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       # taz.de -- Söders Stegreifpopulismus: Kommissar Ex kläfft nur
       
       > Unser Bildungssystem ist spitze, meint man in der Bayerischen
       > Staatskanzlei. Und so kämpft Söder gegen die Abschaffung unangekündigter
       > Tests in Schulen.
       
   IMG Bild: Markus Söder tut interessiert im Münchner Wittelsbacher Gymansium am 6. Juni 24
       
       Für die Inhaber eines Berliner oder nordrhein-westfälischen Abiturs, die
       sich bei der Erwähnung der Ex an alles Mögliche, aber nicht ihre Schulzeit
       erinnert fühlen, muss man vielleicht noch mal etwas weiter ausholen, um zu
       erklären, was da gerade in Bayern vor sich geht. Eine Ex, das ist die
       Kurzform für das Extemporale (man beachte den Wechsel des Genus). Und das
       wiederum ist zu Deutsch eine Stegreifaufgabe und meint einen
       unangekündigten schriftlichen Test, der den Inhalt von bis zu zwei
       vorangegangenen Schulstunden abfragt. Im eher bürokratisch angehauchten
       Schuldeutsch gehört er zu den – horribile dictu – kleinen
       Leistungsnachweisen.
       
       Keine große Sache also. Möchte man meinen. Hierzulande jedoch gibt es darum
       gerade ein Getöse, als ginge es um was wirklich Wichtiges, so etwas wie
       Biergartenöffnungszeiten. Angefangen hatte es mit der Onlinepetition einer
       Münchner Schülerin, die gefordert hatte, die Exen hierzulande – so wie in
       den meisten anderen Bundesländern – abzuschaffen. Die Kultusministerin,
       eine Freie Wählerin namens [1][Anna Stolz], schien zunächst ein offenes Ohr
       für das Anliegen zu haben und kündigte eine Debatte darüber an.
       
       Doch eine Frage solcher Tragweite geht im Verständnis des bayerischen
       Ministerpräsidenten Markus Söder freilich weit über die Kompetenzen einer
       Ministerin hinaus. Ex ist top, findet nämlich der und erhob das Thema
       umgehend zur Chefsache:
       
       [2][„Die Exen bleiben natürlich“,] stellte er klar. Ein unangekündigtes
       Machtwort des Ministerpräsidenten, das für seine Kultusministerin ähnlich
       motivierend gewirkt haben mag wie für eine Fünftklässlerin ein
       unangekündigter Leistungsnachweis.
       
       ## Franz Josef Strauß nicht verstanden
       
       Nun muss man wissen – und so mancher Norddeutsche hat es im Gespräch mit
       bayerischen Zeitgenossen schon leidvoll erfahren dürfen –, dass der gemeine
       Bayer [3][sehr stolz auf sein Bildungswesen] ist. Mit Sätzen wie „Wir
       wollen kein bayerisches Abi auf Bremer Niveau!“ lässt sich’s hier noch
       immer punkten, weshalb sie Markus Söder immer wieder gern raushaut.
       
       Steckt doch in jedem von uns Bayern ein kleiner Franz Josef Strauß (und in
       Markus Söder seiner Selbstwahrnehmung zufolge sogar ein ganz großer).
       Strauß, der Metzgerbub aus der Münchner Maxvorstadt, ließ besonders gern
       seine humanistische Bildung aufblitzen, indem er diesen oder jenen
       lateinischen Satz zitierte, besonders gerne diesen: „Extra Bavariam non est
       vita et si est vita non est ita“, was, liebe Bremer, ungefähr so viel heißt
       wie: „Außerhalb von Bayern gibt’s kein Leben, und wenn doch, verdient es
       den Namen nicht.“ Gibt’s inzwischen auch auf T-Shirts gedruckt. Sicher, man
       könnte schon dieses und jenes abwägen, sich über die Pros und Contras der
       Ex Gedanken machen. In der Tat suchen nun auch Menschen, die sich zwar im
       Bildungswesen gut, im Politikbetrieb aber wohl nicht ganz so gut auskennen,
       eine sachliche Diskussion und kritisieren Söder – etwa in einem [4][offenen
       Brief von 40 Verbänden] – scharf, sprechen von einem völlig überholten
       Leistungsverständnis.
       
       Wissenschaftlich sei erwiesen, dass Exen keinen höheren Lernerfolg
       brächten, so etwa die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und
       Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann. Und wenn nun Söder
       basisdemokratische Bemühungen von Schülern schon im Ansatz mit einem
       Machtwort auszuhebeln versuche, „dann können wir uns auch die ganze
       Demokratiebildung an unseren Schulen sparen“.
       
       Über all dies ließe sich diskutieren, auch über das Argument, Schüler
       müssten befähigt werden, spontan und adäquat auf herausfordernde
       Situationen zu reagieren, das sich die Kultusministerin nach dem lauten
       Gebell ihres Chefs, des selbsternannten Kommissars Ex, schnell
       zurechtlegte. Doch wer das tut, begeht einen Denkfehler. Sie oder er nimmt
       an, beim Söder’schen Machtwort gehe es um Schulpolitik, gar um die Frage,
       was das Beste für Bayerns Schüler sei.
       
       ## Gegen gendernde Veganer geht immer
       
       Wer den Machtpolitiker Söder lang genug beobachtet, braucht aber nicht viel
       Willen zur bösen Unterstellung, um ihm zu attestieren, dass es ihm bei
       solchen Inszenierungen auf politischen Nebenschauplätzen nicht um die Sache
       geht – sei es nun ein Kreuzerlass oder ein Feldzug gegen gendernde Veganer.
       
       Was zählt, ist hier der vermutete Beifall der eigenen Wählerklientel.
       Populismus nennt man das, kommt von lateinisch populus (einfachste
       o-Deklination, hier kriegt selbst der Bremer noch den Ablativ hin). Es ist
       genau das, wovor Strauß warnte: dem Volk nicht nur aufs Maul schauen,
       sondern nach dem Mund reden.
       
       In Wirklichkeit ist es ja ohnehin längst so: Ob an einer Schule in Bayern
       Exen geschrieben werden oder nicht, darüber entscheidet aktuell weder
       Kultusministerin noch Ministerpräsident. Die Schulen dürfen selbst
       entscheiden. Und oft überlassen sie diese Entscheidung den einzelnen
       Lehrkräften und diese richten sich manchmal sogar nach den Wünschen der
       Schülerinnen und Schüler.
       
       Ach ja, die Schüler, die gab’s ja auch noch.
       
       Und sie könnten nun angesichts Söders plötzlichen Interesses am
       Prüfungswesen befürchten, künftig auch noch unter der persönlichen
       Beobachtung des Ministerpräsidenten zu stehen. Nein, liebe Schüler, seid
       völlig unbesorgt: Für euch interessiert sich der Ministerpräsident nicht.
       
       29 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rettet-die-Lyrik/!5996483
   DIR [2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-stellt-klar-exen-an-schulen-bleiben,UOjn2Xs
   DIR [3] /Aenderung-des-Ferienbeginns-in-Bayern/!5641065
   DIR [4] https://www.news4teachers.de/2024/09/40-verbaende-soeder-untergraebt-diskurs-zur-verbesserung-des-bildungssystems/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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