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       # taz.de -- Waldschäden in Deutschland: Der Forst ist abgerockt
       
       > Ein ambitionierter Entwurf zum Waldgesetz machte Hoffnung, dann verließ
       > die Ampel der Mut. Mit dem Thema könnten die Grünen aus ihrem Tief
       > kommen.
       
   IMG Bild: Klimawandel: Baumsterben im Nationalpark Harz nahe des Brocken zwischen Torfhaus und Oderbrück, Oktober 2023
       
       Den Grund für Deutschlands schwache Wirtschaftskraft sah der britische
       Guardian jüngst darin, dass das Land noch in analogen Industrien
       wirtschaftet. Also total veraltet ist und sowohl technisch als auch geistig
       in einem anderen Jahrhundert feststeckt. Brücken kaputt, Bahngleise locker,
       Bäume geschädigt. Bäume?
       
       Ja, [1][auch der Wald ist abgewirtschaftet], nicht nur Züge, Straßen,
       Schulen. Auch der Zustand von Millionen vertrockneten oder kümmerlichen
       Forstbäumen zeugt davon, wie abgerockt dieses Land ist. Wie wenig innovativ
       an der Zukunftsgestaltung gearbeitet wird. Der Zustand der Wälder spiegelt
       die Vergangenheit, in der unsere Vorfahren die Landschaft nach ihren
       politischen Plänen, Ideologien und wissenschaftlichen Erkenntnissen der
       damaligen Zeiten aufgebaut haben. Nur: Die Welt ändert sich, und
       Deutschland lebt in alten Landschaften und überkommenen Bildern von sich.
       
       600.000 Hektar Wirtschaftswald hat die Forstindustrie durch die Dürrejahre
       2018 bis 2021 verloren. Vier von fünf Bäumen der häufigsten Forstbaumarten
       Fichte, Kiefer, Eiche und Buche sind krank. Nur jeder fünfte Baum im
       deutschen Wald kann dank geltender Forstpraxis mit den Folgen von Hitze und
       Trockenheit leben. Die vergangenen Jahre waren ja nicht nur die
       niederschlagsärmsten, sie waren auch die heißesten Jahre. Und
       offensichtlich ist das Waldinnenklima in einem Großteil der
       Wirtschaftswälder nicht in der Lage, die Wetterextreme auszugleichen.
       
       Dafür verantwortlich ist die aus dem 19. Jahrhundert stammende Praxis von
       Förstern, Wälder zu durchforsten, alle paar Jahre zu lichten und
       Kronendächer auszudünnen. Die schweren Maschinen zerdrücken dabei die
       Kapillaren in den Waldböden, sodass die Netzwerke der baumbegleitenden
       Mykorrhizapilze zerstört und der Wasserhaushalt im Boden gestört werden.
       Das Problem: Löcher in den Kronendächern und Forststraßen leiten heiße Luft
       in den Wald und verstärken das Austrocknen der Wälder.
       
       ## Widerstand der Forstlobby
       
       Naturnah wirtschaftende Waldbesitzer zeigen, wie sie gleichzeitig
       ökologisch und ökonomisch arbeiten können. Sie lassen Bäume und andere
       Pflanzen im Wald wachsen, fördern die Vielfalt im Wald, denn Ökosysteme
       sind mehr als eine Ansammlung einzelner Lebewesen. Ökosysteme lernen und
       entwickeln sich aus der Vielfalt ihrer Bewohner, sie spannen ein Netz, das
       auch dann hält, wenn ein Fluss über die Ufer tritt oder ein Sturm wirbelt.
       Bäume, Pilze, Insekten, Bakterien, Gräser, Regenwürmer und die anderen
       Viecher und Pflanzen des Waldes können in naturnahen Wäldern ausprobieren,
       wie sie mit den neuen Temperaturen umgehen.
       
