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       # taz.de -- Friedensbewegung und Russland: Kein bisschen Frieden
       
       > Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine steckt die deutsche
       > Friedensbewegung in einer Krise. Das liegt auch an Sahra Wagenknecht.
       
   IMG Bild: Zur letzten großen Friedensdemonstration kamen im Februar 2022 noch 500.000 Menschen nach Berlin
       
       Tag für Tag mordet die russische Soldateska in der Ukraine. Die Lage für
       die Menschen in dem geschundenen Land wird immer prekärer. Auch nach mehr
       als zweieinhalb Jahren ist ein Ende von Putins Krieg nicht absehbar.
       
       Wenn einer Bundesregierung dazu nicht viel mehr einzufallen scheint, als
       die Parole auszugeben, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden, dann wäre
       es eigentlich Zeit für eine starke Friedensbewegung. Aber die Zeiten sind
       kompliziert geworden. Der Krieg in der Ukraine hat auch die
       Friedensbewegung in Trümmer gelegt.
       
       Für den 3. Oktober ruft die Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen
       nieder“ zu einer großen bundesweiten Friedensdemonstration in Berlin auf.
       Das Motto klingt verheißungsvoll: „Nein zu Krieg und Hochrüstung! Ja zu
       Frieden und internationaler Solidarität!“ Aber mit Sahra Wagenknecht als
       Hauptrednerin?
       
       Ausgerechnet die traditionsreichste deutsche Friedensorganisation
       verweigert der Demo ihre Unterstützung. Die Deutsche Friedensgesellschaft –
       Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), deren Vorläuferin 1892 von der
       Pazifistin Bertha von Suttner gegründet wurde, übt scharfe Kritik an den
       Veranstalter:innen. „Wir wollen keine Leute zu einer Demonstration
       herbeischaffen, die wir inhaltlich nicht mitgestalten können und deren
       Aufruf geprägt ist vom Fehlen von für uns elementaren Inhalten und
       Forderungen“, sagt Michael Schulze von Glaßer, der politische
       Geschäftsführer der DFG-VK.
       
       Die letzte große Friedensdemo fand [1][am 27. Februar 2022] statt. Das
       Erschrecken über den russischen Überfall auf die Ukraine trieb bis zu
       500.000 Menschen in Berlin auf die Straße. Es hatte ein breites Bündnis
       aufgerufen: von „klassischen“ Friedensorganisationen wie der DFG-VK oder
       Pax Christi über Gewerkschaften bis zu Naturschutzverbänden und der
       Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Wir fordern die russische
       Regierung auf, sofort alle Angriffe einzustellen, sich aus der Ukraine
       zurückzuziehen und deren territoriale Integrität wiederherzustellen“, hieß
       es in seinem Aufruf. Das war der gemeinsame Nenner.
       
       ## Was im Demoaufruf fehlt
       
       Dass es diesen gemeinsamen Nenner für die jetzt geplanten Demo nicht gibt,
       ist das Problem. Im zentralen Aufruf wird nicht einmal mehr benannt, wer
       wen angegriffen hat. Das hätte ja schon in früheren Aufrufen gestanden,
       begründet das Reiner Braun, einer der Organisator:innen. „Wir müssen
       nicht jeden Satz in jeden Aufruf schreiben.“ Und warum fehlt die Forderung
       nach einem [2][Rückzug der russischen Truppen]? Sie seien für eine
       „Verhandlungslösung“, da habe man sich nicht festlegen wollen.
       
       Eine eigentümliche Antwort. Bei früheren Kriegen war es gar keine Frage,
       was die Friedensbewegung fordert, etwa „Amis raus aus dem Irak!“. Was auch
       sonst? „Wir hatten damals eine ganz andere historische Situation, eine ganz
       andere Vorgeschichte zu diesem Krieg“, findet Braun. Das stimmt: Es
       [3][ging um die USA], jetzt geht es um Russland.
       
       Aus nur zehn Personen besteht die Initiative, die die Demo am 3. Oktober
       offiziell veranstaltet. Der Kreis um Braun und den mittlerweile 77-jährigen
       Willi van Ooyen stammt aus der traditionellen Friedensbewegung. 1966 lief
       van Ooyen das erste Mal bei einem Ostermarsch mit; 1980 gehörte er zu den
       Initiator:innen des Krefelder Appells gegen den sogenannten
       Nato-Doppelbeschluss. Später war er Fraktionschef der Linken im hessischen
       Landtag.
       
       Vom Krefelder Appell, den einst mehr als vier Millionen Menschen
       unterzeichneten, und den großen Friedensdemos Anfang der 1980er Jahre
       schwärmt auch Reiner Braun bis heute. Von 2013 bis 2019 Co-Präsident des
       Internationalen Friedensbüros (IPB) in Genf, gilt der mittlerweile
       71-Jährige als der Kopf der Gruppe, für die er auch auf der
       Abschlusskundgebung sprechen soll. Braun hat einen fragwürdigen Ruf.
       Kritiker:innen werfen ihm eine zwielichtige Politik von Bündnissen
       hinein ins verschwörungsideologische Milieu vor. So [4][umwirbt er die
       Coronaleugner:innenszene] um Querdenken-Gründer Michael Ballweg,
       die sich als „neue Friedensbewegung“ sieht.
       
