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       # taz.de -- Söder und die K-Frage: Bitte, bitte, sagt doch Bitte!
       
       > 29 bis 41 Prozent der Deutschen glauben, dass Markus Söder ein guter
       > Kanzler wäre, am meisten er selbst. Und was, wenn er es tatsächlich
       > würde?
       
   IMG Bild: Ist von sich überzeugt: Markus Söder beim Gillamoos-Volksfest in Abensberg am 2. September 2024
       
       München taz | Es ist der 2. Mai 2023, da sitzt dieser glattrasierte
       Mittfünfziger bei Markus Lanz und spricht über den nächsten
       Kanzlerkandidaten der Union. Und zumindest eines scheint für ihn klar zu
       sein: Wer auch immer es werden mag – er wird es auf keinen Fall sein.
       [1][Markus Söder heißt der Mann] und behauptet: „Für mich ist die Sache
       erledigt.“ Er habe einmal ein Angebot gemacht, dann hätten sich aber
       Mehrheiten anders ergeben, was er zu respektieren habe. Und: „Meine
       Lebensaufgabe ist Bayern.“
       
       Moderator Lanz hakt in der ihm eigenen Art nach und will wissen: Wenn aber
       nun noch einmal ein Angebot komme, würde Söder es ablehnen? „Mal abgesehen
       davon, dass es nicht kommt“, lautet die Antwort, „ich steh da ned zur
       Verfügung.“ Lanz ist baff, das sei ein klares Wort. Aber auch logisch,
       meint Söder, spricht noch über die Geschichte, in der es für CSU-Politiker
       maximal einmal eine Möglichkeit gebe, Kanzlerkandidat zu werden, und
       darüber, dass Bayern groß genug sei und es in der CDU genügend
       hervorragende mögliche Kandidaten gebe. „Allen voran [2][Friedrich Merz.“]
       
       Die Zweifel, wie ernst Söders Absage zu nehmen sei, waren schon damals
       groß. Schließlich waren auch seiner ersten Bewerbung um die Kandidatur 2021
       Monate vorausgegangen, in denen er keine Gelegenheit ausließ, darauf
       hinzuweisen, dass sein Platz in Bayern sei. So wunderte sich auch diesmal
       kaum jemand, als die Äußerungen ein Jahr später in einer Schublade mit der
       Aufschrift „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an“ verschwanden.
       
       Inzwischen klingt Söder völlig anders – als hätte er, mittlerweile stolzer
       Träger eines Bartes, von dem wir dank seiner nun auch wissen, dass es sich
       um einen „Henriquatre“ handelt, nichts mit diesem Namensvetter bei Lanz zu
       tun. Schon seit Monaten verheimlicht der CSU-Chef nicht mehr, wie sehr es
       ihn ins Kanzleramt zieht. Aus anfänglichen Andeutungen wurde zuletzt eine
       [3][massive Werbetour in eigener Sache.]
       
       ## „Kein Platz für Egos“
       
       Beim [4][Politischen Gillamoos] in Abensberg, sagt er Anfang September:
       „Für mich ist Ministerpräsident das schönste Amt. Aber ich würde mich nicht
       drücken, Verantwortung für unser Land zu übernehmen.“ In Interviews setzt
       er in den darauffolgenden Tagen noch nach, im „Heute-Journal“, im Spiegel.
       Merz und er würden gemeinsam entscheiden, wer Kandidat werde, sagt er. „Das
       könnte auch ich sein.“ Aber es sei jetzt „kein Platz für Eitelkeiten oder
       für Egos“. Selbstverständlich weiß Söder, wie amüsant sich ein solcher Satz
       aus seinem Munde anhört. Gemeint sind wohl nur die Eitelkeiten und Egos auf
       CDU-Seite, für die kein Platz ist.
       
       Klar, es wollten auch schon andere Kanzler werden in Deutschland. Und nicht
       alle machten einen Hehl aus ihren Ambitionen. Gerhard Schröder soll
       bekanntlich als junger Abgeordneter nach einem Kneipenabend am Tor des
       Kanzleramts in Bonn gerüttelt und gerufen haben: „Ich will da rein.“ Doch
       niemand brachte sich bislang vor einer Kandidatenkür so penetrant selbst
       ins Spiel wie Markus Söder.
       
       Selbst seine eigenen Leute scheinen von Söders plötzlicher Vehemenz
       überrollt worden zu sein. Keiner, der sich bis jetzt eindeutig positioniert
       hätte. Es sei unbestritten, dass Söder Kanzler könne, ließ
       CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek im August einmal verlauten. Und
       CSU-Wissenschaftsminister Markus Blume, ehemals Generalsekretär, sagt der
       Süddeutschen Zeitung, für ihn sei die K-Frage noch offen. Das war’s dann
       aber auch schon.
       