       Den revolutionären Grundgedanken von der tragenden Kraft ökologischer
       Systeme und biologischer Vielfalt wollte Land- und Forstwirtschaftsminister
       Cem Özdemir im Herbst 2023 per Novelle in das Bundeswaldgesetz pflanzen.
       Hektargroße Kahlschläge wollte Özdemir verbieten. Der Waldboden sollte vor
       der Zerstörung durch Maschinen geschützt, die Artenvielfalt erhöht werden.
       
       Die Waldexperten im Landwirtschaftsministerium wollten jüngste
       wissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur des Waldes im
       Bundeswaldgesetz verwurzeln. Die geplante Novelle sollte das Ökosystem Wald
       schützen, damit Wälder auch im Klimawandel ökonomisch nutzbar sind. Die
       Ökologie sollte die Wirtschaftskraft der Waldbesitzenden stärken. Vorbei.
       Gewohnt aggressiv machten der Waldbesitzerverband und die Forstlobby
       mithilfe der FDP klar, dass sie keinen Reformbedarf sehen.
       
       Özdemir degradierte daraufhin die mutige Novelle zu einem vagen Entwurf,
       der keine Sanktionen gegen die Zerstörung von Lebensgrundlagen im Wald
       beinhaltet. Der nun vorliegende Entwurf überlässt es Waldbesitzern,
       freiwillig Waldökosysteme aufzubauen, anstatt sie dazu zu verpflichten.
       Kahlschläge sind weiter erlaubt. Zudem können die Bundesländer auch alles
       ganz anders machen und das Bundeswaldgesetz so lassen, wie es ist.
       
       Zweimal schon scheiterten Grüne und SPD an der FDP, als sie 2004 und 2010
       das Bundeswaldgesetz reformieren wollten. Damals wie heute hält das
       Bundeswaldgesetz weder dem Wissensstand über Waldökologie noch den
       Erkenntnissen zum Artensterben und Klimawandel stand. Im 21. Jahrhundert
       ist der Wald ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel:
       Wälder liefern Trinkwasser, schützen vor Überschwemmungen, kühlen die
       Umgebung und erfreuen Menschen auch in trüben Zeiten.
       
       Politisch widerspricht das Bundeswaldgesetz den geltenden Anforderungen so
       komplexer Regelwerke wie dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Wald
       dient dem Gesetzesgeist nach dem Waldbesitzenden und seinen
       wirtschaftlichen Interessen, wie Paragraf 1 festhält: „Wald ist eine mit
       Forstpflanzen bestockte Grundfläche“.
       
       ## Chance für Grüne
       
       Damit das so bleibt, fordert der Deutsche Forstwirtschaftsrat 50 Milliarden
       Euro staatliche Unterstützung, um Klimaschäden auszugleichen.
       Forstwirtschaft und Waldbesitzerverband lehnen eine Ökologisierung des
       Bundeswaldgesetzes ab und offenbaren, worum es ihnen geht: Subventionen
       einstecken [2][und weiter in Reihe pflanzen.]
       
       Das Bundeswaldgesetz bietet den Grünen die Chance, noch während der
       Regierungszeit zu zeigen, dass es ihnen tatsächlich um den Klimaschutz
       geht. Die Landtagswahlen sind verloren, die Grünen können nur noch auf die
       KernwählerInnen setzen, die mit dem Attribut „grün“ etwas mit jener Partei
       verbinden, der es mal um Natur, Umwelt und ein verantwortliches Leben im
       Klimawandel geht.
       
       Der Wald eröffnet den für die grünen Themen zuständigen Ministern Robert
       Habeck, Steffi Lemke und Cem Özdemir die Möglichkeit, Haltung in der
       Ressortabstimmung der Novelle zu zeigen und einmal noch in dieser Regierung
       zu demonstrieren: Wir haben Rückgrat. Wir wissen, was Fortschritt in Zeiten
       der Erderwärmung bedeutet. Mal sehen, ob es so kommt.
       
       27 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Regierung-streitet-ueber-Waldgesetz/!6007521
   DIR [2] /Kommentar-Forstbrand-in-Brandenburg/!5530510
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Fokken
       
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