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       # taz.de -- Tod des Kreml-Kritikers Nawalny: Gift statt Herzversagen
       
       > Im Fall des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny sind neue Dokumente
       > aufgetaucht. Diese lesen sich ganz anders, als die offizielle Version.
       
   IMG Bild: Julia Nawalnaja bei einem Gottesdienst für ihren verstorbenen Ehemann Alexei am 4. Juni 2024 in der St. Marienkirche in Berlin
       
       Moskau taz | „Herzversagen nach einem Kreislaufkollaps“, hatten die
       Behörden auf den Totenschein geschrieben. Die Leiche des russischen
       Oppositionspolitikers Alexei Nawalny hielten sie tagelang zurück. [1][Es
       war Nawalnys Mutter, Ljudmila Nawalnaja, die auch nach dem Tod ihres Sohnes
       wie eine Löwin für den Sohn kämpfte und bürokratische Gefechte mit den
       Behörden austrug], bis die Familie ihn am 1. März dieses Jahres beerdigen
       konnte. Der Totenschein hatte bereits damals Kopfschütteln ausgelöst. Einer
       wie Nawalny könne nicht einfach so umfallen und sterben, sagten nicht nur
       seine Anhänger*innen.
       
       Am 16. Februar 2024 war der Kreml-Kritiker in der Strafkolonie „Polarwolf“
       im Dörfchen Charp hinter dem Polarkreis zusammengebrochen. „Alexei Nawalny
       ist in der Strafkolonie gestorben“, lauteten die Eilmeldungen. Ermordet
       worden sei er, betonten seine Anhänger*innen, Weggefährten, Hinterbliebene.
       Ob nun direkt oder indirekt getötet, denn allein die Haftbedingungen in
       einem der härtesten Lager des Landes waren auf die Vernichtung der Person
       Nawalny ausgelegt.
       
       Er aber trat auch noch einen Tag vor seinem Ableben per Videoschalte in
       einem Gerichtsprozess auf und führte die Staatsführung und die Justiz vor.
       [2][Und dann soll einfach sein Kreislauf nicht mehr mitgespielt haben? Ein
       Blutgerinnsel zum Tod geführt haben, wie Russlands Propagandist*innen
       fast schon genüsslich verbreiteten?]
       
       An dieser Version hatte es von Anfang an Zweifel gegeben, zumal Nawalnys
       Witwe Julia, längst nicht mehr in Russland, angab, ihr Mann habe in den
       letzten Minuten seines Lebens über starke Bauchschmerzen geklagt.
       
       ## Erbrechen und Krämpfe
       
       Auf diese Bauchschmerzen weisen aufgetauchte offizielle Dokumente hin, an
       die das exilrussische Rechercheportal The Insider gelangt ist. Es sind
       offenbar hunderte Seiten aus den Ermittlungsakten zum Tod Nawalnys. In
       einer Version steht da, Nawalny habe bei einem Hofgang über starkes
       Bauchweh geklagt, sei dann in seine Zelle zurückgeführt worden, habe sich
       auf den Boden gelegt, erbrochen und Krämpfe bekommen. Die
       Wiederbelebungsversuche in der Sanitätsabteilung seien erfolglos gewesen.
       
       Vom Erbrochenen und Essen seien Proben genommen worden. Unterschrieben sind
       die Dokumente vom Ermittlungsbeamten Alexander Warapajew. Wie auch die
       Dokumente, die dieser später der Familie überreichte, nun mit der
       offiziellen Version, in der sich weder Erbrechen noch Krämpfe finden.
       
       Nach Ausführungen des Arztes Alexander Polupan, der 2020 zum russischen
       Ärzteteam gehörte, das Nawalny nach seiner Vergiftung mit Nowitschok in
       Omsk untersuchte, sprechen die Symptome in der Strafkolonie von Charp für
       eine weitere Vergiftung Nawalnys. Offenbar aus der Kategorie der
       organischen Phosphorverbindungen, zu der auch Nowitschok gehört, wie
       Polupan The Insider mitteilte.
       
       Alle Ausführungen über die letzten Lebensminuten Nawalnys und die
       entnommenen Proben seien aus späteren Dokumenten verschwunden, schreibt The
       Insider. Warapajew, der sich tagelang weigerte, Nawalnys Leiche
       herauszugeben, hatte Julia Nawalnaja in diesem Sommer mitgeteilt, dass
       keine Hinweise auf Gewalteinwirkungen vorlägen.
       
       Für die Behörden war der Fall Nawalny damit abgeschlossen. Für sie stand
       fest, dass der 47-Jährige nach einem Bluthochdruckschub an
       Herzrhythmusstörungen gestorben sei. Viele chronische Erkrankungen hätten
       dazu geführt. Julia Nawalnaja hatte diese Erklärungen zurückgewiesen, da
       bei ihrem Mann all die aufgeführten Krankheiten nie diagnostiziert worden
       seien. Nun will The Insider weiter recherchieren und die an dem Tod
       Beteiligten ausfindig machen.
       
       4 Oct 2024
       
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