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       # taz.de -- Wenn morgen Krieg wäre: Wie weit gehst du für Deutschland?
       
       > Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Regierung die
       > Bundeswehr verstärken. Aber sind junge Deutsche überhaupt bereit zu
       > kämpfen?
       
   IMG Bild: Ein Reservist bei einer Schießübung in Nienburg. Ingmar Björn Nolting hat 2022 der Bundeswehr eine Fotoserie gewidmet
       
       Die Bundeswehr braucht Personal – und ist angewiesen auf junge Menschen,
       die bereit sind, Wehrdienst zu leisten. Mit Beginn der „Zeitenwende“ hat
       die Bundesregierung angekündigt, das Militär wieder aufzustocken. Konkret
       will Verteidigungsminister Boris Pistorius die Armee bis 2031 von derzeit
       181.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten vergrößern. 2010, bei der
       Abschaffung der [1][Wehrpflicht], lag die Truppenstärke bei 250.000.
       
       Ab kommendem Jahr soll deshalb ein neues Wehrdienstmodell gelten: Alle
       18-Jährigen eines Jahrgangs – Männer und Frauen – erhalten einen Fragebogen
       der Bundeswehr. Darin sollen sie beantworten, ob sie sich einen Dienst bei
       den deutschen Streitkräften vorstellen können. [2][Für die jungen Männer
       soll eine Antwort verpflichtend sein, für die jungen Frauen nicht.]
       
       Ob so genug Freiwillige den Weg in die Truppe finden? Daran gibt es
       innerhalb der [3][Bundeswehr] Zweifel. Immerhin Generalinspekteur Carsten
       Breuer, Deutschlands ranghöchster Soldat, hat sich kürzlich hinter
       Pistorius’ Modell gestellt und in diesem Zuge gesagt: „Unabhängig davon
       möchte ich an die jungen Menschen in unserem Land appellieren, sich mit
       einer Frage auseinanderzusetzen: Bin ich bereit, Deutschland zu
       verteidigen?“ 
       
       Doch wie sehen die jungen Menschen das? Wir haben sechs von ihnen gefragt.
       
       ## Tillmann Clement, 30 Jahre, Wiesbaden, Theologe
       
       Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, bei der Bundeswehr zu arbeiten. Aus
       meiner Zeit bei der Evangelischen Militärseelsorge weiß ich, wie viele
       zivile Berufe es dort gibt. In einem solchen Job zu arbeiten, würde mich
       nicht abschrecken.
       
       Ich glaube allerdings nicht, dass ich geeignet bin, mich in einen
       Schützengraben zu legen. Allein schon wegen meines Heuschnupfens. Um eine
       Verteidigung zu organisieren, sind Befehlsketten enorm wichtig – die
       Fähigkeit, die eigene Autonomie zurückzustellen und sich im Zweifelsfall zu
       opfern. Ich bin aber ein sehr nachdenklicher Mensch. Wenn mir jemand
       befiehlt, als erster über eine Brücke zu rennen, würde ich erst mal darüber
       diskutieren, ob das die beste Entscheidung ist. In Krisensituationen würde
       ich wohl vor allem im Weg stehen.
       
       Ob ich bereit wäre, auch auf Menschen zu schießen? Da bin ich ambivalent.
       Einerseits habe ich den Anspruch an mich selbst, im Fall eines
       Angriffskriegs wehrhaft und widerständig zu sein. Die Art unseres
       Zusammenlebens – Meinungsfreiheit, die Möglichkeit zu wählen, unsere offene
       Gesellschaft – ist für mich schützenswert, im Zweifel auch mit
       Waffengewalt.
       
       Es gibt aus meiner Sicht jedoch keinen schuldfreien Krieg. Ein
       Verteidigungskrieg kann zwar moralisch gerechtfertigt sein. Ich denke
       aber, dass im Krieg Situationen entstehen, die es nur begrenzt zulassen,
       nach den eigenen Vorstellungen richtig zu handeln. In solchen Situationen
       lädt man dann viel Schuld auf sich. Ich stelle mir das sehr belastend vor.
       Im Extremfall wäre ich dennoch bereit, diese Schuld auf mich zu nehmen. Für
       die Ideale unserer Demokratie und für Menschen, die sich selbst nicht
       schützen können.
       
