fühlten, einen Gegenpol. Damit hat die FPÖ ein
       Alleinstellungsmerkmal.
       
       Viele von Kickls Anhängern verehren ihn, überhöhen ihn gar, ähnlich wie man
       es zuletzt bei Sebastian Kurz gesehen hat. Der jüngste Außenminister und
       Kanzler Österreichs führte die ÖVP in lichte Höhen. Bevor es zum tiefen
       Fall kam.
       
       25 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Bayer
       
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