       Das dürfte nicht der einzige Grund sein, warum in dem Demoaufruf die
       Forderung der DFG-VK nach „Schutz und Asyl für alle Menschen, die dem Krieg
       entfliehen wollen“, keine Berücksichtigung gefunden hat. Die Mehrzahl der
       Veranstalter:innen sympathisiert mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht
       oder ist Mitglied der neuen Partei, etwa die Berliner
       BSW-Landesgeschäftsführerin Wiebke Diehl, die Brandenburger
       Kreistagsabgeordnete Rita-Sybille Heinrich oder der Gewerkschaftssekretär
       Ralf Krämer. Bereits im Februar 2023 organisierte der Kern der Initiative
       eine von [5][Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte Friedensdemo] in
       Berlin mit bis zu 29.000 Teilnehmer:innen. Zu einer Nachfolgedemo im
       November 2023 kamen etwa 10.000 Menschen – ebenfalls mit Wagenknecht als
       Hauptrednerin.
       
       ## Nationalkonservativer Peter Gauweiler spricht
       
       Diesmal bemühen sich die Veranstalter:innen, pluralistischer zu
       erscheinen. Die Friedensbewegung lebe „von ihrer Vielfalt und Pluralität“
       und davon, „dass sie mit ganz unterschiedlichen Positionen leben kann“,
       sagt Braun. Kritik sei „ein Lebenselixier der Friedensbewegung“. Die
       Kritik der DFG-VK tut er bissig ab: „Man kann vielleicht auch mal die Frage
       stellen, wie weit abgehoben der Bundesvorstand der DFG-VK ist.“ Die große
       Mehrheit der Landes- und Ortsverbände unterstütze die Demo. „Keine Ahnung,
       woher Herr Braun die Zahlen hat“, kommentiert das Michael Schulze von
       Glaßer.
       
       Nicht geklappt hat jedenfalls, neben Wagenknecht auch prominente
       DFG-VKler:innen als Redner:innen zu gewinnen: Sowohl [6][Bundessprecher
       Jürgen Grässlin] als auch die Ex-EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann und der
       [7][Publizist Andreas Zumach] lehnten ab. Dass die Änderungswünsche der
       DFG-VK in den zentralen Demoaufruf nicht aufgenommen wurden, finde er
       ebenso falsch wie den Auftritt von Wagenknecht, sagt Zumach, der ehemalige
       UN-Korrespondent der taz. Auch der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen
       sagte ab. Gewonnen werden konnte dafür der nationalkonservative
       CSU-Politiker Peter Gauweiler, ein Freund der Eheleute Sahra Wagenknecht
       und Oskar Lafontaine.
       
       Ein Coup ist den Veranstalter:innen dafür mit dem
       SPD-Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner gelungen. Dass er auf der
       Abschlusskundgebung sprechen werde, sei aber nicht als ein gemeinsamer
       Auftritt mit Wagenknecht zu verstehen, versichert Stegner der taz. „Ganz
       sicher“ werde er „nicht Arm in Arm mit ihr John-Lennon-Lieder singen“.
       Anders als Wagenknecht, die de facto die Kapitulation der Ukraine wolle,
       sei er sehr wohl dafür, dass sich das angegriffene Land verteidigen könne.
       Deswegen lehne er auch weder die humanitäre noch die militärische
       Unterstützung der Ukraine ab und teile die Kritik an dem zentralen Aufruf.
       „Für mich ist der sozialdemokratische Aufruf maßgeblich, den ich selbst
       mitformuliert habe, und der sieht anders aus“, sagt er.
       
       ## Die SPD setzt eigene Akzente
       
       Von dem Aufruf der Veranstalter:innen hebt sich der Aufruf der
       SPD-Mitglieder tatsächlich deutlich ab. Der Überfall Russlands auf die
       Ukraine sei „durch nichts zu rechtfertigen“, heißt es darin. Und: „Die
       Ukraine muss sich gegen diesen Überfall verteidigen, verteidigen können und
       dürfen!“ So gehe es „natürlich um einen Frieden, der die Souveränität der
       Ukraine wahrt und nicht [8][Aggressoren wie Putin belohnt], Grenzen mit
       Gewalt verschieben zu wollen“. Zu den Unterzeichner:innen gehören der
       frühere SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, der Bundestagsabgeordnete
       Axel Schäfer, die ehemalige NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn sowie
       der Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.
       
       „Die SPD war immer Teil der Friedensbewegung, das muss auch so bleiben“,
       sagt Stegner. Entscheidend sei, dass die Veranstalter:innen
       unmissverständlich klargestellt hätten, dass Faschist:innen,
       Rassist:innen und Antisemit:innen nicht geduldet würden. Ansonsten
       sei die Friedensbewegung schon immer pluralistisch gewesen, das müsse man
       aushalten. „Wenn wir die Friedensbewegung den Populisten überlassen, dann
       dürfen wir uns nicht wundern, wenn bei den Wahlen – wie jetzt in Sachsen,
       Thüringen und Brandenburg – so viele Leute [9][Populisten und
       Rechtsradikale] wählen“, sagt Stegner, der seinen Auftritt mit
       SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich abgesprochen hat.
       
       Auch die Linkspartei ruft zu der Demo auf. Für sie soll die
       Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch sprechen. „Leerstellen in einem
       Bündnisaufruf sollten kein Grund für eine generelle Verweigerung der
       Teilnahmen sein“, sagt Linke-Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar. „Wir
       mobilisieren mit einem eigenen Aufruf, in dem wir deutlich machen, dass
       russische Truppen in der Ukraine nichts zu suchen haben und unverzüglich
       abziehen müssen“, so Gürpinar zur taz. „Das werden wir auch auf der
       Demonstration deutlich machen.“ Mit den Organisator:innen teile man
       jedoch „die Intention, gegen die enorme Aufrüstung und die Stationierung
       von US-Mittelstreckenraketen zu protestieren, sowie die Forderung nach
       einem Frieden in der Ukraine und stärkeren diplomatischen Bemühungen“.
       
       29 Sep 2024
       
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