       Krieg bedeutet Zerstörung, Trennung, Verwundung und im schlimmsten Fall
       auch Tod. Krieg ist die größte Katastrophe menschlichen Zusammenlebens. Die
       Bilder aus der Ukraine haben mir die menschlichen Kosten eines Krieges
       nochmal besonders deutlich vor Augen geführt. Trotzdem bleibt es für mich
       eine abstrakte Vorstellung, wie ich mich in einer solchen Extremsituation
       verhalten würde. Wenn es tatsächlich zu einem Krieg in Deutschland kommt,
       beeinflussen sicherlich noch andere Faktoren meine Entscheidung, ob ich
       kämpfe oder gehe. Wie würde ich mich beispielsweise verhalten, wenn meine
       Ehefrau fliehen wollen würde?
       
       Sicherlich gäbe es für mich persönlich bessere Wege, mich an einem
       Verteidigungskrieg zu beteiligen als den Dienst an der Waffe. Gerade als
       Theologe könnte ich an anderer Stelle nützlich sein. Zum Beispiel im
       Lazarett im Gebet mit Verwundeten oder mit einem Gottesdienst den Alltag
       des Krieges durchbrechen.
       
       ## Sofie*, 25 Jahre, Hamburg, Studentin und Gruppenführerin in der
       Heimatschutzkompanie Hamburg
       
       Ja, ich bin bereit, mein Vaterland zu verteidigen. Schließlich habe ich
       einen Eid geleistet.
       
       Ich bin eine von denjenigen, die von der personalisierten militärgrünen
       Werbepostkarte gecatcht wurden, die die Bundeswehr an Jugendliche in
       Deutschland schickt. Zu dem Zeitpunkt wollte ich in die Entwicklungshilfe
       und hatte mich mit den Aufgaben der Blauhelmsoldaten beschäftigt. Mich hat
       die Herausforderung gereizt, mich auch mit der militärischen Seite
       auseinanderzusetzen. Also bin ich nach dem Abitur und einer Auszeit im
       Ausland zur Bundeswehr gegangen. Direkt nach dem freiwilligen Wehrdienst
       ging es für mich bei der Reserve weiter.
       
       Ich glaube, meine Reisen haben mich auf diesen Weg gebracht. Ich war immer
       beeindruckt von den Erlebnissen im Ausland – aber auch immer wieder
       dankbar, nach Deutschland zurückkommen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass
       Strom und sauberes Trinkwasser Selbstverständlichkeiten sind. Dass wir
       weniger Mauern und Zäune brauchen und keine Waffe dabeihaben müssen, wenn
       wir vor die Tür gehen. Ich bin dankbar, dass ich als Frau dieselben Rechte
       vor dem Gesetz habe. Deshalb finde ich, dass es eine ehrenvolle Aufgabe
       ist, Deutschland und unsere Grundwerte zu verteidigen.
       
       Als ich meinen Wehrdienst begonnen habe, hatten wir noch keinen Krieg in
       Europa. Leider muss man sich nun damit abfinden, dass es nach wie vor
       Nationen gibt, die bewaffnete Konflikte suchen, anstatt diplomatisch auf
       politischer Ebene zu verhandeln. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als
       uns auch Gedanken über Verteidigung zu machen.
       
       Im Ernstfall würde ich als Reservistin vor allem kritische Infrastruktur
       sichern und Nato-Partner auf dem Weg an die Front unterstützen. In der
       Heimatschutzkompanie üben wir, wie etwa Krankenhäuser zu sichern sind, wie
       man Checkpoints aufbaut, wie man Fahrzeuge kontrolliert und so weiter.
       Neben meinem Studium der Meeresbiologie bin ich dafür manchmal ein
       verlängertes Wochenende weg, manchmal die ganze Woche.
       
       Selten entstehen auch mal Diskussionen, wenn ich die Bundeswehr
       thematisiere. Als beispielsweise die 100 Milliarden Euro Sondervermögen
       ausgesprochen wurden, habe ich manch kontroverses Gespräch geführt. Doch
       wenn ich dann von meiner persönlichen Erfahrung erzähle, bekomme ich meist
       positives Feedback. Meine Freunde und Familie unterstützen mich komplett
       und sind eher beeindruckt, dass ich mein Studium an der Uni Hamburg und
       Reserve unter einen Hut bekomme.
       
