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       # taz.de -- Staatenlos in Deutschland: Aus der Heimat abgeschoben
       
       > Seit 30 Jahren lebt Robert A. in Sachsen. Die Ausländerbehörde bestimmt
       > sein Leben. Nun könnte er einen Aufenthaltstitel bekommen – oder
       > abgeschoben werden.
       
   IMG Bild: Soll abgeschoben werden: Robert A. aus Chemnitz
       
       Leipzig taz | Die Härtefallkommission in Sachsen entscheidet an diesem
       Freitag, ob sie sich für Robert A. ausspricht oder nicht. Der 31-jährige
       Staatenlose lebt seit 30 Jahren in Sachsen. Wenn sechs der neun
       Kommissionsmitglieder für ihn stimmen, könnte er einen Aufenthaltstitel
       bekommen. Wenn nicht, droht ihm eine Abschiebung nach Serbien – ein Land,
       in dem Robert A. noch nie war und dessen Sprache er nicht spricht.
       
       Ginge es nur nach den Behörden, wäre er schon da. Im [1][Juli nahm die
       Polizei Robert A. bei einem Besuch in der Ausländerbehörde] fest. Wenige
       Tage später fuhr sie ihn zum Flughafen nach Frankfurt am Main. In Chemnitz,
       der Heimatstadt von Robert A., gab es Protest: mehr als zweihundert
       Menschen demonstrierten gegen seine Abschiebung und online unterzeichneten
       Tausende eine Petition dagegen.
       
       Und dann brach Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) die Abschiebung
       ab. Robert A. war bereits am Flughafen, als sein Anwalt ihn anrief und
       darüber informierte. A. habe es nicht glauben können. Schuster hatte
       erklärt, die Landesdirektion, die zuständige Behörde, solle den Fall
       prüfen. Doch abgeschlossen ist er damit noch nicht.
       
       Während es in der bundesweiten Debatte um eine härtere Abschiebepolitik
       geht, [2][CDU und CSU mittlerweile dafür sogar EU-Recht] ausblenden, zeigt
       sich bei Robert A., was die aktuellen Gesetze bewirken können. Mit acht
       Monaten kam er nach Deutschland. Egal, wie er sich angestrengt habe: Seinen
       Lebensweg danach bestimmte vor allem die Ausländerbehörde, klagt Robert A.
       frustriert.
       
       ## Keine Identität, kein Aufenthaltstitel
       
       Sein Fall, oder besser seine Geschichte, begann im Jugoslawienkrieg. 1993
       flohen seine Eltern vor den blutigen Auseinandersetzungen im Balkan. Ihr
       Ziel war die Niederlande, weil da bereits ein Onkel lebte. Dort kam Robert
       A. zur Welt. Allerdings waren die Flüchtenden unterwegs schon in
       Deutschland aufgegriffen worden und mussten für den Asylantrag wieder
       zurück. So kam A. in die Bundesrepublik.
       
       Als Kind lebte er in einer Geflüchtetenunterkunft in Aue im Erzgebirge.
       Später zog er nach Chemnitz, ging zur Schule, knüpfte Freundschaften,
       machte eine schulische Ausbildung und engagierte sich bei Vereinen und den
       Grünen. Deutschland, sagt Robert A., das ist seine Heimat – auch ohne
       Aufenthaltstitel.
       
       Auf seiner Geburtsurkunde steht der Nachname seiner Mutter, als er nach
       Deutschland kam, gaben seine Eltern den seines Vaters an. Deshalb galt
       seine Identität bei den deutschen Behörden als ungeklärt. Keine Identität,
       keine Aufenthaltserlaubnis. Robert A. ist nur geduldet: Eigentlich ist er
       ausreisepflichtig, seine Abschiebung wurde aber ausgesetzt.
       
       Um seine Duldung zu verlängern, muss er alle paar Monate zur
       Ausländerbehörde. Auch bei Miet- oder Arbeitsverträgen braucht Robert A.
       eine Genehmigung. Das ist nicht nur eine Formalie: Mehrfach lehnte die
       Behörde Arbeitsverträge von Robert A. ab.
       
