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       # taz.de -- Ebow Album „FC Chaya“: Ein Club für die Chayas
       
       > Ebru Düzgün alias Ebow ist HipHop-Musikerin und ein Role-Model ihrer
       > Generation. Nun erscheint ihr bislang persönlichstes Album.
       
   IMG Bild: „Mein ganzes Leben gab es irgendeine Krise, die meine Identität betrifft“ – so Ebow im taz-Gespräch
       
       „Als ich frisch angefangen hatte mit Musikmachen, 2005, war mein erstes
       Ziel, mal auf einem Plakat draufzustehen. Ich kannte damals gleichaltrige
       Rapper, und die waren schon auf Plakaten drauf. Ich glaube, ich habe immer
       noch den ersten Flyer, auf dem mein Name stand. Da nannte ich mich ich noch
       nicht Ebow, da hieß ich Queen Styles, aber mein Name steht drauf!“
       
       Ebows erster Flyer hing in München, dort ist sie auch geboren und
       aufgewachsen. Es ist die Stadt, in deren Bahnhofsviertel sie ihre ersten
       Auftritte bei HipHop-Jams hatte, ihr Debütalbum beim Indielabel Disko B
       veröffentlichte. Und die Stadt, in der sich Ebow auch während des
       Zoom-Interviews befindet. Sie ist in der alten Heimat, um ihre Familie zu
       besuchen. „Ich gebe ein Interview. Nur, dass du Bescheid weißt, okay?“,
       ruft sie ihrem Onkel vom Sofa aus zu, der gerade die Treppe hinuntergeht.
       Ganz beiläufig.
       
       Mit „FC Chaya“ ist nun Ebows fünftes Soloalbum erschienen, ihr Debüt
       veröffentlichte sie vor elf Jahren. Die 33-jährige Künstlerin ist außerdem
       Teil des Trios Gadaffi Gals und seit Kurzem auch als Schauspielerin tätig.
       Es läuft für Ebow. Sie dürfte also bereits das eine oder andere Interview
       geführt und diesem Vorgang eine gewisse Alltäglichkeit abgerungen haben.
       
       Trotzdem ist sie weit davon entfernt, ihre Künstlerinnenexistenz als
       Promotion abzuspulen. Denkt sie über Fragen nach, verlangsamen sich ihre
       Worte. Manchmal holt sie aus, lacht kurz und entschuldigt sich dafür. Dabei
       klingt kein Satz, den sie sagt, irrelevant oder wirkt eingeübt. Es gibt
       Dinge, über die will sie reden und das dauert manchmal eben länger.
       
       ## Lebensgeschichte in fünf Minuten
       
       So, wie auf dem dritten Track ihres Albums. „Ebru’s Story“ heißt der und
       ist so etwas wie der eigentliche Titel des Albums. Wie bereits „FC Chaya“
       vermuten lässt, erzählt Ebow, die bürgerlich Ebru Düzgün heißt, darin nicht
       weniger als ihre Lebensgeschichte – in fünf Minuten und 15 Sekunden. „Auf
       jedem Album von mir sind gesellschaftskritische Songs drauf. Ich bin eine
       kurdische Frau und Alevitin, mein ganzes Leben gab es jedes Jahr irgendeine
       Krise, die meine Identität betrifft“, sagt sie im Gespräch.
       
       Dabei bringt sie diese Krisen und das Verhandeln ihrer Identität mit so
       viel erzählerischem Geschick rüber, dass es sich anfühlt, als habe man
       gerade ihre Autobiografie gelesen. Der Moment, als der Song zu Ende ist,
       gleicht dem Schluss eines guten Buchs, dessen letzte Seite man soeben
       beglückt gelesen hat.
       
       Als [1][Ebows persönlichstes Album] wurde „FC Chaya“ im Vorfeld
       angekündigt. Die Zuschreibungen „persönlich“ und auch „emotional“ werden
       gemeinhin eingesetzt, um massenwirksam Musik zu vermarkten. Aber wie man es
       von Ebow erhofft, arbeitet sie dabei nicht mit leeren Versprechen. Der
       dritte Vers von „Ebru’s Story“ setzt sich mit dem Ereignis auseinander, das
       zentral für die Entstehung des Songs war und erst im vergangenen Jahr
       stattfand.
       
