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       # taz.de -- Alternative Wohnmodelle: Am Ende des nomadischen Lebens
       
       > Unsere Autorin hat zwei Jahre lang in Ihrem Wagen gelebt. Jetzt reicht es
       > ihr. Dennoch verteidigt sie das nomadische Leben gegenüber
       > Kritiker:innen.
       
   IMG Bild: Mit dem Camper unterwegs
       
       Mein Leben im Wagen endet im Paradiestal. Das ist keine cheesy Metapher –
       im Paradise Valley in Marokko gestehen mein Freund und ich uns langsam ein,
       dass es reicht. Nach zwei Jahren nomadischem [1][Leben in einem umgebauten
       Militär-Lkw] geben wir zu, dass wir uns verschätzt haben: Es wird nicht für
       immer sein.
       
       Wir sind im Tal, um eine Pause zu machen. Pause von prekären Dörfern und
       täglichen Einladungen bei fremden Familien, Pause von den irgendwann
       erschöpfenden Schicksalen lokaler Freunde, vom Philosophieren unter
       Reisenden. Pause von Gefühlen, schätze ich; von der Welt, die zu viel
       wurde.
       
       Es fühlt sich auch an wie eine Niederlage. Unzählige seufzten, sie würden
       gern frei leben wie ich. Nicht nur Bürgerliche sind in den Zwängen des
       Spätkapitalismus vom nomadischen Leben fasziniert. Ich hatte immer das
       Gefühl, meine eigenen Sehnsüchte und die Projektionen anderer damit
       erfüllen zu müssen.
       
       Die sesshafte Gesellschaft idealisiert das Dauerreisen. Gleichzeitig
       zerpflückt sie Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-mäßig alle Ausbruchsversuche.
       Menschen lieben [2][Geschichten über nomadisches Scheitern]. „So nervig ist
       das Leben im Camper wirklich.“ „Darum macht es nicht glücklich, alles
       hinzuschmeißen und um die Welt zu reisen.“
       
       ## Natürlich ginge das für alle
       
       Was für ein Unsinn! Nomad:innen sind medial entweder verarmte Elende
       [3][wie in „Nomadland“] oder [4][lächerliche digitale Hipster]. Die
       Ablehnung hat System. Eine bürgerliche Gesellschaft, die wörtlich festsitzt
       und der freies Reisen unerreichbar scheint, redet sich ein: ein Glück, es
       wäre doch nicht besser!
       
       Klar, nomadisches Leben hat Limitationen. Mir fehlte neben Ruhephasen vor
       allem das soziale Netz. Aber es vermag auch verdammt viel. Das Leben im
       Wagen schafft ein Stück [5][wirkliche Freiheit]: von Materiellem,
       Konventionen, dem Fokus auf Lohnarbeit. Es ermöglicht Begegnungen und
       Freundschaften mit anderen Gesellschaften und Klassen, frei von
       touristischer Infrastruktur. Bewegung ist subversiv.
       
       Und natürlich ginge das für alle. Zum Beispiel in der Tradition der Walz.
       Eine mehrjährige Wanderschaft für jede Lohnarbeit, niedrigschwellig mit
       Autostopp und solidarischem Netzwerk. Oder: Jedes Jahr zwei Monate bezahlte
       freie Zeit am Stück für jede:n. Wer Bahn statt Flieger nimmt, bekommt die
       Tage zusätzlich.
       
       Das erscheint irrwitzig, zu teuer, nicht machbar? Kürzlich habe ich zum
       ersten Mal wieder Urlaub gemacht, eineinhalb Wochen. Ich war schockiert vom
       Konzept. Kaum angekommen, war ich schon wieder weg. Ich bekam kein
       Verständnis vom Ort, fühlte mich nicht erholt und es war sauteuer. Warum
       das als Highlight des Jahres gilt? Weil wir uns einreden, es gäbe keine
       Alternativen.
       
       29 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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