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       # taz.de -- Cricket-Ikone in Bangladesch: Der gefallene Messias
       
       > Shakib Al Hasan ist Bangladeschs größter Sportstar. Er unterstützte die
       > gestürzte Regierung. Jetzt steht er in der Kritik und unter Mordverdacht.
       
   IMG Bild: Am Cricketschläger immer noch eine Wucht: Shakib Al Hasan beim Testmatch zwischen Bangladesch und Pakistan Anfang September
       
       Es ist noch nicht lange her, da löste der Name Shakib Al Hasan vor allem
       mit positiven Assoziationen aus. Der 37-jährige Cricketspieler aus
       Bangladesch ist der Beste, den sein Land je hervorgebracht hat.
       Sportjournalisten in Bangladesch teilen die Historie des Crickets, dem mit
       Abstand beliebtesten Sport des Landes, in die Zeit vor und nach Shakib Al
       Hasan ein. Manchmal wird er deshalb auch als „Jesus des Crickets von
       Bangladesch“ bezeichnet. Er hat eine neue Zeitrechnung begründet.
       
       Wenn der Name heute fällt, sorgt er im südasiatischen Land für gereizte
       Blicke, löst manchmal sogar Wut aus. Im August machten Bilder die Runde,
       auf dem ein übergroßes Werbeposter des Superstars mit Graffiti übersprayt
       wird. Ein viel gesehener Tweet kommentiert: „Ehemalige Ikonen Bangladeschs
       sind am Boden, da sie sich auf der falschen Seite der Proteste
       wiederfinden.“ Die indische Zeitung Times of India nannte Al Hasan einen
       „unter Beschuss geratenen Cricket-Champion“. Was ist da los?
       
       Anfang August gipfelten wochenlange [1][Proteste im 175-Millionen-Land in
       der Flucht von Premierministerin Sheikh Hasina], die bis dahin über
       eineinhalb Jahrzehnte autoritär regiert hatte. Die Protestierenden hatten
       gefordert, dass Jobs im öffentlichen Sektor künftig auf fairere Weise
       vergeben würden. Große Unzufriedenheit hatte aber schon länger bestanden –
       wegen der ausufernden Korruption im Land, der harten Hand der Regierung
       gegenüber kritischen Stimmen sowie hoher Lebenshaltungskosten.
       
       Anfangs reagierten Polizei und Militär mit purer Gewalt gegen die
       Demonstranten. Erst als die Premierministerin das Land fluchtartig per
       Helikopter Richtung Indien verlassen hatte, stellte sich das Militär auf
       die Seite der Protestbewegung. Oberbefehlshaber Waker-uz-Zaman kündigte die
       Aufarbeitung aller Verbrechen an, ernannte zudem [2][den
       Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus] zum Vorsitzenden einer
       Übergangsregierung. Der wiederum hat versprochen, bald Wahlen anschieben zu
       wollen.
       
       ## Stumme Cricketstars
       
       Einiges deutet daraufhin, dass in Bangladesch demnächst bessere Tage
       anbrechen. Inwieweit das auf den Sport zutrifft und damit auf die größten
       Idole des Landes, ist ungewiss. Denn während im Land Chaos ausbrach, immer
       mehr Prominente Partei für die Protestierenden ergriffen, blieben die
       Cricketstars stumm. „Sie haben sich nicht mit uns solidarisiert“, klagt
       Sohanur Rahman, ein 27-jähriger Umweltaktivist, der im Juli unter
       Lebensgefahr auf die Straße ging, um für Demokratie zu kämpfen.
       
       Rahman sagt etwas, das dieser Tage häufig zu hören ist: „Die Leute verehren
       Shakib nicht mehr.“ Und das klingt nahezu unglaublich. Als Kapitän der
       Nationalmannschaft Bangladeschs und führender Spieler in mehreren Klubs
       verschiedener Länder hat Al Hasan seine Heimat über die vergangenen
       eineinhalb Jahrzehnte weltweit als große Cricketnation bekanntgemacht. Kaum
       ein Kind, eine Frau oder ein Mann, der den Namen Shakib Al Hasan nicht
       kennt. Der Mann ist eine Art lebendes nationales Heiligtum.
       