       ## Keiner kann dir sagen wie du zu leben hast
       
       Zu ihren Tanten hat sie ein enges Verhältnis. In einem Berliner Café
       erzählt sie ihnen damals, dass sie lesbisch ist. „Egal auf wen du stehst /
       Ebru du bleibst du / Und weil du nur dieses eine Leben hast / Kann keiner
       dir sagen wie du zu leben hast / Und mach dich bitte niemals klein vor
       Verwandten und Bekannten / Und mach dich bitte frei von all den negativen
       Gedanken / Und sei dir bitte sicher wir sind immer an deiner Seite / Manche
       Dinge brauchen Zeit doch warte nicht zu lange.“ So fasst Ebow die Reaktion
       in „Ebru’s Story“ zusammen.
       
       Das Verhandeln von Queerness bildet [2][in der HipHop-Szene, in der
       deutschen Musiklandschaft] immer noch einen blinden Fleck. In der
       migrantischen Community ist es auch nicht gerade alltäglich. Ebow ist hier
       wie bei anderen Themen Vorreiterin und damit auch Vorbild. Und genau die
       braucht es. Generell und gerade jetzt.
       
       „Ich hoffe, dass den Song viele junge, queere Leute hören und das Gefühl
       bekommen, dass das Leben viel schöner wird, als sie sich das jemals
       vorstellen können. Ich bin gestern Abend in die Gegend gefahren, wo ich
       aufgewachsen bin, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Und ich musste so
       sehr an die kleine Ebru denken und was für Konflikte ich hatte. Ich bin mir
       so sicher, wenn ich irgendwie ein Role-Model gehabt hätte oder eine
       Musikerin, die diesen Song macht oder generell solche Musik macht, das
       hätte mir viel Mut gegeben, zu mir zu stehen“, sagt sie. Ebru wirkt dabei,
       als würde sie sich genau in diesem Augenblick vorstellen, was das für sie
       persönlich bedeutet
       
       ## Liebeserklärung an Frauen und Freundinnen
       
       Die Vermutung liegt nahe, dass „Ebru’s Story“ den Grundstein für „FC Chaya“
       gelegt hat. Dabei entstand der Song als vorletzter. Vielmehr ist es so,
       dass „die anderen Songs diesen erst ermöglicht haben“, wie Ebow sagt. Und
       das ist im Umkehrschluss dann auch naheliegend. Denn Songs wie „Chayas
       Worldwide“, „Juicy“ oder „Bodies“ sind eine Liebeserklärung. An Frauen und
       an die Freundinnen. Eingebettet sind sie in einen R&B-lastigeren Sound, mit
       viel smoothen Grooves und eingängigen Melodien, wie es sich schon auf dem
       Vorgängeralbum „Canê“ angekündigt hatte und nun noch einmal deutlich
       verfeinert wurde.
       
       Häufiger nutzt Ebow ihre Singstimme, an der sie, wie sie sagt, lange
       gezweifelt hat, und legt sie auf Beats, die unter anderem von Produzentin
       Sirin, die man vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit der Berliner
       Rapperin Wa22ermann kennt, sowie von Ebows langjährigem Freund und
       Kollaborateur Walter p99 arke$tra stammen. „Ich glaube, ich bin mehr mit
       R&B als mit Rap groß geworden, bin eigentlich schon immer so ein R&B-Kid
       gewesen. Ich liebe R&B, und es ist so, ich höre die gleichen R&B-Songs seit
       zehn Jahren rauf und runter“, stellt Ebow fest und schließt damit einen
       Kreis.
       
       Denn auf „FC Chaya“ geht sie nicht nur textlich in ihre Jugend, sondern
       auch musikalisch. Sie legt all ihre Leidenschaften in dieses Album, dessen
       Titel so einfach und treffend daherkommt, dass man sich gar nicht
       vorstellen kann, es hätte anders heißen können. „Ich hatte das Konzept
       schon im Kopf und fand: Okay, das ist der Titel und ich finde es ganz geil,
       weil es sich so eine Männerdomäne nimmt – Fußball – und dann Chaya dahinter
       packt und ich finde, das ist ein geiles Wort, das sieht geil aus, es
       beschreibt die Grundstimmung des Albums. Es könnte Fußballclub Chaya
       bedeuten, aber es könnte auch Fanclub Chaya sein“, begründet Ebow ihre
       Entscheidung.
       
       „Forever“ heißt der Auftaktsong des neuen Albums. Er begrüßt Hörer:Innen
       mit den Worten „Hey, was geht, das ist der Anrufbeantworter von FC Chaya /
       Falls du nen Crush hast, drück die 1 / Falls du Herzschmerz hast, drück die
       2 / Falls du Gästeliste brauchst, drück die 3 / Ihr wisst, wir sind immer
       da für unsere Chayas.“
       
       Taste 4 ist noch nicht belegt. Vielleicht kann man das bald ändern: Drück
       die 4, wenn du Mitglied beim FC Chaya werden willst.
       
       28 Sep 2024
       
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       greifbar.