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       # taz.de -- Meduza-Auswahl 2.-8. Januar 2025: „Das Schwierigste ist, Empathie zu bewahren“
       
       > Viele Journalist*innen haben Russland in jüngerer Vergangenheit
       > verlassen. Doch manche sind geblieben – und erzählen Meduza, wie sie
       > weitermachen.
       
   IMG Bild: Eine Herausforderung im russischen Mediensystem: Noch freien Journalismus zu machen
       
       Das [1][russisch]- und [2][englischsprachige] Portal Meduza zählt zu den
       wichtigsten unabhängigen russischen Medien. [3][Im Januar 2023 wurde Meduza
       in Russland komplett verboten]. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme
       gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter
       taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber
       Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der [4][taz Panter Stiftung]
       gefördert. 
       
       In der Zeit vom 2. bis 8. Januar 2025 berichtete Meduza unter anderem über
       folgende Themen: 
       
       ## Harte Linie gegen alle Dissidenten – auch Mediziner
       
       Russland kämpft mit einem gravierenden Ärztemangel. Doch das hält die
       Behörden nicht davon ab, oppositionelle Mediziner ins Visier zu nehmen. Im
       Jahr 2024 begann der Kreml, gegen Ärzte vorzugehen, die auch nur im
       Entferntesten von seiner Linie abweichen. Novaya Gazeta Europe porträtiert
       einige der Mediziner*innen, die im letzten Jahr ins Fadenkreuz des Kremls
       gerieten. [5][Meduza übersetzt den Text ins Englische.]
       
       Am 12. November 2024 verurteilte ein Moskauer Gericht etwa die Kinderärztin
       Nadezhda Buyanova zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis – weil sie angeblich
       „Desinformationen“ über das russische Militär verbreitet hatte.
       
       Russische Ärzte veröffentlichten einen offenen Brief zur Unterstützung
       Buyanovas, und eine Petition auf Change.org, in der ihre Freilassung
       gefordert wurde. Sie erhielt Tausende von Unterschriften. Nach ihrer
       Verurteilung sprachen sich einige Ärzte erneut gegen die ihrer Meinung nach
       ungerechte Verfolgung Buyanovas aus und drehten einen Videoappell an den
       russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Wir fordern die Freilassung dieser
       Kinderärztin, damit sie weiterhin Kinder behandeln kann“.
       
       Ein anderes Beispiel ist der russische Kinderarzt Sergej Butrij: In einem
       Interview mit der Journalistin Katerina Gordeeva im März 2023 sagte er:
       „Versetzen Sie ein beliebiges europäisches Volk in die Lage, in der wir uns
       befinden – mit dieser Regierung, mit Repressionen, mit Einschränkungen der
       Meinungsfreiheit. Und sie würden wohl genauso handeln.“
       
       Etwa ein Jahr später, am 22. Februar 2024, wurde Butriy verhaftet und wegen
       „Aufstachelung zu Hass und Feindschaft“ angeklagt. Den Ermittlern zufolge
       richteten sich Butriys Äußerungen in dem Interview „gegen Ärzte, die die
       Werte der russischen Gesellschaft teilen“. Nach zehn Tagen im Gefängnis
       wurde er wieder freigelassen, Butriy verließ daraufhin Russland. Er lebt
       jetzt in Georgien – wo er Patienten in einer örtlichen russischsprachigen
       Klinik behandelt.
       
       ## Aus fürs Gas. Und nun?
       
       Nachdem mehr als vier Jahrzehnte lang ununterbrochen russisches Gas durch
       die Ukraine nach Europa geflossen war, wurden am 1. Januar 2025 die Hähne
       zugedreht. Nicht einmal die russische Invasion in die Ukraine im Jahr 2022
       hatte den Fluss unterbrochen. Nun gelang es den beiden Seiten nicht, ein
       neues Transitabkommen zu schließen. Meduza erklärt, welche Verluste für
       Russland, die Ukraine und Europa mit der Unterbrechung des Transits
       einhergehen. [6][Und welche möglichen Alternativen zu russischem Gas es
       gibt, und wie sich die neue Situation auf die Energiepreise auswirken
       könnte (englischer Text).]
       
       Bloomberg schätzt, dass Gazprom durch den Stopp des Gastransits jährliche
       Exporteinnahmen in Höhe von etwa 6 Milliarden US-Dollar verlieren wird.
       Sergey Vakulenko, ein Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center,
       schätzt die jährlichen Verluste etwas niedriger ein und geht von 5
       Milliarden aus. Auch die Ukraine wird auf Hunderte Millionen Dollar an
       Einnahmen verzichten müssen.
       
       Den Prognosen von Bloomberg zufolge könnte die Entscheidung der Ukraine,
       den Transit von russischem Pipelinegas zu stoppen, zu einem größeren Anteil
       von russischem Flüssigerdgas (LNG) auf dem europäischen Markt führen.
       Obwohl einige Politiker für einen Boykott aller russischen
       Energieressourcen eintreten, sind die Importe russischen LNGs auf
       Rekordniveau.
       
       Vieles wird von der Politik des designierten US-Präsidenten Donald Trump
       abhängen, der entweder die Sanktionen gegen Russland im Gegenzug für ein
       Friedensabkommen lockern könnte – oder sie verschärfen, wenn der Kreml sich
       weigert, in der Ukraine zu deeskalieren. Unabhängig von diesen Faktoren
       erwarten Analysten, dass die Gaspreise im Jahr 2025 weiter steigen werden.
       