       Dass er eine schulische Ausbildung zum Masseur und medizinischen
       Bademeister gewählt hat, lag daran, dass er dafür keine Genehmigung
       brauchte. Allerdings: Für den Abschluss benötigte er eine Duldung, die über
       den Prüfungszeitraum hinaus reichte. Selbst das genehmigte die Behörde
       nicht. Im Jahr darauf ging A. später zum Amt, um den Duldungszeitraum nach
       hinten zu verschieben. Dadurch war er nicht mehr auf das Amt angewiesen.
       
       Unter anderem wegen solcher Geschichten fühle er sich von der Behörde
       diskriminiert: „Das hat mich von der Gesellschaft ausgeschlossen.“ Ein
       Vermerk in seiner Akte, erzählt Robert A., mache besonders deutlich,
       welcher „Maxime“ die Behörde folge. Als er 15 Jahre alt war, notierte eine
       Sachbearbeiterin, er solle abgeschoben werden, sobald er die Volljährigkeit
       erreicht.
       
       Sein Anwalt, Ulrich Tronczik, bestätigt das. „Es ist schon bemerkenswert,
       dass da eine solche Festlegung getroffen wurde“, kommentiert er. Für die
       Bearbeiter:innen sei schließlich nicht abschätzbar, wie sich der
       Mensch oder die Rechtslage in den nächsten drei Jahren entwickle. Robert A.
       habe eigentlich nur ein „normales Leben“ gewollt, mit Karriere und Wohnung.
       Doch weil er keine Arbeitserlaubnis bekam, sei er auf Sozialhilfe
       angewiesen gewesen. „Am Ende haben sie mir vorgehalten, dass ich Leistungen
       bezogen habe. Das sei ein Grund, weshalb ich keinen Aufenthaltstitel
       bekomme.“
       
       Für die Ausländerbehörde ist aber noch ein Ereignis besonders relevant.
       Robert A. bezeichnet das als Fehler, den er bereue. 2019 wurde er wegen
       Drogenhandels zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Robert A.
       unterstreicht: „Das ist aber nicht das Einzige, was mich als Mensch
       ausmacht.“
       
       Doch wie ist das, müssen straffällige Menschen ohne Pass abgeschoben
       werden? Erst im April entschied das Bundesverfassungsgericht in einem
       ähnlichen Fall. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof hatte demnach die
       Bleibeinteressen eines in München geborenen Kosovaren nicht sorgsam genug
       gegen Ausweisungsinteressen abgewogen. Das ursprüngliche Urteil, ihn nach
       mehreren Straftaten abzuschieben, beruhe auf einem Verfassungsverstoß.
       Darum hob das Verfassungsgericht es auf.
       
       Nachdem Robert A. verurteilt wurde, habe er seine Duldung in kürzeren
       Abständen verlängern müssen. Dabei vergriffen sich die
       Sachbearbeiter:innen im Ton, so erzählt er es. „Sie waren richtig
       unfreundlich und gaben mir das Gefühl, dass ich nichts wert bin.“ Vor etwa
       einem Jahr habe er von einer Sachbearbeiterin wissen wollen, was er noch
       für eine Arbeitserlaubnis tun könne. Sie habe darauf geantwortet: „Das
       Einzige, was ich muss, ist Sie abschieben.“ Robert A. sagt, er sei kein
       Einzelfall. Andere, die keinen deutschen Pass haben und zur
       Ausländerbehörde müssen, berichteten Ähnliches.
       
       Wenn die Härtefallkommission an diesem Freitag entscheidet, ist Robert A.
       nicht dabei. Zur Kommission gehören neun Mitglieder: Vertreter von Kirchen,
       Ministerien und Wohlfahrtsverbänden. Auch der sächsische Flüchtlingsrat hat
       eine Stimme.
       
       Ob Robert A. bleiben darf oder nicht, darüber entscheidet die
       Härtefallkommission nur bedingt. Wenn sich mindestens sechs der neun
       Kommissionsmitglieder für A. aussprechen, dann „ersucht“ die Kommission den
       sächsischen Innenminister Schuster, aus „humanitären oder persönlichen
       Gründen“ einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Wie Schuster entscheidet,
       steht ihm aber frei. Wie es Robert A. damit geht? „Ich warte bestimmt sehr
       aufgeregt darauf, was herauskommt. Es geht dabei ja wirklich um mein
       Leben.“ Die letzten Worte wieder holt er, als müsse er das selbst noch
       begreifen.
       
       12 Sep 2024
       
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       ## AUTOREN
       
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