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       # taz.de -- Polizeiforscher über Polizeistudie: „Das ist schon sehr verharmlosend“
       
       > Eine Polizeistudie sieht die Polizei als demokratisch gefestigt. Der
       > Kriminologe Rafael Behr liest das anders – und findet die Ergebnisse
       > alarmierend.
       
   IMG Bild: Was geht in ihren Köpfen vor? Polizist*innen während einer Pause
       
       taz: Herr Behr, gerade wurde [1][die große Polizeistudie veröffentlicht],
       bezahlt vom Bundesinnenministerium. Das Ergebnis: Nur eine minimale Zahl an
       Polizist*innen hat ein geschlossen demokratiefeindliches Weltbild, laut
       Studienleiterin Anja Schiemann gibt es „[2][kein Rassismusproblem in der
       Polizei]“. Andererseits wurden „mehr als nur Einzelfälle“ an
       problematischen Einstellungen festgestellt. Sie haben Kritik an der Studie.
       Welche? 
       
       Rafael Behr: Ehrlich gesagt kann ich die Entwarnung, mit der die
       Studienergebnisse verkündet wurden, nicht nachvollziehen. Wer sich diese
       Studie genau anguckt, findet dort höchst beunruhigende Aussagen. Und dass
       die Polizei kein Rassismusproblem hat, kann man damit überhaupt nicht
       feststellen: Weil diese Studie danach gar nicht explizit gefragt hat. Daher
       sind die Schlüsse, die daraus nun gezogen werden, schon sehr verharmlosend.
       
       taz: Ob es eine Studie zu rassistischen Einstellungen in der Polizei geben
       soll, war lange politisch strittig. Am Ende war es ein Kompromiss:
       Untersucht wurde der Polizeialltag und darin auch die Einstellungen der
       Beamt*innen. Hätte man die Studie anders aufziehen sollen? 
       
       Behr: Absolut. Denn die diskutierte Frage, ob in der Polizei Strukturen
       existieren, die Rassismus befördern, wurde damit ja gar nicht mehr
       untersucht. Genau hier aber wäre Forschung nötig, davor drückt sich die
       Polizei seit Langem. Wer nicht konkret nach Rassismus fragt, bekommt auch
       keine Antwort darauf. So hat die Studie genau das rausbekommen, [3][was die
       Innenminister und Gewerkschaftsfunktionäre hören wollten]. Aufklärung zum
       Rassismus und zur Diskriminierung ist damit aber nicht verbunden.
       
       taz: Die Studie stützt sich auf [4][zwei Onlinebefragungen von 40.000
       Polizist*innen], eine große Stichprobe. Und es wird festgehalten, dass
       ein Drittel der Polizist*innen im Dienst rassistische Äußerungen
       wahrnehmen. Da wird das Problem doch sichtbar. 
       
       Behr: Aber was genau heißt das? Gegen wen richteten sich diese Äußerungen?
       Und vor allem wieder die Frage: Welche Strukturen existieren in der
       Polizei, die solche Äußerungen befördern? Dazu erfahren wir in der Studie
       nichts. Und mir ist auch an einigen Stellen nicht klar, wer da befragt
       wurde: War es die Basis? Wie viele Führungskräfte waren beteiligt? Waren es
       die Vollzugskräfte oder das polizeiliche Gesamtpersonal? Dazu haben
       freiwillige Onlinebefragungen ein grundsätzliches Problem: Es melden sich
       dort nur diejenigen, die ohnehin aufgeschlossen gegenüber dem Thema sind.
       Und diese äußern sich dann zumeist so, wie sie es für sozial erwünscht
       halten. Tatsächliche Haltungen lassen sich so im Grunde nicht erheben.
       
       taz: Das Problem hat die Sozialforschung immer. Dennoch stellt die Studie
       fest, dass es etwa bei der Ablehnung von Asylsuchenden oder Muslimen durch
       die Polizeimitarbeitenden teils recht hohe Werte gibt – die zuletzt sogar
       noch gestiegen sind. 
       