       Gewesen. Denn jetzt gilt er als Verräter. Kritische Stimmen fanden das zwar
       schon länger. Denn als die [3][nun geflohene Hasina] im Januar bei
       umstrittenen Wahlen die Mehrheit erlangte, hatte sich auch Shakib Al Hasan
       auf ihre Seite geschlagen. Für Hasinas Partei Awami League war er ins
       nationale Parlament eingezogen. Es war mal wieder ein Coup: Anders als in
       Pakistan oder Indien, wo große Spieler erst nach ihrer aktiven Karriere in
       die Politik gingen, machte Al Hasan es schon währenddessen.
       
       Leo Wigger, der beim Berliner Thinktank Candid Foundation die Programme
       zu Südasien sowie Eurasien leitet und zum Autorenkreis des Fachmagazins
       Zenith gehört, erkannte die Sinnhaftigkeit der Aktion. Vor allem wenn man
       bedenke, welcher Partei sich Al Hasan da angeschlossen hatte. Wigger sagte
       damals: „Shakib Al Hasan ist einfach ein Star, nicht nur in Bangladesch.
       Und ihn politisch einzubinden, ist ein Riesen-PR-Erfolg für die Awami
       League von Sheikh Hasina.“
       
       ## Posterboy der Regierung
       
       Die damalige Premierministerin soll ihrem neuen Parteikollegin vor der Wahl
       versichert haben: „Du musst keine Rede halten. Du musst nur sechs Runs
       schlagen.“ Wer im Cricket den auf ihn geworfenen Ball ins Aus befördert,
       beschert seiner Mannschaft sechs Runs und damit wichtige Punkte. Und Al
       Hasan, der zuvor mehrmals beteuert hatte, kein Interesse an Politik zu
       haben, machte mit. Er spielte weiter Cricket, hielt bei politischen Themen
       den Mund, galt aber als Posterboy der Regierung.
       
       Nur hat er wohl etwas zu viel geschwiegen – oder in den falschen Momenten.
       Denn nun wird dem Cricketer nicht nur vorgeworfen, die Demokratiebewegung
       nicht unterstützt zu haben. Er hat sogar eine Klage wegen Mordes am Hals.
       Während der wochenlangen Proteste kamen Hunderte Menschen ums Leben. Der
       Vater eines der Opfer, die auf der Straße protestierten, hat Shakib Al
       Hasan und weitere Personen beschuldigt, als Abgeordnete die Ermordung
       angeordnet zu haben. Mehrere Personen stehen nun vor ähnlichen Klagen.
       
       Seither wird der Fall in den Medien breit diskutiert. Mehrere
       Cricketspieler haben auch schon darauf reagiert, ihren Mitspieler – der für
       die meisten jüngeren Athleten zumindest ein sportliches Vorbild ist – in
       Schutz genommen. Der jetzige Nationalmannschaftskapitän Najmul Hossain
       Shanto bezeichnet Al Hasan als „wichtige Ressource unseres Landes“, und:
       „Er hat das Ansehen Bangladeschs in der Welt über die letzten 17 Jahre
       verbessert.“
       
       ## Später Seitenwechsel
       
       Shanto solidarisiert sich mittlerweile mit denen, die gegen Sheikh Hasina
       protestiert und diese letztlich aus dem Land gejagt haben: „Im neuen
       Bangladesch wollen wir alle etwas Neues sehen. Ich hoffe, dass die
       Dunkelheit bald dem Licht weichen wird.“ Andere Spieler haben sich ähnlich
       geäußert. Aber ob das reicht, um das Vertrauen derer zurückzugewinnen, die
       den Wandel herbeiprotestiert haben?
       
       Aktivist Sohanur Rahman ist sich nicht sicher, wie viele im Land von den
       Worten der Stars überzeugt sind. „Die Cricketspieler hatten Angst, etwas
       gegen die alte Regierung zu sagen, solange sie noch an der Macht war.“ Das
       verstehe er. Aber hätten diese Superstars früher die Proteste unterstützt,
       hätte es womöglich weniger Tote gegeben. Immerhin, „vor dem Umsturz hat
       unsere Nationalmannschaft nicht gut gespielt. Kurz danach aber haben sie
       gleich mehrere Spiele gewonnen“, so Rahman.
       
       Ob das als Wiedergutmachung reicht? Bei einem möglichen Gerichtsprozess
       gegen den größten Sportler der bangladeschischen Geschichte dürften
       Erfolge auf dem Feld ohnehin keine größere Rolle spielen.
       
       20 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lill
       
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