       Einen CSU-Kandidaten könne es nur geben, sagt Markus Söder, wenn die CDU
       ihn bitte. Sein Appell an die Schwesterpartei ist folglich unüberhörbar:
       Seid vernünftig und bittet mich! Ein Appell, dem indes niemand so recht
       folgen will. Stattdessen sprach Sachsens Ministerpräsident Michael
       Kretschmer jüngst bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt vom künftigen
       Bundeskanzler Merz. Und Hendrik Wüst korrigierte Söder in der Frankfurter
       Allgemeinen Zeitung, als dieser mal wieder über Armin Laschet als den
       schlicht falschen Kandidaten herzog: „Armin Laschet hätte Deutschland als
       Kanzler gut gedient und gutgetan“, sagte der nordrhein-westfälische
       Ministerpräsident.
       
       So ist Söders Befürchtung, die CDU könnte von allein vielleicht gar nicht
       auf die aus seiner Sicht naheliegendste Lösung der K-Frage kommen, nicht
       von der Hand zu weisen. Bis jetzt fühlte sich dort jedenfalls noch niemand
       bemüßigt, „Bitte“ zu sagen. Wieso auch sollte die CDU die Spitzenkandidatur
       an die kleine Schwester abgeben? Wieso ausgerechnet jetzt?
       
       ## Ja, ginge es um alles oder nichts …
       
       Dafür dürfte nicht nur der allem Anschein nach [5][recht kanzlerwillige
       Parteichef Merz] keinen rechten Anlass sehen. Auch Christdemokraten mit
       weniger eigennützigen Motiven dürften Söders Ansinnen skeptisch gegenüber
       stehen. Dass CDU-Granden zu Söder überliefen, dafür bräuchte es einen
       triftigen Grund – etwa dass sie ihrem eigenen Chef die Gefolgschaft wegen
       politischer Diskrepanzen aufkündigten. Doch inhaltliche Unterschiede
       zwischen Söder und Merz sind derzeit mit bloßem Auge kaum auszumachen.
       
       Am schwersten dürfte hier noch die Frage wiegen, ob die Union eine
       Koalition mit den Grünen schon vorab kategorisch ausschließen sollte, wie
       Söder fordert. Aber gerade in dieser Frage wird er schwerlich eine
       Anti-Merz-Front bilden können. Schließlich sitzen CDU-Ministerpräsidenten
       wie Hendrik Wüst und Daniel Günther bereits mit den Grünen im
       Regierungsboot – und das allem Anschein nach gar nicht so ungern.
       
       Ein anderer Grund, aus dem der CDU-Chef Merz Söder den Vortritt lassen
       könnte, wäre eine Konstellation, in der er sich aktuell wenig Siegeschancen
       ausrechnet und auf eine bessere Chance nach einer weiteren Legislatur
       setzt. Das Modell Wolfratshausen also. Hier trug Angela Merkel beim
       Frühstück im Januar 2002 Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur an. Keine
       vier Jahre später wurde sie Kanzlerin und blieb es für 16 Jahre. Derzeit
       jedoch ist die Situation eine völlig andere. Die Chancen der Union, den
       nächsten Kanzler zu stellen, stehen gut. Abgesehen davon wäre Friedrich
       Merz bei einem theoretischen Amtsantritt nach weiteren vier Jahren schon 74
       Jahre alt.
       
       Bliebe schließlich ein drittes Motiv, auf die eigene Kandidatur zu
       verzichten: die Existenzfrage. Ginge es um alles oder nichts, wäre zu
       vermuten, dass die Wahl mit Söder zu gewinnen wäre, mit Merz aber verloren
       ginge, brächte das sicherlich so manche in der CDU ins Grübeln. Auch davon
       kann keine Rede sein.
       
       Was Söder als Pfund mit in die Diskussion bringt, womit er seinen einsamen
       Vorwahlkampf bestreitet, sind daher lediglich seine Umfragewerte. Die
       sprechen zwar eine starke Sprache – laut ARD-„Deutschlandtrend“ halten 41
       Prozent der Deutschen Söder für einen guten Kanzlerkandidaten, Merz nur 23;
       im ZDF-„Politbarometer“ liegt Söder immerhin noch sechs Prozentpunkte vor
       dem CDU-Chef – dürften aus CDU-Sicht aber wohl kaum einen Schwenk zu Söder
       rechtfertigen. Mag der eine am Ende auch ein, zwei Prozentpunkte mehr als
       der andere holen können, dürfte für die Christdemokraten die
       entscheidendere Frage sein, mit welchem Kanzler man am Ende leben müsste.
       
       ## Warum spielt er dieses Spiel?
       
       Dazu kommt, dass die Umfragen keine Auskunft über die entscheidende Frage
       geben, wie viele Wähler der Union mit einem Kanzlerkandidaten Merz die
       Stimme geben würden, wie viele mit Söder. Man darf vermuten, dass der
       Abstand hier deutlich geringer ausfallen würde.
       
