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       # taz.de -- Rücktritt der Grünen-Parteispitze: Alles für Habeck
       
       > Dass die Grünen Ricarda Lang und Omid Nouripour zurücktreten mussten, war
       > absehbar. Sie standen der Habeck-Strategie im Weg.
       
   IMG Bild: Omid Nouripour und Ricarda Lang verkünden ihren Rücktritt am Mittwoch in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin
       
       Anfang der Woche saß Robert Habeck auf einer Theaterbühne, um mit dem
       FAZ-Kollegen Eckart Lohse über dessen frisch erschienenes Merkel-Buch zu
       sprechen. Im Renaissance-Theater (laut Wikipedia „das einzige vollständig
       erhaltene Art-déco-Theater Europas“) saß ganz genau das Publikum, das der
       [1][Grünen-Kanzlerkandidat] in spe jetzt vordringlich erreichen möchte: ein
       Merkel-geprägtes CDU-Bürgertum, dem Friedrich Merz zu unberechenbar und zu
       80er ist.
       
       Habeck selbst hat in diesem Zusammenhang von der „Merkel-Lücke“ bei der
       Union gesprochen; wie er sie nutzen möchte, schrieb jüngst der [2][Spiegel]
       auf. Für den Montagabend in einem Westberliner Theater lässt sich sagen,
       dass diese Strategie wunderbar funktionierte – das Publikum nutzte auch die
       nicht offensichtlichen Gelegenheiten, zu lachen und zu klatschen.
       
       Von den sauerstoffärmeren oberen Rängen (immer dasselbe in diesen alten
       Theatern!) wirkte es, als häkele Habeck eine Schutzhaube für politisch
       empfindsame Gemüter: Er schien den Leuten Trost zu spenden, eine
       beruhigende Tonspur anzubieten als Gegenmittel für das verzerrt
       kreischende, durch all die illiberalen Rückkopplungseffekte schier nicht
       mehr anzuhörende Politikspektakel da draußen. Habecks Leitmotiv: Natürlich
       hat Merkel große Fehler gemacht, aber sie war – und hier muss man
       mitdenken: anders als Merz – anständig, anti-populistisch, humanitär
       angetrieben. So hatte Habeck es auch schon zu Merkels 70. Geburtstag
       [3][für den Rolling Stone aufgeschrieben].
       
       Die Party zu eben diesem runden Geburtstag nutzte Merkel diese Woche dann
       allerdings für eine [4][Quasi-Versöhnungs-Show mit Merz], was sich im
       Lichte von Habecks Lücken-Strategie wie eine spezielle Ausformung ihres
       „feinen Spotts“ (Habeck über Merkel) lesen lässt. Vermutlich aber sind
       Grünen-Strategien der Ex-Kanzlerin einfach kackegal.
       
       ## Habeck macht Lang verantwortlich für die Wahlergebnisse
       
       [5][Ricarda Lang und Omid Nouripour] standen der Habeck-Strategie offenbar
       im Wege. Das lässt sich schreiben, ohne abschließend klären zu müssen, ob
       die beiden ParteichefInnen nun weggemobbt wurden, oder ob sie sich ganz
       freiwillig geopfert haben.
       
       Von „Verantwortungsbereitschaft“ im „unbarmherzigen Geschäft“ der Politik
       [6][sprach Robert Habeck am Mittwochabend] im Fernsehen jedenfalls, ohne zu
       dementieren, dass er mindestens Ricarda Lang für die schlechten
       Wahlergebnisse dieses Jahres verantwortlich gemacht hat.
       
       Wobei „unbarmherzig“ noch untertrieben ist dafür, wie die 30-Jährige sich
       in der Öffentlichkeit dafür anhassen lassen muss, dass sie übergewichtig
       ist. Ich habe schon erstaunlich viele Gespräche darüber führen müssen, ob
       eine übergewichtige Frau eine prominente politische Rolle spielen darf –
       mit eigentlich zurechnungsfähigen Menschen, die sich noch gut an Helmut
       Kohl erinnern können und ansonsten auch für Gleichberechtigung sind. Aber
       eine Grünenchefin darf offenbar nicht dick sein, und zwar schon gar nicht,
       wenn sie jung und klug und ihr schon deshalb das Etikett „belehrend“
       anzuhängen ist.
       
       Mag sein, dass dies nicht der Grund ist, sie samt Nouripour nun abtreten zu
       lassen. Offen sprechen wird darüber sowieso nie jemand, schon klar.
       Höchstens unter den grünen Realo-Truppen aus rot-grünen Zeiten (für die
       Jüngeren: das war von 1998 bis 2005), wo man das Wechselspiel zwischen
       moralischem Parteiprogramm und machiavellistischem Miteinander ja geradezu
       genüsslich betrieben hat.
       
       Aber mit einer offensiv herausgestellten, anständigen, anti-populistischen,
       humanitär angetriebenen Grundhaltung, sprich dem Anti-Zynismus eines Robert
       Habeck, damit verträgt sich all dies natürlich gar nicht.
       
       28 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kanzlerkandidatur-von-Robert-Habeck/!6020573
   DIR [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/robert-habeck-und-die-gruenen-rein-in-die-merkel-luecke-a-7b478e49-f649-4260-a176-c074a9f7e728
   DIR [3] https://www.rollingstone.de/robert-habeck-bei-merkel-waren-feiner-spott-und-schneidender-witz-zu-hause-2768587/
   DIR [4] /Merz-gratuliert-Angela-Merkel/!6039132
   DIR [5] /Reaktionen-auf-Gruenen-Ruecktritt/!6039059
   DIR [6] https://www.tagesschau.de/inland/habeck-interview-ruecktritt-gruenen-chefs-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Winkelmann
       
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