       Behr: Das ist ja umso beunruhigender. Denn ein noch weit größerer
       Prozentsatz an Mitarbeitenden dürfte auch so denken, das aber nicht äußern.
       Und mich beunruhigen auch die Aussagen zu autoritären Einstellungen.
       Immerhin 13 Prozent der Befragten bekennen sich in der Studie offen zu
       solchen Positionen. 59 Prozent äußern sich hier ambivalent – hier weiß man
       also nicht, was sie denken und wann sie eher autoritär und wann
       demokratieorientiert agieren.
       
       Wenn aber 72 Prozent der Polizisten nicht klar demokratieorientiert sind,
       kann man nicht sagen, dass es kein Problem gibt. Denn autoritäre Haltungen
       sind der Humus für Rigidität und letztlich auch Extremismus – umso mehr in
       einer Organisation, die für Recht und Ordnung einsteht.
       
       taz: Dass sich etliche Befragte in Einstellungsfragen ambivalent äußern,
       [5][sehen auch die Studienautor*innen kritisch] und wollen hier in
       ihrer Folgestudie nachhaken. 
       
       Behr: Das wäre unbedingt nötig, ja. Denn wie soll eine Polizei die
       Demokratie schützen, wenn sie in dieser Frage selbst wankelmütig ist? Das
       macht mir Sorge.
       
       taz: Die Studie vergleicht die Einstellungen der Polizeimitarbeitenden mit
       denen der Gesamtbevölkerung, [6][anhand der Mitte-Studie], und sieht hier
       weitgehende Überschneidungen. Was aber auch nicht wirklich beruhigt, oder? 
       
       Behr: Keinesfalls. Und dieser Vergleich ärgert mich auch. Denn man kann
       doch Polizeibeamte, die Hoheitsaufgaben und ein Gewaltmonopol haben, nicht
       mit der Normalbevölkerung vergleichen. Da müssen ganz andere, höhere
       Maßstäbe angelegt werden. Und mich ärgert noch etwas.
       
       taz: Und zwar? 
       
       Behr: Bei den Fragen, wie es zu Diskriminierungen durch die Polizei kommt,
       werden nur Belastungsfaktoren benannt: allen voran Provokationen und Gewalt
       von Personen, gegen die sich Einsätze richten. Das ist ungefähr das
       Erklärungsniveau von 1990 und umfasst längst nicht alle Faktoren. Denn
       natürlich gibt es auch Gründe für diskriminierendes Polizeihandeln, die in
       den Beamten selbst und den Polizeistrukturen liegen.
       
       Und was heißt überhaupt Gewalt gegen die Polizei? Viele Handlungen, die als
       Angriffe auf die Beamten bezeichnet werden, haben nämlich nichts mit
       physischer Gewalt zu tun. Auch in der Studie werden darunter ja in 67
       Prozent der Fälle Beschimpfungen gefasst. Diesen Gewaltbegriff zu
       hinterfragen, das hat die Studie leider versäumt.
       
       taz: Sie waren selbst sehr lange [7][in der Polizeiforschung aktiv]. Wie
       hätten Sie es besser gemacht? 
       
       Behr: Der Ansatz hätte eine Feldforschung sein müssen – so wie es zuletzt
       die [8][Studie der Polizeiakademie Niedersachsen] vorgemacht hat, die nicht
       online Beamte befragte und ihnen Glauben schenkte, sondern sie ein Jahr im
       Dienst begleitete und verfolgte, welche Arbeitsabläufe etwa Diskriminierung
       begünstigen. Dort wurde also tatsächlich auf strukturelle Gegebenheiten und
       Risiken geschaut.
       
       taz: Auch die Forscher*innen der jetzt veröffentlichten Polizeistudie
       waren neben den Onlinebefragungen in Dienststellen und führten persönliche
       Interviews. 
       
       Behr: Aber nur sehr handverlesen. Um wirklich einen Eindruck zu bekommen,
       wie sich die Beamten im Dienst tatsächlich äußern und verhalten, braucht
       man schon eine längere Beobachtung als nur ein paar Tage. Aber einen
       Verdienst hat die Studie schon: Sie ergänzt Puzzlestücke im immer noch sehr
       überschaubaren Feld der Polizeiforschung. Und sie bietet eine
       Gesprächsgrundlage, auf der man jetzt weiterdiskutieren kann – ich würde
       sagen: muss.
       
       21 Sep 2024
       
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