       Dass ich keine Übung meiner Heimatschutzkompanie verpassen möchte, liegt
       vor allem an unserem starken Zusammenhalt. Ich schätze es sehr, dass in der
       Kompanie jeder mit seinen Stärken und Schwächen angenommen wird und wir
       Teil eines großen Ganzen sind. Auch wenn man privat vielleicht nicht beste
       Freunde wäre, bedeutet gelebte Kameradschaft, dass wir uns im Notfall immer
       aufeinander verlassen können. Das finde ich einzigartig in einer Zeit, in
       der es immer mehr um Selbstverwirklichung und -darstellung geht und die
       Gemeinschaft oft in den Hintergrund rückt.
       
       * Den Verzicht auf Sofies Nachnamen hat die Bundeswehr zur Bedingung dafür
       gemacht, dass sie der taz den Kontakt vermittelt hat. 
       
       ## Nele Anslinger, 34 Jahre, Göttingen, Bildungsreferentin für
       Friedenspädagogik
       
       Mein „Vaterland“ würde ich allein deswegen nicht verteidigen wollen, weil
       ich vom Konzept des Nationalstaats nicht überzeugt bin. Viele Probleme, die
       wir aktuell haben, nicht zuletzt die ständigen Diskussionen um Flucht und
       Migration, sind zum Teil Resultate dieses Konzepts. Erst auf Grundlage
       eines Nationalstaats ergibt es Sinn, sich nach außen abzugrenzen, nationale
       Interessen voranzubringen und Migration zu kriminalisieren.
       
       Ich verstehe, dass Menschen das Gebiet, auf dem sie leben, schützen und
       bewahren wollen. Auch ich habe Angst um meine Lieben. Mich stört jedoch,
       dass die verteidigungspolitische Debatte entweder mit verengtem Blick
       geführt wird – oder da, wo sie sich öffnet, rechtspopulistisch vereinnahmt
       wird. Ich glaube, dass sie so an vielen Leuten vorbeigeht, und finde es
       gefährlich, wenn diese Leute dann nur bei der AfD und dem BSW fündig
       werden. Deswegen wünsche ich mir Medien, die ihren Bildungs- und
       Informationsauftrag wirklich ernst nehmen und umfassender zu diesem Thema
       berichten als bisher.
       
       So fände ich es zum Beispiel gut, wenn mehr über die wissenschaftlichen
       Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung berichtet wird. Ich
       will in der Presse mehr lesen zu Zusammenhängen von Klimawandel, Militär
       und Umweltschutz, zu Gewalt, insbesondere an Frauen in kriegerischen
       Konflikten, zu mangelnder Stabilität demokratischer Regierungen in
       Post-Konflikt-Gebieten.
       
       Kriege verteidigen nicht die Demokratie, sie höhlen sie aus. Wahlen werden
       abgesagt, Kriegsrecht wird verhängt, das Menschenrecht auf
       Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Einmal militärisch in einen Krieg
       eingetreten, haben wir lange über Waffenstillstände und Friedensverträge
       hinaus mit den Folgen zu tun.
       
       Wenn wir anfangen, uns lokal und regional darüber auszutauschen, was und
       wer uns eigentlich bedroht, welche Betroffenen wir berücksichtigen müssen,
       wie wir uns vernetzen können und wer welche Kenntnisse mit einbringen kann,
       dann bin ich sofort dabei. Aber solche Netzwerke entstehen nicht über
       Nacht. Menschen müssen analog zu militärischer Verteidigung auch in
       gewaltfreien Widerstandsmethoden trainiert werden, denn auch diese sind
       nicht frei von Gefahren.
       
       Deswegen, und auch durch mein Elternsein, würde ich eher meine Sachen
       packen, statt zur Waffe zu greifen. Ich möchte meine Kinder schützen und
       ins Leben begleiten. Kinder großzuziehen ist keine rosige
       Bilderbuchharmonie, es ist harte körperliche, emotionale und geistige
       Arbeit. Da schickt man diese Kinder doch nicht bei der erstbesten
       Gelegenheit an die Front, einfach weil man sich nie ernsthaft mit konkreten
       Alternativen abseits von „Kämpfen oder Aufgeben“ befasst hat!
       
