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       # taz.de -- Faeser will Grenzkontrollen ausweiten: Ein gefährlicher Domino-Effekt
       
       > Das Narrativ der Rechten, an den deutschen Außengrenzen herrsche Chaos,
       > ist grundfalsch. Dennoch beeinflusst es die Politik – und das zum
       > schlechtesten Zeitpunkt.
       
   IMG Bild: Nancy Faeser will Grenzkontrollen verschärfen
       
       Was die Ausnahme sein soll, ist schleichend zur Regel geworden: Kontrollen
       an den Schengen-Binnengrenzen, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nun
       erneut ausweiten will.
       
       Geben darf es die nur „ausnahmsweise und vorübergehend“. Davon aber kann
       schon lange keine Rede mehr sein: Zwischen 2006 und 2015 hatten die
       EU-Staaten insgesamt nur 35 Mal von diesem Instrument Gebrauch gemacht,
       etwa, wenn ein US-Präsident zu Besuch kam. Seit den Flüchtlingsankünften
       2015 gab es EU-weit 404 solcher Ausnahmen. Mal wurden die Grenzkontrollen
       einige Wochen, mal 7 Monate lang durchgezogen, häufig wurden sie
       verlängert. 44 Mal war es Deutschland, das seit 2015 wieder kontrollieren
       ließ – 2023 insgesamt 43 Wochen lang, an den Grenzen zu Österreich, Polen,
       Tschechien und der Schweiz.
       
       Die EU-Kommission, als Hüterin der Schengen-Verträge, wies zwar immer
       darauf hin, dass dies kein Dauerzustand werden dürfte. Sie nahm letztlich
       aber hin, dass es eben das doch wurde. Die Behauptung, die GroKo und die
       Ampel hätten jahrelang sträflich versäumt, die Grenzen zu „sichern“, wie es
       nun von den Rechten zu hören ist, ignoriert das.
       
       Rechte und Konservative behaupten mit Vorliebe, es gebe „Chaos“ und
       „Kontrollverlust“, man wisse nicht, wer kommt, Terroristen und
       Schwerkriminelle könnten einfach hereinspazieren. Immer dann, wenn
       Regierungen darauf mit Grenzkontrollen reagierten, machten sie sich den
       Anwurf zu eigen. Wer die stets gleichen offiziellen Begründungen hört,
       warum nun innerhalb der EU wieder kontrolliert werden soll – [1][wie auch
       jetzt jene von Faeser] –, muss denken, dass es vorher eben genauso war, wie
       die Rechtsextremen behaupten: ein Zustand von Kontrollverlust und
       Rechtlosigkeit.
       
       ## Erfasst werden die Menschen spätestens beim Asylantrag
       
       Doch den gab es nicht. Offene Grenzen innerhalb der EU sind der Zustand,
       den das Recht vorsieht. Und wer unerkannt, weil unkontrolliert, über eine
       offene Grenze nach etwa Deutschland einreist, wird später natürlich
       trotzdem erfasst, wenn er oder sie den Asylantrag stellt – was ja in der
       Regel der Grund für die Einreise ist.
       
       Nun soll verstärkt zurückgewiesen werden. Auch hier wird – absurderweise
       von der extremen Rechten, der konservativen Opposition UND der Regierung –
       so getan, als sei das etwas Neues. Dabei wurden 2022 rund 19.150 und 2023
       bis Ende November rund 26.100 Menschen an den deutschen Grenzen
       zurückgewiesen. Es gibt drei gesetzliche Grundlagen dafür. Schutzsuchende
       hingegen dürfen nicht sofort zurückgewiesen werde, es sei denn, ein
       früherer Antrag dieser Person wurde in Deutschland bereits rechtskräftig
       abgelehnt.
       
       Es gibt gute Gründe dafür, dass das so ist. Fast alle Parteien wollen nun
       das entsprechende EU-Recht aushebeln und auch Schutzsuchende zurückweisen.
       [2][Faeser bastelt an einem „Modell für europarechtskonforme und effektive
       Zurückweisungen“]. CDU-Chef Friedrich Merz verlangt „keine Relativierung
       oder irgendeine eingeschränkte Methodik“. Es soll also keiner mehr rein.
       Und dem Vernehmen nach will die Ampel dazu einen „Notstand“ feststellen. Es
       ist sehr wahrscheinlich, dass sie damit auf EU-Ebene nicht durchkommt.
       
       ## Der Zeitpunkt für solche Symbolpolitik ist schlecht
       
       Denn die Zahl der Asylanträge in Deutschland geht stark zurück – 2024 waren
       es bisher rund 65.000 weniger als im selben Vorjahreszeitraum. Die Angst
       vor der AfD und die Bereitschaft der übrigen Parteien, sich von ihr treiben
       zu lassen, ist hingegen gewachsen.
       
       Deutschland setzt damit einen gefährlichen Domino-Effekt kraftmeierischer
       Symbolpolitik in Gang. Bei keinem Thema ist die Zündschnur so kurz.
       Österreich hatte im vergangenen Jahr mehr oder weniger klag- und
       geräuschlos über 12.000 Zurückgewiesene aus Deutschland akzeptiert, nun, im
       Wahlkampf, nach dem Gepolter aus Berlin, soll damit Schluss sein. Und dann?
       Andere Staaten dürften sich an dem Gebaren ein Vorbild nehmen. Die Folge
       kann eine Kaskade [3][von Grenzschließungen und Zurückweisungen], bis zu
       den Außengrenzen, sein – wo dann tatsächlich Chaos ausbricht und der Groll
       auf die EU-Partner weiter wächst.
       
       Ungarns Ministerpräsident Orbán hat in der Hinsicht schon mal vorgelegt –
       seine Regierung will Flüchtlinge nun mit Bussen nach Brüssel schicken.
       Schaukelt sich die Stimmung in der EU so an der Flüchtlingsfrage weiter
       hoch, schwächt das die EU fraglos weiter. Die Zeit dafür könnte
       bekanntermaßen kaum schlechter sein.
       
       10 Sep 2024
       
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