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       # taz.de -- Hamburger Kunstprojekt „Boxing the City“: Von der Öffentlichkeit getragen
       
       > Im Projekt „Boxing the City“ tragen Hamburger*innen gegen Bezahlung
       > weiße Kartons durch die Stadt. Dabei enstehen viele Fotos – und
       > Irritation.
       
   IMG Bild: Mit sechs Kartons durch die Stadt: 30 Euro gibt es pro Stunde fürs Tragen
       
       Hamburg taz | Kunst im öffentlichen Raum begegnet allen. Im Gegensatz zu
       Kunstwerken, die hinter schweren Türen und hohen Eintrittspreisen in Museen
       oder Galerien oder in Privatsammlungen verborgen sind, ist Kunst im
       öffentlichen Raum nahbar und seit Jahrhunderten Bestandteil der
       Stadtkultur. Sie trägt zur Identifikation der Bürger*innen mit ihrer
       Stadt bei, ist in Parks, auf Plätzen, Seen, Flüssen, in Fußgängerzonen oder
       an Straßenkreuzungen frei zugänglich
       
       Manchmal ist sie nicht mehr als eine temporäre Intervention. In Hamburg
       kann man derzeit einem Stapel weißer Kartons begegnen. „Boxing the City“
       heißt die Kunstaktion der Noroomgallery. Seit 25 Jahren produziert sie
       Präsentations- und Vermittlungsformen jenseits des White Cube. Darunter
       etwa „Hotel Hamburg“: Hamburger*innen waren 2014 dazu eingeladen, in
       ihrer eigenen Stadt zu reisen und von einer fremden Wohnung aus auf
       Entdeckungstour zu gehen. Die Teilnahme war einfach: ein Schlüssel für
       einen Schlüssel.
       
       Auch im öffentlichen Raum war die Noroomgallery schon unterwegs: Für den
       „Hamburger Hutladen“ wurden 2017 Künstler*innen gefragt, ihre
       künstlerische Praxis in eine tragbare Kopfbedeckung zu übersetzen.
       Noroomgalerist Jan Holtmann trug die Hüte durch das kulturelle Leben der
       Stadt.
       
       Bei Boxing the City tragen nun Hamburger*innen einen Stapel weißer,
       leerer Kartons. Als Träger*in kommt jede*r Hamburger*in infrage und
       wird mit 240 Euro pro Tag vergütet. Ein Designer, ein Kellner und ein
       Maskenbildner haben bereits mitgemacht. Außerdem ein Rentner und eine
       Studentin, eine Umwelttechnikerin und ein arbeitsloser Syrer, ein
       Stadtplaner und eine Übersetzerin, ein Touristenführer und ein Tänzer, ein
       Museumswärter und ein Regisseur, ein Sozialarbeiter und eine Musikerin.
       Dazu kommen etliche Lehrer*innen, Schauspieler*innen und Schüler*innen.
       Die Altersspanne reicht von 17 bis 72 Jahre.
       
       Aber warum ausgerechnet sechs Kartons? „Ich wollte etwas ganz Einfaches
       haben“, sagt Holtmann. „Ich wollte, dass sich diese Tätigkeit des Tragens
       als Bild einprägt. Dass nach einer gewissen Zeit der allgemeine Eindruck
       entsteht, irgendwo läuft in Hamburg gerade immer eine*r mit einem Stapel
       Kartons durch die Gegend. Genauso wie es in Hamburg zum Beispiel auch die
       Alsterfontäne gibt.“
       
       Seit zwei Monaten bewegt sich der Kartonstapel so durch die Stadt, wird
       über den Rathausmarkt getragen, an den Landungsbrücken vorbei, durch
       Wandsbek und die Speicherstadt. Immer wieder geht es dabei auch zu anderen
       Kunstwerken im öffentlichen Raum: zur Stahlplattenskulptur „Trade Worker
       Union“ von [1][Richard Serra] auf dem Platz vor den Deichtorhallen etwa
       oder zu den großen Neon-Lettern „Kanäle, Eisenbahnbrücke, Lagerhäuser,
       Schiff, Wolken, Himmel, Wind, Hafenkräne“ von Rémy Zaugg an der
       Oberhafenbrücke.
       
       Ein wesentlicher Bestandteil von „Boxing the City“ ist das Fotografieren
       und Dokumentieren. Der Instagram-Account der Noroomgallery zeigt unzählige
       Aufnahmen unterschiedlichster Stationen des mobilen Kunstwerks. „Es kommen
       so eine Art Postkartenmotive dabei heraus und mit dieser Kartierung auch
       ein ganz eigenes Bild der Stadt“, resümiert Jan Holtmann.
       
       Seit über 40 Jahren ist Hamburg die heimliche Hauptstadt für [2][„Kunst im
       öffentlichen Raum“]. Als erste deutsche Metropole hatte sie 1981 das bis
       dahin übliche Auftragsprogramm „Kunst am Bau“ abgelöst und den Stadtraum
       für freie Kunstprojekte geöffnet. Die Arbeiten reichen von den „Vier
       Männern auf Bojen“ von Stephan Balkenhol über das „Harburger Mahnmal gegen
       Faschismus“ von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz bis zu dem [3][Projekt
       „Veddel vergolden“ von Boran Burchhardt.]
       
       Bei „Boxing the City“ ist die Kunst nicht nur in der Öffentlichkeit,
       sondern wird auch von der Öffentlichkeit getragen. So entstehen Situationen
       der Teilhabe mit fließenden Grenzen zwischen Projektionsfläche und Bühne.
       Sobald es zum Kontakt zwischen Kartonträger*in und Passant*innen
       kommt, werden die Kartons zur Bühne, zu einem Raum, in dem Träger*in und
       Passant*innen sich austauschen.
       
       Kunst im öffentlichen Raum kann so zu so etwas wie einem heimlichen
       Wahrzeichen werden. Eine „Boxing the City“-Trägerin erzählt, dass sie sich
       „wie eine weitere Hamburg-Attraktion“ gefühlt habe. Ein anderer berichtet:
       „Die Verwirrung einiger Passanten ist erst mal groß, wenn man sie anspricht
       und um ein Foto bittet.“ Viele aber würden das Projekt längst kennen und
       erzählten, wo sie zuletzt andere Kartonträger*innen gesichtet haben.
       
       30 Sep 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Ullmann
       
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