       ## Mara Richarz, 24 Jahre, Bonn, Studentin der Rechtswissenschaft
       
       Meine Verteidigungsbereitschaft hängt zumindest in der Theorie davon ab,
       wofür Deutschland im Moment des Krieges steht. Für mich sind vor allem
       unsere Werte verteidigungswürdig – Demokratie, Freiheit und
       Gleichberechtigung. Auf keinen Fall würde ich kopflos für ein Land in den
       Krieg ziehen, das meine Werte nicht oder nicht mehr teilt. Der deutschen
       Nation allein gegenüber empfinde ich keine Verpflichtung. Deshalb könnte
       ich mir auch vorstellen, im Kriegsfall für eine europäische Armee tätig zu
       sein. Hauptsache, es werden die richtigen Werte verteidigt.
       
       Ein ebenso wichtiger Grund, mich in der Verteidigung zu engagieren, sind
       meine Mitmenschen. Besonders nahe fühle ich mich der Gemeinschaft, in der
       ich aufgewachsen bin: den Menschen im Rheinland. Von einem solchen
       Gemeinschaftsgefühl lebt auch die Demokratie. Grundsätzlich sinkt meine
       Einsatzbereitschaft, je weiter das, was ich verteidigen soll, von mir
       entfernt ist. Damit ich in den Krieg ziehe, müsste er schon wirklich vor
       meiner Haustür stattfinden. Wenn zum Beispiel ein anderer Natostaat
       überfallen werden würde, würde ich eher versuchen, aus der Ferne zu
       unterstützen, als an die Front zu gehen.
       
       Ich denke, für die Front wäre ich absolut ungeeignet. Ganz vorne zu stehen
       und auf andere zu schießen, das würde überhaupt nicht zu mir passen. Mit
       Waffen kann ich generell wenig anfangen und weiß auch nicht, ob ich
       wirklich fähig wäre, eine einzusetzen. Im Verteidigungsfall sehe ich mich
       am ehesten im Bereich Logistik. Die Versorgung sicherzustellen oder
       Unterkünfte für Menschen zu organisieren – das wäre mein Ding. Ich würde
       auch versuchen, medizinisch zu helfen, selbst wenn mir dazu die Ausbildung
       fehlt.
       
       In einem militärischen System wie der Bundeswehr zurechtzukommen, würde mir
       schon sehr schwerfallen. Ich neige zu Diskussionen und hinterfrage alles.
       Wenn mir ein Befehl überhaupt nicht passt, könnte ich vielleicht gar nicht
       anders, als darüber zu diskutieren. Allerdings habe ich noch nie
       Erfahrungen beim Militär gesammelt. Vielleicht wäre ich gerade in der
       Kriegssituation sehr froh, einfach Ja und Amen sagen zu können und mich den
       Befehlen zu beugen.
       
       Im Allgemeinen bin ich immer für Abrüstung und dafür, die Zahl der Waffen
       möglichst gering zu halten. Durch den Krieg gegen die Ukraine hat sich
       meine Haltung in dieser Frage jedoch ein Stück weit verändert. Wenn ein
       anderer Staat den Krieg beginnt, funktioniert Abrüstung in der Praxis eben
       nicht. Deshalb finde ich mittlerweile, dass Deutschland
       verteidigungsfähiger werden muss. In dieser Frage herrscht auch in meinem
       Freundeskreis eine große Einigkeit.
       
       Ich würde gerne von mir denken, dass ich natürlich Deutschland verteidigen
       würde, um unsere Demokratie zu schützen. Ob ich im Ernstfall aber mutig und
       selbstlos genug dafür wäre, weiß ich nicht. Zumindest versuchen, irgendwie
       zu helfen, würde ich auf jeden Fall. Sollte aber ein Krieg geführt werden,
       mit dem ich absolut nicht einverstanden bin, verlasse ich lieber das Land.
       Auch wenn ich Kinder hätte, würde ich fliehen, ganz sicher! Ich sähe es als
       meine Pflicht an, für ihre Sicherheit zu sorgen und möglichst jedes Risiko
       zu vermeiden.
       