       All dessen dürfte sich ein gewiefter Politiker wie Söder freilich bewusst
       sein. Warum spielt er also dennoch dieses Spiel? Warum riskiert er, sich
       später wieder vorhalten lassen zu müssen, er habe Merz im Wahlkampf Knüppel
       zwischen die Beine geworfen wie einst seinem Rivalen Laschet. Rechnet er
       sich tatsächlich Chancen aus? Will er sich nur hinterher nicht sagen
       müssen, er hätte nicht alles versucht? Hofft er auf einen freiwilligen
       Verzicht von Merz oder will er sich für den Fall, dass dieser aus nicht
       vorhersehbaren Gründen als Kandidat ausfallen sollte, rechtzeitig ins Spiel
       gebracht haben? Oder ist es pure Taktik: Will Söder eigentlich andere
       Zugeständnisse von der CDU und sorgt nun dafür, dass der eigene Rückzug als
       Verhandlungsmasse in der Waagschale besonders schwer wiegt?
       
       Fragen über Fragen. Es gibt noch eine ganz andere, die bei den
       Gedankenspielen über die Kandidatenkür oft untergeht: Was wäre eigentlich,
       wenn Söder am Ende tatsächlich Kandidat und dann auch Kanzler würde? Könnte
       Söder in der neuen Funktion reüssieren? Trotz magerer Wahlergebnisse bei
       den Landtagswahlen, ist der 57-Jährige als Ministerpräsident
       vergleichsweise erfolgsverwöhnt, regiert Bayern weitgehend unangefochten.
       Seine Partei folgt ihm geschlossen, der Koalitionspartner ist lästig, aber
       pflegeleicht. Doch funktioniert das System Söder auch in Berlin?
       
       Das Amt brächte viele Gefahren für den Franken mit sich, die er aus einem
       jetzigen Job nicht kennt. So fremdelt Söder stark mit der Bundeshauptstadt,
       die stets zur Schau getragene Abneigung gegen Berlin ist echt. Und anders
       als in Bayern, wo Söder seinen Weg in die Staatskanzlei über Jahre durch
       intensives Netzwerken vorbereitet hat, hat der CSU-Chef in Berlin keinerlei
       Machtbasis.
       
       ## Die Zeit des Durchregierens wäre vorbei
       
       Mit der Unionsfraktion hätte er im Bundestag eine wesentlich streitbarere
       Truppe hinter sich als mit der braven CSU-Fraktion im bayerischen Landtag.
       Die CDU, die erstmals in der Regierung wäre, ohne den Kanzler zu stellen,
       müsste mit dieser neuen Situation zurechtkommen und wäre wohl zunächst vor
       allem darauf bedacht, sich selbst zu profilieren – im Zweifel auch auf
       Kosten des Kanzlers.
       
       Im Kabinett würde Söders eigene Partei denn wohl auch nur ein, zwei
       Minister stellen. Zudem müsste er sich dort zusätzlich mit einem,
       vielleicht auch zwei Koalitionspartnern herumschlagen, die politisch um
       einiges weiter von der CSU-Linie entfernt wären als die Freien Wähler. Die
       Zeit des Durchregierens wäre vorbei, stattdessen bestünde das Tagesgeschäft
       aus Kompromisssuche und enervierenden Koalitionsrunden.
       
       Das internationale Parkett, auf dem sich Söder nun bewegen müsste, ist ihm
       ebenfalls fremd – auch wenn er seit seiner letzten Wiederwahl immer mal
       wieder auf Auslandsreise geht, was er zuvor eher vermieden hatte.
       
       Nicht auszuschließen, dass sogar in München so manche Karten neu gemischt
       würden. Dass die Nachfolgerin – oder eventuell auch der Nachfolger – in der
       Staatskanzlei sich auf eine reine Statthalterfunktion reduzieren ließe, ist
       nicht gesagt. Auch die Fraktion könnte plötzlich neues Selbstbewusstsein
       schöpfen, eigene Wege gehen. Gewiss würde Parteichef Söder auch aus Berlin
       versuchen, die Zügel möglichst straff zu halten. Franz Josef Strauß gelang
       dies schließlich während seiner Bonner Zeit recht gut. Theo Waigel, um das
       andere Beispiel aus der CSU-Geschichte anzuführen, war damit nicht ganz so
       erfolgreich.
       
       Den Beweis, ob in ihm nun mehr Strauß oder mehr Waigel steckt, wird Söder
       vielleicht nicht antreten dürfen. Selbst in der CSU-Führung glaubt man dem
       Vernehmen nach bei der K-Frage nicht an eine reelle Chance des eigenen
       Chefs. Und manche in der Partei dürfte das sogar freuen. Martin Neumeyer
       zum Beispiel.
       
       Nach Söders Rede beim Gillamoos trat der örtliche Landrat und Gastgeber der
       CSU-Veranstaltung noch mal kurz ans Rednerpult: „Wir meng di scho in Bayern
       ham“, sagte er zu Söder. „So is fei des ned. Ned doss du moanst, du muasst
       unbedingt gehn. War scho sche, wennsd dableim dodsd.“ Was übersetzt so viel
       heißt wie: „Bleib lieber da!“ Berlin sei zwar schön, aber München sei noch
       schöner. Söder tat kurz irritiert und fragte dann lediglich: „Hast jetzt
       des mi’m Merz abg’sprochen oder was?“
       
       16 Sep 2024
       
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