       ## Warum starb ein angeblicher LGBTQ+-Unternehmer in Haft?
       
       Ein russischer Geschäftsmann, der beschuldigt wurde, ein Reisebüro für
       LGBTQ+-Touristen zu betreiben, verstarb wenige Tage vor Neujahr in einem
       Moskauer Gefängnis. Andrej Kotows Verhaftung war nur ein Fall in Russlands
       verstärktem Vorgehens gegen queere Menschen. Die genauen Umstände seines
       Todes bleiben bisher unklar. Während erste Berichte von einem Selbstmord
       ausgingen, zweifeln Menschenrechtsaktivisten und Freunde diese Darstellung
       an. Sie sagen: Kotov sei entweder zu Tode gefoltert oder von den Behörden
       vorsätzlich getötet worden. [7][Meduza berichtet auf Englisch.]
       
       Kotov wurde am 30. November verhaftet und wegen Organisation und
       Beteiligung an einer „extremistischen Organisation“ angeklagt. Die
       Ermittler behaupteten, dass sein Reiseklub Men Travel Reisen organisierte,
       die „LGBT-Propaganda“ beinhalteten. Kotov wies die Vorwürfe zurück und
       erklärte, sein Unternehmen konzentriere sich ausschließlich auf den
       Tourismus.
       
       Kotov wurde nach seiner Verhaftung beinahe sofort in Einzelhaft verlegt.
       Berichten zufolge weigerte sich die Haftanstalt, Pakete mit seinen
       täglichen Medikamenten anzunehmen. Eine Woche vor seinem Tod sollen die
       Ermittler zusätzliche Anschuldigungen gegen Kotov erhoben haben – indem sie
       ihn der Herstellung von Kinderpornografie beschuldigten. Zuvor hatte Kotov
       erklärt, dass er während seiner Festnahme mit Elektroschocks gefoltert
       worden sei.
       
       ## Warum Journalist*innen weiter in Russland arbeiten
       
       Es war schon vor dem Krieg nicht einfach, die unbequemen, die weniger
       schönen Aspekte des Lebens in Russland zu dokumentieren. Und in den letzten
       drei Jahren ist das noch gefährlicher geworden. Trotz der hohen Risiken
       geben einige Fotojournalisten nicht auf – sie wissen, dass ihre Arbeit nun
       besonders wichtig ist. Meduza hat mir einigen Fotograf:innen
       gesprochen[8][, die weiterhin in Russland arbeiten (russischer Text).]
       
       Eine von ihnen ist Alisa. Sie erzählt: „Ich habe Russland nach Kriegsbeginn
       nicht verlassen, weil es für mich wichtig ist, mitzuerleben, was an dem Ort
       geschieht, an dem ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Zu
       sehen, was mit den Menschen geschieht, wie sich die Atmosphäre verändert.
       Das Schwierigste ist, Empathie zu bewahren und sich selbst als Person zu
       erhalten. Man muss sich immer wieder mit der Realität auseinandersetzen,
       auch wenn sie unangenehm und unverständlich ist und viele komplizierte
       Gefühle auslöst. Bei meiner Arbeit sehe ich, wie müde die Menschen vom
       Krieg sind – er begeistert niemanden mehr. In den Regionen sind die
       Auswirkungen des Konflikts stärker zu spüren: Viele Menschen haben
       Ehemänner oder Söhne im Krieg, manche haben jemanden verloren. In den
       Dörfern ist es einer nach dem anderen. Ich habe viele Menschen in den
       Regionen getroffen, die sowohl das Regime unterstützen als auch wollen,
       dass der Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Das ist das
       Merkwürdige. Sie glauben an Krieg für Frieden und glauben, dass Putin alles
       beenden wird – das ist die Logik.“
       
       8 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://meduza.io
   DIR [2] https://meduza.io/en
   DIR [3] /Russische-Medien-im-Exil/!5911767
   DIR [4] /!v=4269299f-23bb-40f2-a4ea-2b1b1ae40192/
   DIR [5] https://meduza.io/en/feature/2025/01/02/this-must-be-a-terrible-mistake
   DIR [6] https://meduza.io/en/feature/2025/01/03/breaking-the-chain
   DIR [7] https://meduza.io/en/feature/2025/01/02/a-russian-travel-agent-accused-of-organizing-lgbtq-tours-died-in-a-moscow-jail-officials-say-it-was-suicide-but-advocates-aren-t-convinced
   DIR [8] https://meduza.io/feature/2025/01/06/vnutri-postoyannoe-chuvstvo-straha-krome-momentov-kogda-ya-snimayu
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tigran Petrosyan
       
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       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Meduza-Auswahl 9. – 15. Januar 2025: „Wo andere Schlagzeilen enden, beginnt Meduza“
       
       Das Exilmedium wirbt mit einer neuen Kampagne um Leserinnen und Leser im
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   DIR Krieg in der Ukraine: Durchhalten in einem Trümmerhaufen
       
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       Für die ukrainischen Soldaten steht die Stadt für das, was ganz Europa
       droht.
       
   DIR Meduza-Auswahl 29. Dez 24 – 1. Januar 25: Wie Russlands Fahne vom Anti-Sowjet- zum Kriegssymbol wurde
       
       Über 300 Jahre ist die heutige russische Fahne alt. Und sorgt für
       Diskussionen unter Oppositionellen: Steht sie nur noch für Putin? Oder für
       Russland darüber hinaus?
       
   DIR Meduza-Auswahl 19. – 28. Dezember: Was Datenlecks über Russland verraten
       
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       an Medien zu. Sie behandeln etwa Russlands Umgang mit entführten
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