       ## Sem Swinke, 27 Jahre, Heiligkreuzsteinbach in Hessen,
       Schwimmbadfachmonteur
       
       Ich würde Deutschland in einem Kriegsfall nicht verteidigen. Aber das war
       nicht immer so. Schon in meiner Kindheit wollte ich zur Bundeswehr,
       irgendwas mit Waffen machen. Die Vorstellung, das Land zu verteidigen, gar
       in einem Sonderkommando wie dem KSK zu dienen, fand ich aufregend. Über den
       politischen Hintergrund und die Sinnhaftigkeit dahinter habe ich mir keine
       Gedanken gemacht. Also bin ich später zur Bundeswehr gegangen, habe mich
       für zwei Jahre als Soldat und drei weitere Jahre als Reservist
       verpflichtet.
       
       Regelmäßig gab es Übungen mit anderen Natostaaten. Es wurde immer vom
       Ernstfall ausgegangen, es wurden Szenarien möglichst realitätsnah
       nachgestellt. Das Augenmerk lag dabei auf Action. Uns jungen Männern hat es
       Spaß gemacht, zu schießen, im Dunkeln mit Nachtsichtgeräten rauszugehen,
       das war alles geil. Ich war da in so einem Film drin, das habe ich richtig
       gemerkt. Aber die Fragen, warum wir da jetzt mit dem Panzer durch die Heide
       fahren und was das im Realfall bedeuten würde, die wurden mit der Zeit für
       mich immer drängender.
       
       Ein Aha-Moment war für mich, als eine Einheit aus unserer Kompanie von
       ihrem Afghanistaneinsatz zurückkam. Man merkte ihnen an, dass die Gefechte
       dort kein Spaß und auch keine Übung mehr waren. Dazu kamen die Folgen des
       Abzugs. Die Brunnen und Mädchenschulen, deren Bau die Bundeswehr beschützt
       hat, gibt es heute nicht mehr. Kein Mädchen hat mehr die Möglichkeit, die
       Schule zu besuchen. Dafür sind Dutzende Soldaten gestorben? Die Soldaten
       der Bundeswehr, das sind viele junge Männer und Frauen mit Familien. Jeder
       tote, verletzte oder traumatisierte Soldat bedeutet ein individuelles
       Schicksal. Darüber wird wenig gesprochen.
       
       Bereut habe ich die Zeit bei der Bundeswehr trotzdem nicht. Der
       Zusammenhalt unter Kameraden, das war schon echt schön.
       
       Meine Erfahrungen bei der Bundeswehr haben bestimmt auch meinen Blick auf
       den Ukrainekrieg geprägt. Ich sehe dort ein bloßes Abschlachten von
       Menschenleben. Die Leute, die den Krieg angefangen haben, werden ihn sicher
       überleben, denn sie sind in Sicherheit. Aber die Soldaten beider Seiten und
       die Zivilisten sterben, Familien werden zerrissen. Einen bewaffneten Krieg
       zu führen, erscheint mir so sinnlos, selbst im Verteidigungsfall.
       
       Ich würde das Land also nicht verteidigen. Auch, weil ich keine
       Verantwortung als Deutscher, als Bürger oder als ehemaliger Soldat spüre.
       Im besten Fall würde ich einen Angriff voraussehen können und mit meiner
       Familie auswandern. Aus meiner Sicht gibt es kein Gut und Böse – das ist
       der Feind, der kommt zu uns, und wir sind die Guten und verteidigen uns. In
       einem Krieg gibt es so viele Interessen, etwa Politiker, die nicht meine
       Meinung vertreten, mich aber dazu zwingen wollen, mein Leben aufs Spiel
       setzen. Es ist so dumm in der Zeit, in der wir so weit entwickelt sind,
       noch immer mit Waffen unsere Interessen zu verteidigen.
       
       Eine einzige Ausnahme gibt es, in der ich vielleicht doch zur Waffe greifen
       würde: Wenn meine Familie irgendwo im Haus säße und der Feind käme. Und
       andererseits denke ich: Was hat meine Familie davon, wenn ich dann tot bin?
       Sie können dann stolz sein auf meine heroische Leistung, aber tot bin ich
       dennoch.
       
