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       # taz.de -- Jugendkultur-Konferenz Tincon: Zu schöne neue Welten
       
       > Das Smartphone kann einem jungen Menschen die Jugend versauen. Was tun?
       > Ein Besuch bei der Hamburger Ausgabe der Jugendkultur-Konferenz Tincon.
       
   IMG Bild: Offenes Gespräch über ein geteiltes Leiden: Matilda (links) und Sammy bei der Konferenz Tincon in Hamburg
       
       Fomo lautet das Thema, ausgeschrieben „Fear of missing out“. Manche kennen
       das Phänomen von der Börse, hier geht es vor allem um alte weiße Männer und
       ihre Angst, starke Kursentwicklungen zu verpassen. Bei Matilda, 26, und
       Sammy, 34, ist das anders. Sie sitzen auf einer Bühne in einem Zelt auf dem
       Hamburger Heiligengeistfeld. Die beiden sind Contentcreatorinnen, machen
       Podcasts und/oder Videos und veröffentlichen sie auf
       Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Tiktok.
       
       Beide leiden unter Fomo und reden offen darüber. Es ist die Hamburger
       Ausgabe [1][der Konferenz Tincon], die im Rahmen des [2][Reeperbahn
       Festivals] stattfindet, das Gelände nutzt, aber inhaltlich unabhängig
       agiert. Neben der Bühne stehen Bildschirme, es wird viel gefilmt und im
       Real Life scheint die Sonne. Sammy nutzt einen Fächer gegen die Hitze.
       
       Bei ihr und Matilda bedeutet Fomo, dass sie ständig Social-Media-Posts
       durchkämmen und mit den Fotos und Videos von Leuten konfrontiert werden,
       die gerade auf einem Festival feiern, den Sonnenuntergang in Barcelona
       erleben oder auf einer coolen Party abhängen. Das Leben der anderen scheint
       so viel aufregender zu sein als das eigene. Alle anderen haben das, was man
       vermisst. Ständig. Auf die Dauer wird das zum Problem.
       
       Sammy, bekannt für [3][ihren Podcast sammagehtsnochjunge], redet über
       Fomo wie über eine Krankheit, von der sie gerne geheilt wäre. Aber das ist
       schwer. Denn ihre Fomo kommt aus dem Smartphone, und Sammy sagt: „Ich liebe
       mein Smartphone. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte unter
       zehn Stunden Bildschirmzeit am Tag.“
       
       Matilda sagt, sie sei froh, dass ihre Jugend vorbei sei. Als sie jung
       gewesen sei, „war Instagram noch nicht so übersättigt von Fotos. Jetzt
       jung zu sein ist nicht so einfach mit [4][Social Media].“ Was tun? Matildas
       Idee: „Man muss lernen, wie man seinen Algorithmus füttert.“
       
       Der [5][Algorithmus] ist das Instrument, mit dem Social-Media-Plattformen
       ihre User*innen am Handy halten. Der Algorithmus [6][schlägt Inhalte
       vor], über die er durch das Nutzungsverhalten in der Vergangenheit weiß,
       dass sie die User*innen interessieren. Diesen Algorithmus will Matilda
       also gezielt in eine Richtung lenken, die keine Fomo mehr verursacht.
       „Genau“, stimmt Sammy zu. „Etwas machen, dass man den Content bekommt, der
       einem guttut.“
       
       Viel Glück!, denkt man sich und fragt sich, ob die Menschen, an die sich
       die Konferenz richtet, eine Chance haben, das hinzukriegen. Tincon ist eine
       Konferenz für Schüler*innen, die an zwei Vormittagen Vorträge und
       Workshops besuchen, statt in die Schule zu gehen. 15, 16 Jahre dürften die
       meisten von ihnen sein. Sie sehen nicht so aus, als wollten sie viel über
       Algorithmen nachdenken.
       
       Fomo ist einer der Programmpunkte, andere heißen „Das erste Mal allein beim
       Arzt“ oder „Wie wird man Profifußballerin?“. Die Workshops beschäftigen
       sich mit [7][Doomscrolling], [8][Fake News] oder DJing.
       
       Hinter Tincon steht eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem gefördert
       wird vom Bundesministerium für Jugend. Dass auf dem Konferenzgelände
       [9][Tiktok] einen eigenen Werbestand hat, erschwert die Einschätzung, ob
       die Veranstalter wissen, was sie tun.
       
       Tiktok verschenkt Popcorn an die Kids, weshalb sich eine Schlange vor der
       Popcornbude gebildet hat. Nebenan spricht die Wissenschaftsjournalistin
       Sabrina Patsch in bemerkenswerter Geschwindigkeit darüber, ob es Zeitreisen
       und Teleportation, Ideen aus Science-Fiction-Filmen also, wirklich geben
       kann. In noch größerer Sprechgeschwindigkeit versucht Marie Lina Smyrek ihr
       Tiktok-Format „sympathisch“ als Liveshow zu inszenieren. Ihre
       Tiktok-Beiträge leben von Sarkasmus und Ironie. In der Livesituation vor
       einem unruhigen Publikum verschwimmt alles ineinander, und man fragt sich:
       Hat sie den Spruch über die Nato ernst gemeint? Oder was?
       
       Und dann sagt sie: „Lasst euch nicht erzählen, dass es schlecht wäre, 18
       Stunden am Tag am Handy zu hängen.“ Denn bei ihr habe das zu einer
       Karriere als Contentcreatorin geführt, mittlerweile in Diensten des
       öffentlich-rechlichen Rundfunks. Die Kids nicken. Und holen neues Popcorn.
       
       20 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://tincon.org/
   DIR [2] https://www.reeperbahnfestival.com/
   DIR [3] https://www.podcast.de/podcast/3488751/samma-gehts-noch-junge-der-podcast
   DIR [4] /Social-Media/!t5016486
   DIR [5] /Algorithmen/!t5012506
   DIR [6] /US-Plaene-fuer-Tiktok/!6003180
   DIR [7] /Doomscrolling-in-Krisenzeiten/!5842964
   DIR [8] /Fake-News/!t5325634
   DIR [9] /TikTok/!t5647139
       
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   DIR Klaus Irler
       
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