       ## David Scheuing, 35 Jahre, Wendland, Geograf, Friedensaktivist und
       Redakteur
       
       Meine Einstellung hat sich nicht geändert: Ich würde das Land nicht mit der
       Waffe verteidigen. Meine Haltung ist grundlegend pazifistisch, ich
       engagiere mich antimilitaristisch, der Dienst an der Waffe ist keine Option
       und nicht vereinbar mit meinem friedenspolitischen Verständnis.
       
       Ich nehme wahr, dass es normaler geworden ist, unkritisch über Krieg,
       Militär und Rüstung zu sprechen. Auch haben wir meinem Eindruck nach
       aufgehört, uns als Gesellschaft kritisch mit der Bundeswehr
       auseinanderzusetzen. Und es wird aktuell viel daran gesetzt, die Bundeswehr
       wieder attraktiver zu machen.
       
       Das Wort der Stunde dafür ist „Kriegstüchtigkeit“. Das ist schon so ein
       pervers gut gewähltes Wort! Es erinnert die Bevölkerung an „deutsche
       Tugenden“, das klingt in den Ohren vieler Menschen wohl direkt gut, sie
       denken gar nicht weiter darüber nach. Wer tüchtig ist, kann ja nicht falsch
       liegen. Aber was hier mit Tüchtigkeit verbunden ist, das treibt uns immer
       weiter in eine militaristische Gesellschaft. Eine, in der alle Fragen von
       Gemeinschaft, Miteinander und Sicherheit von einem militärischen
       Verteidigungsgedanken aus beantwortet werden. Das ist enorm unfrei.
       
       Das zeigt sich mit Blick auf die Bundeswehr für mich auf zwei Weisen:
       Einerseits in der Verknüpfung der Freiheit mit der moralischen Pflicht, für
       sie zu kämpfen. Dazu passt das starke Bestreben derzeit, die Wehrpflicht
       zurückholen zu wollen. Die unfreieste Form einer Betätigung, ein
       Zwangsdienst, soll der Verteidigung der Freiheit dienen.
       
       Ich finde, eine freie Gesellschaft sollte über andere Wege sprechen,
       Freiheit, Menschenrechte, Gemeinsinn und soziale Institutionen zu schützen
       und zu erhalten – ohne den Griff zur Waffe. Es wurden bereits gewaltfreie,
       zivile Alternativen erprobt, wie der Ansatz unbewaffneten Schutzes der
       Zivilbevölkerung, verkörpert beispielsweise durch die NGO Nonviolent
       Peaceforce, durch die Revolutionären Nachbarschaftskommittees im Sudan, die
       auch in Zeiten des Krieges Zivilschutz und Hilfsstrukturen
       aufrechterhalten, oder auch durch die kolumbianischen Guardias, die mit
       gewaltfreien Mitteln ihre Lebensweisen gegen die allgegenwärtige Gewalt
       verteidigen. Methoden der Sozialen Verteidigung und des gewaltfreien
       Widerstands wie Nichtkooperation, Streiks oder klandestine Vernetzung
       sollten wir wieder verstärkt diskutieren und Menschenrechtsschutz, ziviler
       Krisenprävention und Konfliktbearbeitung Priorität einräumen.
       
       Zum Zweiten wird unsere Freiheit mit der militärischen Absicherung des
       Territoriums verknüpft. Für die Verteidigung des eigenen Landes, so heißt
       es, brauche es dann Waffen mit Abschreckungspotenzial. Sollten wir nicht
       den Schutz von Menschen und ihrem Lebensrecht vor die Verteidigung eines
       Territoriums stellen? Als Geograf frage ich mich dabei, inwiefern
       territoriales Denken unsere soziale Verantwortung untereinander und
       füreinander einschränkt.
       
       Als Pazifist empfinde es daher als unsere Aufgabe zu diskutieren, wie man
       ein gewaltfreies politisches System und die Verteidigung sozialer
       Institutionen anders denken kann als in einem kriegerischen System mit
       Grenzen. Kurzum: Der Verteidigungsbegriff darf nicht dem Militär überlassen
       werden.
       
       30 Sep 2024
       
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